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Außer dem Kardinal, der die Grußbotschaft des Papstes mitbrachte, hatten sich aus Rom ein Staatssekretär und sieben Parlamentsabgeordnete angesagt. Was auf Sizilien einen Namen hatte, kam selbstverständlich, Dr. Sorianos neues Wunderwerk zu bestaunen. Der Vorsitzende des Komitees >Stiftung Camporeale< memorierte seit drei Tagen seine große Rede, denn er hatte das Vergnügen, Dr. Soriano einen Scheck zu überreichen mit dem Betrag, den die Sammlungen und Spenden für dieses wahrhaft einmalige Kinderheim erbracht hatten: 220.000.000 Lire. Eine Summe, auf die man stolz sein konnte, und doch geringfügig, dachte man daran, was die geheime Klinik gekostet hatte, die hinter wieder zugemauerten Türen auf Dr.

Volkmar und sein Team wartete.

Um 10 Uhr vormittags fuhr der Kardinal in einem offenen Wagen durch Camporeale, nach allen Seiten segnend und damit Freude spendend. Aus Palermo war eine Hundertschaft Polizei aufs Land gekommen und hatte alle Zufahrtswege abgesperrt. Nur Personen mit Einladungskarten durften passieren, aber auch sie wurden gründlich untersucht. Staatsanwalt Dr. Brocca hatte bekanntgegeben, daß eine Bombendrohung vorliege. Das war zwar gelogen, aber man verschaffte sich dadurch das Recht, das Kinderheim vor unliebsamem Besuch abzuriegeln.

Bis nachmittags um vier dauerten die Einweihungsfeierlichkeiten. Der Kardinal durchschritt mit Weihrauchkessel und Weihwasserbüschel alle Räume und segnete sie aus, weihte das Marienbild in der hauseigenen Kapelle und aß an der festlich gedeckten Tafel im großen Speisesaal des Heimes eine doppelte Portion Fasan mit Maronenmus.

«Dieses Werk wird Ihnen den Himmel öffnen, Dr. Soriano«, sagte der Kardinal zum Abschied und schlug das Kreuz über Sorianos geneigtem Haupt.

«Ich möchte es hoffen, Eminenz«, antwortete Soriano demütig.

«Haben Sie nicht eine Tochter?«

«Sehr wohl, Eminenz.«

«Sie ist heute, an diesem Freudentag, nicht dabei?«

«Loretta ist seit kurzem verlobt, Eminenz. «Soriano blickte wieder auf. Eine Lüge ins Gesicht eines Kardinals muß wenigstens von einem gläubigen Blick begleitet sein, zumal, wenn man, wie Soriano, ein guter Christ ist. Das war seine menschliche Seite; die geschäftliche hatte damit nichts zu tun.»Sie ist zur Zeit in Rom.«

«Dann gibt es bald eine Hochzeit?«

«Ich hoffe. wenn Gott es will.«

«Er will!«Der Kardinal lächelte milde.»Es wäre mir eine Freude, Ihre Tochter zu trauen.«

Dr. Soriano nickte, bückte sich über die Hand des Kardinals und küßte den Ring. Er war echt ergriffen, obwohl er wußte, daß der

Wunsch des Kardinals nie in Erfüllung gehen würde.

Am Festbankett, das Soriano am Abend im großen Speisesaal gab, nahm der Kardinal nicht mehr teil. Nach der Sondermesse in der kleinen Kirche von Camporeale fuhr er wieder weg, beeindruckt von dem sozialen Gewissen Dr. Sorianos. Im Saal, der mit Blumen und Girlanden geschmückt war, sang ein Kinderchor, hielten noch viele offizielle Vertreter von Staat, Stadt und Wissenschaft Lobesreden und wurde schließlich bis tief in die Nacht hinein getanzt. Das päpstliche Grußwort, von einem schweren Goldrahmen umrandet, den Soriano gestiftet hatte, prangte in der weiten Eingangshalle, allen sichtbar, die das Kinderheim betreten würden.

Noch während die Gäste tanzten und das riesige kalte Büfett plünderten, wurden unten im Keller II die vermauerten Türen zur Herzklinik wieder aufgebrochen. Es war eine leichte Arbeit; die Eingänge hatte man lediglich mit Preßspanplatten verkleidet und diese angestrichen. Man nahm die Platten heraus und eröffnete auf diese Weise heimlich die Mafia-Klinik. Dr. Soriano kam für eine halbe Stunde in den Keller und brachte eine Flasche Champagner mit. Dr. Volkmar und Loretta saßen in dem großen, luxuriös eingerichteten Chefarztzimmer, bedient — und bewacht — von dem treuen Worthlow.

Hier unten war es geisterhaft still. Der Lärm von oben, das Lachen und Tanzen, die Musik und die Anwesenheit von über dreihundert Menschen — nichts davon drang in diese vor Sauberkeit blitzende, sterile Unterwelt.

Dr. Soriano goß die Sektgläser voll und sah seine Tochter und Dr. Volkmar mit einem ehrlichen, glücklichen Lächeln an.»Wie soll ich beginnen?«sagte er.»Der heutige Tag bedeutet eine Wende in unser aller Leben. Die Klinik ist fertig, meine Tochter hat den Mann ihres Lebens gefunden, ich habe dadurch einen Sohn bekommen, der zudem noch der Chef dieser Klinik ist. Diese Fülle von Glück! Darf ich dich meinen Sohn nennen, Enrico?«

«Nein!«antwortete Dr. Volkmar hart.»Lassen wir Loretta völlig aus dem entsetzlichen Spiel, das hier beginnen soll!«»Wie ist das möglich?«Soriano setzte sich.»Eins greift ins andere. Gut! Ich darf Sie also nicht als meinen Sohn betrachten. Nur gestatten Sie mir eine Frage: Sie wollen Loretta doch heiraten?«

«Ja.«

«Und betrachten Ihren Schwiegervater weiterhin als Gegner?«

«Sie haben diesen Status selbst herbeigeführt.«

«Rechnen Sie unter diesen Umständen mit meiner Einwilligung?«

«Ich brauche sie nicht, Papa!«sagte Loretta plötzlich. Ihre Stimme klang seltsam hart.»Ich bin dreiundzwanzig. Ich kann allein entscheiden.«

«Welch eine Welt!«Soriano nippte an seinem Champagner.»Da hat man seine einzige Tochter in den besten Schulen und Internaten erziehen lassen, und was ist dabei herausgekommen? Aufsässigkeit gegen die alte Ordnung! Mißachtung aller Grundlagen von Moral.«

«Du lieber Himmel — Sie reden von Moral?«unterbrach ihn Dr. Volkmar.

«Trennen wir den Beruf vom Privaten. Das stammt doch von Ihnen, Enrico, nicht wahr? Gerade haben Sie es gesagt! Gleiches Recht für alle, mein Bester. Jetzt bin ich nur Vater, weiter nichts!«

«Ich liebe ihn!«sagte Loretta und legte ihren Arm um Volkmars Schulter.»Ich liebe ihn! Liebe ihn! Nur das allein ist für mich wichtig! Was ist deine >alte Ordnung< dagegen?! Was geht sie mich überhaupt an?! Sizilianische Ehre! O Maria, sind wir Menschen aus einer Verdi-Oper? Ich gehöre zu Enrico, das allein ist wichtig. Was er sagt, was er tut, das ist auch für mich richtig! Du bist mein Vater, und ich werde dich als meinen Vater lieben und ehren — doch mein Leben heißt von jetzt ab Enrico!«

«Sehr eindrucksvoll. «Soriano blickte in sein Champagnerglas.»Ich gebe die Hoffnung nicht auf, Enrico, daß Sie einsehen, wie weit Sie durch die Mittel, die ich Ihnen bereitstelle, der medizinischen Forschung vorausmarschieren können. Leider werden Sie nie den Nobelpreis bekommen können, aber Sie bekommen meine Tochter. Die ist hundert Nobelpreise wert.«

«Ihr Zynismus ist unüberbietbar«, sagte Dr. Volkmar gepreßt.»Wann

liefern Sie den ersten Herzpatienten?«

«Morgen kommt zunächst der ganze Tierpark vom Altersheim herüber, die Laboranten fangen in den neuen Räumen zu arbeiten an. Ich schätze, daß Sie die erste Ganzherzverpflanzung Ende nächster Woche ausführen.«

«Sie sind verrückt!«sagte Dr. Volkmar dumpf.

«Ich brauche eine gelungene Herztransplantation, um damit werben zu können.«

«Was wollen Sie?«fragte Volkmar erschüttert.

«Werben! Ich kann doch nicht meine Repräsentanten einfach zu den Herzkranken schicken: Wollen Sie ein neues, junges Herz, dann kommen Sie nach Camporeale! Für eine Million Dollar machen wir Sie wieder hüpffidel! Man würde uns für Idioten halten! Aber wenn wir Beweise vorlegen: Hier, dieser Mann hatte keine Chancen mehr, jetzt turnt er wieder am Reck! — dann können wir überzeugen.«

«Wann begreifen Sie endlich«, schrie Dr. Volkmar außer sich,»daß eine Herztransplantation keine Blinddarmoperation ist?! Die Überlebensaussichten stehen heute 1:99! Ein Prozent Chancen! Und die Zukunft liegt nicht bei einer Homotransplantation, also bei einem Austausch von Mensch zu Mensch bei einem genetisch fremden, jedoch artgleichen Spender, sondern beim Kunstherzen. Doch bis wir soweit sind, werden noch Jahre oder Jahrzehnte vergehen!«