«Sie gehört dir, Enrico«, hatte er zu Dr. Volkmar gesagt.»Eine schwarze Million, auf einem Schweizer Konto!«
«Sie wird da verschimmeln!«hatte Volkmar geantwortet.»Oder werde ich jemals wieder in die Schweiz kommen?«
«Warum nicht? Wenn ihr geheiratet habt. Wenn du dich endlich an mich gewöhnt hast.«
«Also verschimmelt sie doch!«
Das Thema war damit erledigt. - Aber Basil Hodscha lag auf Zimmer 6, bekam kräftigende Injektionen und eine herzunterstützende Behandlung. Und wartete auf sein neues Herz. Volkmar untersuchte ihn gründlich und entschied, daß Basil nicht operiert werden dürfe. Nicht nur das Herz war stark geschädigt, auch das gesamte Adernsystem war durch Ablagerungen von Cholesterin verfettet. Ein neues Herz würde nur die Hälfte der Probleme beseitigen.
«Noch gibt es keine Adernreiniger, so wie man Kalklöser in Rohrleitungen schüttet«, sagte er zu Soriano und Dr. Nardo.»Ich lehne eine Operation Basil Hodschas ab.«
Von da an sprach man nicht mehr darüber. Es war sinnlos, mit Dr. Volkmar zu diskutieren. Aber Dr. Nardo arbeitete weiter. Er setzte Basil als nächsten Anwärter auf die Liste und suchte aus den eingehenden Testberichten der dreiunddreißig Männer im siebenten Stockwerk von Flügel III des >Kinderheimes< die passenden aus. Es kamen zwei in Betracht: Ein Landarbeiter aus Mascalucia bei Catania und ein Elektriker aus Caserta, in der Nähe von Neapel. Beide waren zweiundzwanzig Jahre alt, groß und stämmig, mit Herzen wie aus einem Lehrbuch, strotzend vor Gesundheit.
«Vor Weihnachten operiere ich nicht mehr!«sagte Dr. Volkmar am Telefon.»Und Basil Hodscha überhaupt nicht! Gut, ich komme nachher, ich spreche mit den Patienten. Hat Thaleb von Was-kanskys Tod gehört?«
«Nein. Sollen wir es ihm sagen?«
«Noch nicht. Er ist noch nicht aus dem kritischen Stadium heraus.«
In der Klinik hatte Volkmar den ganzen Tag damit zu tun, von Zimmer zu Zimmer zu gehen und die aufgescheuchten Patienten zu beruhigen. Die Unterhaltungen fanden meistens in englischer Sprache statt, lediglich Basil Hodscha sprach nur Armenisch und Französisch.
Allerdings sah die Beruhigung anders aus, als sie sich Dr. Nardo gedacht hatte. Volkmar zerstreute keine Bedenken, sondern sagte:»Wenn Sie glauben, daß das Risiko zu groß ist, bin ich der letzte, der Sie hindern würde, wieder nach Hause zu fahren. Erinnern Sie sich an die Worte, die ich Ihnen bei der Aufnahme gesagt habe: Eine Herztransplantation in der Art, wie ich sie durchführe, schließt immer das größte Risiko ein, das medizinisch denkbar ist. Und Sie haben geantwortet: >Ob so oder so — ich riskiere nichts mehr! Mit meinem alten Herzen sterbe ich bestimmt.< Dem kann nicht widersprochen werden. Ich sage Ihnen jetzt noch einmaclass="underline" Es gibt kei-ne Garantie! Es gibt nur den Glauben, daß es gutgehen kann.«
«Das nennen Sie Beruhigung?«sagte Dr. Nardo später mit süßsaurer Miene.
«Ich kann nicht lügen!«Dr. Volkmar ließ ihn stehen — eine bewußte Brüskierung.»Auch für Millionen nicht! Ein Kranker in dieser Lage hat das Recht auf Wahrheit!«
Achmed ibn Thaleb ging es gut. Auf den Monitoren, über die man alle seine Körperfunktionen überwachte, zeigte sich ein klares Bild. Nach anfänglichem Fieberanstieg, der die Abwehrreaktion des Körpers signalisierte, die man sofort mit Injektionen von Corticoste-roiden bekämpfte, schien sich Thalebs Natur daran zu gewöhnen, daß ein neues Herz das Blut kraftvoll durch die Adern pumpte. Sein Allgemeinzustand besserte sich zusehends. Wenn Volkmar an sein Bett trat, faßte er mit beiden Händen nach seiner Hand und hielt sie fest, solange Volkmar mit ihm sprach. Manchmal hatte man den Eindruck, er wolle sie sogar küssen: diese begnadeten Hände, die ihm ein neues Leben geschenkt hatten.
«Noch haben wir nicht gewonnen, Mr. Thaleb«, sagte Volkmar.»Die große Prüfung kommt erst noch: Wenn Sie aus dem Bett können, wenn Sie gehen dürfen, wenn ich Sie aus der völlig sterilen Welt, in der Sie jetzt leben, hinauslasse in die von Bakterien verseuchte Freiheit. Was dann passiert, weiß ich noch nicht. Wir wissen dann nur, daß Ihr Herz angewachsen ist und schlägt und daß Sie lebenslang Medikamente schlucken müssen. Ob Sie aber zum Beispiel eine eitrige Mandelentzündung überleben, das wird sich erst zeigen. So ist die Lage, Mr. Thaleb.«
«Ich werde mich davor schützen, Doktor.«
«Wie? Wollen Sie ständig in einem Plastikanzug herumlaufen? Eine Mumie in Folie? Wollen Sie nur durch Filter atmen?«
«So schlimm ist das?«fragte Thaleb leise. Er sah Volkmar aus seinen braunen Rehaugen an, bettelnd und um ein gutes Wort flehend.
«Wir werden versuchen, Ihrem Körper trotzdem eine bestimmte Abwehrkraft zu erhalten, die allerdings nicht das Transplantat gefährden darf. Wir können jetzt nur abwarten, Mr. Thaleb, und immer wieder Mut haben.«
«Den habe ich, Doktor!«Thaleb sah Volkmar dankbar an.»Allah beschütze Sie!«
Im Flügel III des Kinderheimes, im siebenten Stock, hinter den innen vermauerten Fenstern, war der Aufstand ausgebrochen. Die >Kandidaten für die Fremdenlegion< rebellierten gegen ihre Behandlung. Sie sangen mit aller Lautstärke, brüllten dann und schlugen gegen die Türen. Als sich niemand um sie kümmerte, rissen sie die Waschbecken von den Wänden, zertrümmerten sie, drehten alle Hähne auf und setzten ihre Zimmer unter Wasser.
Bei den Wachmannschaften gab es Großalarm. Mit sieben Mann rückten sie an, dicke Gummischläuche in den Händen, und knüppelten die tobenden Gefangenen Zimmer nach Zimmer zusammen. Dann schleifte man die Besinnungslosen in die >Turnhalle<, entfernte dort alle Geräte und überließ sie sich selbst. Hier gab es nichts mehr zu zerstören. Die Wände waren kahl bis auf die Sprossenleitern. Es brachte nichts ein, diese abzureißen, mit Holzlatten kann man keine Betonmauern aufbrechen.
«Ich habe das kommen sehen, Don Eugenio«, sagte Dr. Nardo. Er stand hinter Soriano, der die verwüsteten Zimmer besichtigt hatte und sich berichten ließ, daß die dreiunddreißig Männer gerade dabei waren, mit den nun doch losgerissenen Sprossen gegen die Wände zu schlagen. Es war ein Höllenlärm — aber er drang nur ein paar Meter weit. Die Schallisolierung war vorzüglich.»Diese Männer werden nie resignieren und sich in ihr unbekanntes Schicksal ergeben. Wir müssen ihnen etwas bieten. Wein, Unterhaltung — vielleicht einen Kinoabend. Langeweile führt zu einem Aggressionsstau.«
«Morgen ist Weihnachten. «Soriano ging zurück in den Flur. Hauseigene Handwerker flickten die Wasserleitungen und schlossen neue Waschbecken an.»Ich will sehen, wie ich sie überraschen kann.«
Es wurde ein denkwürdiges Weihnachtsfest.
Obwohl Thaleb Mohammedaner war, wischte er sich die Tränen vom Gesicht, als über ein Mikrophon der Kinderchor des Heimes Weihnachtslieder sang. Eine Rundanlage übertrug die hellen Stim-men in jedes Zimmer, auf jedem Nachttisch brannten Kerzen, nur bei Thaleb nicht — wegen möglicher Infektionen. Für ihn leuchtete auf dem Bildschirm eine große, dicke Kerze, ein Kunstwerk aus Wachs, mit bunten Engeln bemalt. Ob das nun christlich war oder nicht — daß Thaleb so etwas wieder sehen konnte, noch sehen und hören konnte, erschütterte ihn bis in die Tiefe seines neuen Herzens. Er weinte vor Glück und beschloß, noch einmal hunderttausend Dollar für das Kinderheim zu stiften.
Die große Bescherung bei Soriano vollzog sich nach eingespieltem Ritus: Zuerst wurde das Personal beschenkt, an der Spitze Reginald Worthlow, der eine vollautomatische goldene Uhr erhielt. Man sah ihr von außen nicht an, daß sie ein kleiner Sender war, eine Wanze, wie es im Gangsterjargon heißt. Da Volkmar immer, wenn er etwas Besonderes zu sagen hatte, die in seinem Haus versteckten Abhörgeräte durch lautgedrehte Radio- oder Schallplattenmusik taub machte, sollte jetzt Worthlow mit seiner schönen goldenen Uhr immer in der Nähe sein. Ein Danaergeschenk — denn nun war es auch Worthlow unmöglich gemacht worden, mit Volkmar in der bisherigen Art zu sprechen.