Ein Beweis, wie stark sein Herz war!
Aber alle Stärke nutzt nichts, wenn drei Männer mit sandgefüllten Strümpfen zuschlagen und einen unblutig, aber nachhaltig damit betäuben. Als Domenico Bernazzi wieder zu sich kam, lag er gefesselt im Kofferraum eines sehr schnell fahrenden Autos, mit einem dicken Pflaster über dem Mund. Ein paarmal zog er die Beine an und trat mit voller Wucht gegen den Kofferraum, aber auch das wurde unterbunden. Der Wagen bremste, der Kofferraumdeckel klappte auf, wieder krachte der sandgefüllte Strumpf auf den Schädel und schickte ihn in die Bewußtlosigkeit zurück.
Das geschah noch viermal. Als Domenico zum fünftenmal aufwachte, lag er in einem schönen, weißen Bett, das Zimmer war lindgrün gekachelt, über der Tür, die keine Klinke hatte, hing ein sehr schönes hölzernes Kruzifix, an der Decke lief ein Lichtband entlang und verbreitete helles, dennoch mildes, durch die Milchglasverkleidung gedämpftes Licht. Der Raum hatte keine Fenster, aber eine Klimaanlage sorgte für angenehme Temperatur.
Domenico stand auf, lief zur Tür und hieb mit den Fäusten dagegen. Er konnte sich nicht erklären, wo er sich befand. Fetzen der Erinnerung ergaben kein Bild: Er war auf dem Wege zum Maisfeld gewesen, als ihn die drei Männer niederschlugen. Dann hatte er in einem Auto gelegen und war noch einige Male betäubt worden. Und jetzt war er in einem Krankenhaus… aber wo? Wer hatte ihn hierher gebracht? Warum gab es keine Türklinken? Gibt es Krankenzimmer ohne Fenster? Er hatte bisher nur einmal im Krankenhaus gelegen, in dem kleinen Spital von Enna, als er sich den Fuß angebrochen hatte. Da lag er mit neun Mann auf einem Zimmer, strenge Nonnen pflegten ihn, und abends mußten sie alle vor dem Schlafen die Finger in das Weihwasserbecken neben der Tür tauchen und sich bekreuzigen.
Aber hier war niemand. Hier war vollkommene Stille. Eine fast erdrückende Sauberkeit. Einsamkeit, die sich wie ein pressender Ring um sein Herz legte.
Er hämmerte wieder gegen die Tür, trat gegen das dicke, mit Kunststoff belegte Holz, schrie und schrie und begann dann, als sich niemand meldete, das Bett zu demolieren und mit dem eisernen Fußteil gegen die Wand zu rennen. Die Kacheln platzten ab, er zerhieb alles, was zerstörbar war — aber keiner kam. Schließlich war auch Domenico erschöpft, hockte sich auf die Trümmer seines Bettes und wartete.
Er wußte für alles keine Erklärung.
Nicht anders erlebten die anderen jungen Burschen ihr Erwachen nach langer Betäubung. Auch sie klopften, trommelten und brüllten, aber die Wände schienen jeden Laut zu schlucken.
In einem anderen Teil der Klinik, einem Keller über der Abteilung HS<, wie man die Einzelzimmer tief unter der Erde nüchtern nannte, saßen Dr. Nardo und Benjamino Tartazzi, ein bulliger Kerl und Leiter der >Einsatztruppe<, an einem runden Tisch einander gegenüber.
«Wir haben acht Knaben gesammelt!«sagte Tartazzi fröhlich.»Kraftstrotzend und gesund, soviel man von außen sehen kann. Jeder wäre gut als Zuchtbulle! Brauchen Sie noch mehr, Dottore?«
«Das wird die Untersuchung ergeben«, antwortete Dr. Nardo.»Wir brauchen einen besonderen Eiweißtyp.«
«Was braucht ihr?«fragte Tartazzi verblüfft zurück.»Eiweiß?«
«Schon gut. «Dr. Nardo winkte ab.»Hat es Schwierigkeiten gegeben?«
«Überhaupt nicht. Warum auch? Das geht alles ruckzuck! Auf diese Weise ist Nachschub gar kein Problem.«
Während auf den Polizeistationen die Vermißtenmeldungen eingingen und die Verwandten der Verschwundenen lamentierten, begannen in der unterirdischen Klinik von Camporeale die ersten Untersuchungen der Kandidaten, wie Dr. Nardo die noch ahnungslosen jungen Burschen nannte. Mit einem unschädlichen Gas, das durch die Luftschächte der Klimaanlage geblasen wurde, machte man die Männer willenlos und transportierte sie dann zum Röntgen, entnahm ihnen Blutproben, Liquor und Muskelfleisch und stellte ihnen dann ein opulentes Mahl auf den Tisch. Als sie aufwachten, fehlte nichts, vom Wein bis zum Käse, von der Minestrone auf einem Wärmeteller bis zum Lammbraten mit grünen Nudeln.
Das Labor arbeitete die ganze Nacht durch. Am nächsten Morgen gab Dr. Nardo nach Solunto durch, daß man nach seiner Meinung den richtigen Herzspender für Achmed ibn Thaleb gefunden habe. Einen Fischer aus Pizzolato. Seine Eiweißmoleküle reagierten am freundlichsten auf Thalebs Gewebe — soweit das labortechnisch nachweisbar war.
Dr. Soriano besuchte Dr. Volkmar vor dem Frühstück. Diesmal war Loretta noch in Volkmars Bett gewesen. Sie kam, in einem traumhaften Neglige, das ihre herrliche Figur durchschimmern ließ, mit Volkmar in die Halle. Dr. Soriano zog die Unterlippe durch die Zäh-ne. Für einen Vater ist das kein besonders erfreulicher Anblick. Lorettas Schamlosigkeit trieb ihm das Blut pochend in die Schläfen.
«Wir haben das richtige Herz«, sagte er ohne Begrüßung.»Sie können operieren!«
«Wer ist es?«
«Ein vierundzwanzigjähriger Motorradunfall. Dr. Nardo kann Ihnen alle Daten geben. Auch die Einverständniserklärung der Eltern. Der junge Mann ist — ich verstehe davon nichts, ich verlasse mich auf die Aussagen der Ärzte — klinisch tot, das heißt, seine Hirn-fanktion ist erloschen. Nur sein Herz wird noch durch medizinische Tricks am Schlagen gehalten. Wie lange das möglich ist, weiß ich nicht. Können Sie sofort operieren?«
Dr. Volkmar blickte auf seine Armbanduhr.»In zwei Stunden?«
«Erst?«
«Ich muß ja hinaus nach Camporeale.«
«Ein Hubschrauber bringt Sie hin!«Soriano deutete auf das Telefon.»Wenn Sie Dr. Nardo anrufen und Anweisungen geben, kann er schon alles vorbereiten. Er steht Gewehr bei Fuß.«
«Und der Herzspender?«
«Ist bereits überführt und liegt an einem Gewirr von Schläuchen — wie Dr. Nardo sagt.«
In der Klinik war tatsächlich alles zur Operation bereit. Als Volkmar mit Nardo sprach, hatte er den Eindruck, als liege Achmed ibn Thaleb schon zur Narkose präpariert im Vorraum von OP I. Die Laborwerte, die Nardo schnell durchgab, waren ideal. Man konnte sich keinen besseren Herzspender denken.
«Sie haben unverschämtes Glück, Don Eugenio!«sagte Dr. Volkmar stockend.
«Mehr als Professor Barnard. Sein Louis Waskansky baut ab. Er hat eine Infektion bekommen, Lungenentzündung. So die letzten Rundfunkmeldungen.«
«O Gott! Ich kann nachempfinden, wie es jetzt in Barnard aussieht.«
«Er kämpft bis zum Umfallen um seinen Patienten. «Soriano er-hob sich aus dem Sessel.»Wir haben bessere Ausgangspositionen. Bei uns gibt es keine Infektionen! Vor allem aber Ihre eigene Operationsmethode, Enrico!«
Eine halbe Stunde später betrat Dr. Volkmar die unterirdischen Operationsräume. Zwei Ärzte mit den Röntgenbildern des Herzspenders erwarteten ihn bereits.
Kapitel 13
Achmed ibn Thaleb hatte noch einmal zu Allah gebetet, ehe man ihn auf das Rollbett legte und zum Vorbereitungsraum schob. Die drei sterilen Isolierzimmer, in denen er nach der Operation wohnen mußte, waren noch einmal durchkontrolliert worden. Alle Geräte zur Intensivbehandlung waren vorhanden. Um das Bett standen Chromgalgen für die Tropfflaschen, Bildschirme für die elektronischen Meßanzeigen. Die Plastikbahnen für das Sauerstoffzelt waren hochgeschlagen.
Dr. Volkmar blickte auf die beiden Bildschirme vor seinem großen Schreibtisch. Fernsehkameras übertrugen das Geschehen in den OPs zu Volkmars Zimmer. Er sah die beiden Ärzteteams bereitstehen: Im OP I mit der Herz-Lungen-Maschine vierzehn, im OP II, wo man nur das Herz herausnehmen mußte, vier Ärzte. Auf OP-Schwestern hatte Dr. Soriano verzichtet; den Instrumentendienst besorgten ebenfalls Ärzte.
«Frauen haben ein zu großes Mitteilungsbedürfnis!«hatte Soriano behauptet.»Sie mögen sich noch so sehr zur Schweigsamkeit verpflichten — irgendwann im Bett reden sie doch!«
Achtzehn Ärzte, dachte Dr. Volkmar, als er auf den Bildschirmen die Tätigkeit in den OPs beobachtete. Glaubt Soriano wirklich, das sind achtzehn verschlossene Münder? Mit welch hohem Einsatz spielt dieser Mann!