«Aber Sie werden trotzdem vielen Menschen das Leben retten können, Doktor. Das muß Sie doch stolz machen.«
«Stolz?«Dr. Volkmar lächelte bitter.»Wie ein Falschmünzer arbeite ich in einem Keller, zwei Etagen unter der Erde.«
«Denken Sie nur an die Patienten, für die Sie zu einem Gott werden!«
«Und die zwei Millionen Dollar dafür bezahlen.«»Wir haben es! Was stört Sie an dem Geld?«
«Daß ich es verdienen soll mit einer tödlichen Fließbandarbeit. Aber ich glaube, das verstehen Sie nicht.«
«Nein.«
«Ich dachte es mir.«
«Sie heilen Todkranke und machen sich Gewissensbisse?!«
«Ich operiere nach einer Methode, die, medizinisch gesehen, ein Hasardeurstück ist! Ein schreckliches Vabanque-Spiel mit dem Leben der Menschen.«
«Ist das nicht jede große Operation?«
«Ja und nein! Aber ein Herzaustausch stößt über die Grenzen dessen hinaus, was dem Menschen bisher möglich war.«
«Bisher möglich — das haben Sie richtig gesagt, Doktor. «Thaleb sah Dr. Volkmar in seiner kindlichen Gläubigkeit strahlend an.»Sie haben es geschafft. Sie allein auf der ganzen Welt! Nur daran sollten Sie denken! Nur daran!«
Volkmar verließ bald darauf das Zimmer und streifte im Vorraum seinen sterilen grünen Kittel ab. Er wird sich wundern, dachte er. Noch lebt er unter einer Glasglocke, völlig abgeschirmt von der Welt. Die Probleme fangen an, wenn er wieder unter die Menschen darf, in diese sogenannte freie Luft<, die dick wie eine Suppe ist durch Bakterien und Viren. Es fängt an, wenn er wieder mit einer Frau im Bett liegt. Von ihren zärtlichen Lippen werden Millionen Erreger auf ihn überfließen, und mit dem Schweiß aus ihren Poren wird Thaleb in einem Meer von Bakterien baden. Alles, was er anfassen wird, ist im medizinischen Sinne verseucht. Sein Körper wird in einem ständigen Abwehrkampf stehen.
Ist das ein Leben, das man sich wünschen kann?
Die ständige Angst, ein normaler Husten könnte schon den Tod bedeuten?! Ein Schnupfen? Keine Taschentücher einstecken, sondern den Sarg bestellen! Eine Bronchitis? Holt keinen Arzt, holt einen Priester!
Ein Leben voller Angst. Lohnt sich das?
Aus Kapstadt meldeten Sorianos Beobachter höchst vertrauliche
Informationen. Professor Barnard hatte einen neuen Patienten auf seine Liste gesetzt. Einen Zahnarzt, Dr. Blaiberg. Wann er operiert werden sollte, wußte allerdings niemand. Barnard, durch Waskan-skys Tod gewarnt, ließ die vorgesehene Krankenstation umgestalten. Wie Dr. Volkmar richtete er Sterilschleusen zwischen dem Krankenzimmer und der Außenwelt ein. Die immunbiologische Forschungsgruppe steckte in Großversuchen. Für den zweiten Anlauf in eine neue chirurgische Welt unter den Augen der Weltöffentlichkeit hatte der Countdown begonnen. Ärzte in allen Erdteilen blickten gespannt nach Kapstadt, die meisten mit ablehnenden, ja fast schon hämischen Kommentaren.
In diesen Tagen verpflanzte Dr. Volkmar sein drittes und viertes Herz mit Erfolg. Die Welt ahnte davon nichts. Denn aus Sorianos schrecklicher >Herzbank< verschwanden wieder zwei junge, kräftige Männer — um ihren Dienst in der Fremdenlegion anzutreten!
Der 29. März war ein herrlicher Frühlingstag.
Die Mimosen, die nach dem strengen Winter spät zur Blüte gekommen waren, vermischten sich mit den Kamelien. Sizilien lag unter einem hellblauen, seidigen Himmel. In den Ferienzentren tummelten sich wieder viele tausend Touristen. Ein neuer Reiseboom — die Flugtouristik — überschwemmte die südlichen Länder. Vor allem die Küsten Spaniens und die Balearen meldeten: Alle Betten belegt. Auch Sizilien wurde >neu entdeckt<, wie die Zeitungen schrieben. Auf den Flugplätzen von Catania und Palermo landeten die Maschinen aus den nördlichen Ländern, vor allem aus Deutschland und England. Charterflüge, Pauschalreisen, alles inbegriffen. Auch die Papagalli.
Achmed ibn Thaleb war entlassen worden. Gesund, mit einem kräftig schlagenden Herzen. Er hatte ein paarmal aus Beirut geschrieben, wie gut es ihm gehe. Von Infektionen keine Spur. Seine dritte Frau war in gute Hoffnung gekommen. Das allein war schon zwei Millionen wert. Vor der Herztransplantation hätte Thaleb eine Lie-besnacht nicht überlebt. Jetzt — das schrieb er in aller Offenheit — war es fast wie in seinen jungen Jahren: Er hielt allen Anforderungen seiner heißblütigen Frauen stand (als Mohammedaner besaß er vier) und überbot sie sogar manchmal an Ausdauer.
«Ein Beweis, daß die Teflonzwischenstücke eingeheilt sind!«sagte Dr. Volkmar.»Ich glaube, wir haben es geschafft.«
Auch Basil Hodscha war zurück nach Paris gegangen, nicht ganz so springlebendig wie Thaleb, aber im Verhältnis zu früher auch wesentlich verbessert. Die dritte Million Dollar, das Erfolgshonorar, hatte er bezahlt.»Und wenn ich nur noch ein Jahr lebe«, hatte er zum Abschied zu Soriano und Volkmar gesagt,»das lohnt sich. In einem Jahr kann ich vieles regeln. Ich weiß, ich weiß: Ruhe! Keine Anstrengungen. Doktor — was soll's?! Ich habe nicht mehr mit einem Jahr gerechnet — nun hat man mir's geschenkt! Und dieses Geschenk koste ich aus! Ich weiß, daß mein neues Herz kein Motor von Dauer ist. Das Rohrsystem ist verstopft. Gott segne Sie, Doktor!«
In der Klinik von Camporeale lebten jetzt isoliert elf Patienten mit neuen Herzen und im Flügel III, oberste Etage, vierunddreißig junge, kräftige Männer, vorzüglich ernährt, wöchentlich zweimal beruhigt durch den Besuch von sieben wirklich hübschen Huren aus Palermo. Wurden sie ab und zu aufsässig, weil sie einfach keine Erklärung dafür wußten, weshalb man sie hier festhielt, statt sie nach Korsika in die Kaserne der Fremdenlegion weiterzuschleusen, >dämpf-te< man sie, wie es Dr. Nardo keck ausdrückte, mit einem neuen Mitteclass="underline" Man blies über die Klimaanlage ein geruchloses Gas in die Zimmer, das ohne schädliche Folgen auf das Zentralnervensystem wirkte. Dann hockten die Herzspender apathisch auf ihren Betten, für Stunden oder Tage paralysiert, aßen und schliefen wie Automaten und blieben auch hinterher noch ein paar Tage lang friedlich, zumal nach solchen >Dämpfungen< meistens der Besuch der Damen aus Palermo folgte.
Tröstlich war nur, daß hin und wieder einer von ihnen zur Fremdenlegion geholt wurde! Man sah, es ging weiter, wenn auch lang-sam. Dr. Nardo hatte eine neue Erklärung dafür:»Die französischen Behörden!«sagte er.»Ein Berg von Bürokratie! Bei uns ist es schon schlimm mit den Beamten — aber bei den Franzosen erst! Sogar bei der Fremdenlegion! Ihr glaubt nicht, wieviel dicke Fragebogen wir für jeden von euch ausfüllen müssen!«
An diesem 29. März rief Loretta in der Klinik an. Es war kurz nach der Vormittagsvisite. Volkmar saß in seinem Chefzimmer und betrachtete die neuesten Röntgenbilder der letzten Herztransplantation. Es handelte sich um einen italienischen Großindustriellen, der sein Herz mit Schweizer Franken von einem Schwarzkonto in Genf bezahlte. Er war — aber das wußte Volkmar nicht — ein Problemfall gewesen, denn alle damals vorhandenen vierundzwanzig Herzspender eigneten sich nicht für ihn. Die Eiweißtests waren katastrophal. Erst der dreiundvierzigste >Fremdenlegionär<, den man aus Neapel herüberschickte, harmonisierte mit dem Patienten.
Volkmar betrachtete das klingelnde Telefon, bevor er abhob. Seit seiner zehnten Herzverpflanzung empfand er eine gewisse Scheu davor, den Hörer abzunehmen. Hundertmal waren es Nichtigkeiten, klinikinterne Dinge, aber fünfmal hatte er auch Sorianos ruhige, väterliche, ein wenig zu glatte Stimme gehört mit Mitteilungen wie dieser:»Enrico, soeben erfahre ich, daß am Hafen ein junger Arbeiter von einer herunterfallenden Kiste erschlagen wurde. Er lebt noch und wird künstlich beatmet. Wir könnten ihn gebrauchen.«
Er sagte tatsächlich gebrauchen. Und das stimmte. Denn diese Anrufe trafen immer bei Volkmar ein, wenn Dr. Nardos Team eine Eiweißverträglichkeit zwischen einem wartenden Herzkranken und einem >Spender< aus der Herzbank festgestellt hatte.