Выбрать главу

«Sie können, Chef!«sagte Dr. Crichi.

Der junge Arzt öffnete die am nächsten liegende Tür und ließ sie aufschwingen.

Ein großes fensterloses Zimmer, taghell angestrahlt aus in die Decke versenkten Leuchtstoffröhren. Sieben Betten, aus denen man die Matratzen gerissen und zerfetzt hatte. In diesem Durcheinander, zwischen zerschlagenen Nachttischen und Kleiderschränken, lagen oder saßen mit stumpfsinnigem Blick, bewegungslos, wie gelähmt, sie-ben junge Männer. Sie hoben die Köpfe nicht, als die Tür aufging, sie blickten Volkmar nicht an. Das Gas, das sie eingeatmet hatten, hatte jeden Kontakt mit der Umwelt zerstört.

«Sie leben noch«, sagte Dr. Crichi erlöst.»Hätte das einen Rummel gegeben! Aber so genau wußte ich die Dosierung auch nicht; ich habe bei Dr. Nardo nur einmal zugesehen.«

Volkmar antwortete nicht. Er drehte sich um und verließ wortlos die obere Etage von Block III. Mit dem geheimen Fahrstuhl fuhr er wieder hinunter in die Zentralhalle und ging in sein Zimmer. Erst dort kam es zum Zusammenbruch. Er sank auf die Ledercouch, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und begriff plötzlich, daß es im Leben eines Menschen Situationen geben kann, in denen er sich den Tod wünscht. Er hatte bisher nie Verständnis für Selbstmörder aufbringen können. Nichts kann so ausweglos, so unerträglich, so niederzwingend sein, daß man sein Leben wegwerfen müßte, hatte er immer gesagt, wenn er in München mit einem geretteten Selbstmörder sprach. Die meisten klagten:»Warum haben Sie mich bloß nicht sterben lassen, Doktor? Ich kann nicht mehr leben!«Und er hatte stets geantwortet:»Man kann! Für das Leben gibt es keinen Ersatz. Auch im Himmel nicht!«

Jetzt sah er ein, daß das nur dumme Sprüche gewesen waren. Sterben. Auf der Stelle umfallen und nicht mehr sein. Das wäre herrlich. Fort aus dieser Welt, die aus Mord und Betrug, Gemeinheit und Lüge zusammengeschweißt wurde. Wie hatte es Sartre ausgedrückt? Die Hölle, das sind wir! Welch ein mildes, versöhnliches Wort gegen das, was sich hier offenbarte!

Sterben. Es gab nur diesen Ausweg. Mit diesem Wissen konnte man nicht mehr leben.

So traf ihn Loretta an, eine Stunde später. Er lag noch immer auf der Couch, die Hände vor dem Gesicht. Als die Tür zuklappte, spreizte er die Finger und streckte sie weit von sich.

«Komm nicht näher!«sagte er heiser.»Komm bloß nicht näher! Ich flehe dich an: Faß mich nicht an! Du weißt nicht, wen du berührst! Loretta, geh bitte!«

Sie blieb an seinem Schreibtisch stehen und lehnte sich gegen die Kante. Ihr Gesicht wurde weiß vor Angst.»Was ist passiert?«fragte sie und kam, obwohl er sie abwehrte, näher.»Enrico! Mein Gott, wie siehst du denn aus?«

«Ich kann gar nicht so aussehen, wie ich bin!«Er richtete sich auf und riß das Hemd bis zum Gürtel seiner Hose auf, als ersticke er.

«Ist — ist eine Operation mißlungen?«

«Operation?! Sprich das nie mehr aus! Nie mehr!«schrie er.»Du hast die Flugkarten nach Rom? Schön! Sehr schön! Flieg sofort nach Rom und dann weiter, in den äußersten Winkel der Welt, wo man den Namen Soriano nicht kennt! Du hast ja deinen Paß! Verkrieche dich irgendwo, nimm einen anderen Namen an und vergiß, vergiß ganz schnell, daß du Soriano heißt! Giuseppe — der Wächter? Kein Problem. Ich gehe hinaus und bringe ihn einfach um! Ein Toter mehr — was macht das jetzt noch aus? Vielleicht kann man sein Herz gebrauchen! Es warten ja noch vier Kranke auf ein neues Herz. Viermal zwei Millionen Dollar. Da lohnt es sich doch, einen umzubringen! Es sind schon viele für viel weniger Geld ermordet worden, für eine Flasche Kognak, für ein Kofferradio! Wo ist Giuseppe? Ich mache den Weg für dich frei!«Er wich vor ihr zurück, als sie auf ihn zutrat, und streckte die Arme wieder aus.»Nicht anfassen!«schrie er.»Wo ist dein Vater?«

«In — in Palermo«, sagte Loretta stockend. Sie starrte Volkmar entsetzt an.»Er verteidigt vor Gericht einen Taschendieb.«

«Er verteidigt!«schrie Volkmar und lachte wie ein Wahnsinniger.»Vor Gericht! Der gute Anwalt Soriano! Der Kinderfreund! Der Wohltäter der armen Alten! Küßt dem Kardinal den Ring, und der Papst segnet ihn! Und jeden Sonntag sitzt er in der vordersten Bank und empfängt die heilige Kommunion! Der gute, gute Dr. Soriano! Und kann zum Tode verurteilte Leben retten! Kann Herzen verkaufen! Neue Herzen! Gesunde Herzen! Kräftige Herzen! Junge Herzen! Keins älter als vierundzwanzig Jahre! Kommt her, ihr reichen Herzkranken, kommt alle nach Camporeale, für zwei Millionen Dollar bekommt ihr ein neues Leben! Ich habe einen Chirurgen gefangen, ein deutsches Rindvieh, das in seiner Ahnungslosigkeit glaubt, es verpflanze Herzen von Unfallopfern. Ein deutscher Trottel, der vierzehnmal — bis heute! — nicht gemerkt hat, daß neben ihm, auf dem anderen OP-Tisch, auf seinen Wink hin elegant gemordet wurde! Das neue Herz bitte! Und schon rupft man's einem aus der Brust, wie man eine Rübe aus der Erde zieht! Vierzehnmal Mord — Mord — Mord!«Er lehnte sich gegen die Wand und starrte Loretta an, in abgrundtiefer Verzweiflung.»Hast du das verstanden? Begreifst du, was du hörst? Weißt du endlich, wer ich bin?«

«Nein«, antwortete sie kaum hörbar.»Ich weiß nur, daß ich dich liebe.«

«Dein Vater ist ein Mörder, Loretta! Ein Massenmörder!«

Sie schloß die Augen und senkte den Kopf tief auf ihre Brust.»Komm«, sagte sie mit ganz kleiner Stimme.»Wir müssen gehen. Wir müssen pünktlich in Catania sein.«

«Und ich bin sein Gehilfe! Ich, Dr. Heinz Volkmar! Handlanger eines Massenmörders!«Er hieb mit den Fäusten nach hinten gegen die Wand.»Warum rennst du nicht weg?! Warum fliehst du nicht vor mir?«

«Ich liebe dich, Enrico.«

«Ich habe vierzehn Menschen umgebracht!«

«Du nicht!«

«Ob ich es gewußt habe oder nicht: Auf meinen Befehl hat man sie getötet, um ihre Herzen herauszuholen! — Loretta, nimm das nächste Flugzeug und flüchte so weit weg, wie es möglich ist. Ich habe hier noch etwas aufzuräumen!«

«Ich bleibe bei dir!«sagte sie plötzlich laut und stark.»Und du kommst mit mir.«

«Nein!«

«Enrico, du überlebst das nicht! Du bist allein! Allein gegen meinen Vater und die Organisation! Du hast nicht die geringste Chance! Hier nicht. Aber draußen, in Deutschland, kannst du die ganze Welt informieren!«

«Wer glaubt mir das denn? Wer? Sie werden mich für irre halten!

Kapitel 15

In Camporeale, in den herrlichen Bergen von Sizilien, gibt es ein wunderschönes Kinderheim, das sogar der Papst gesegnet hat! — Soll ich so anfangen? — Aber dieses Kinderheim ist nur eine Tarnung, Leute! Im Keller, zwei Etagen unter der Erde, befindet sich die modernste Herzklinik der Welt. Hier warten ständig acht bis elf Todkranke auf ein neues Herz. Und oben, auf dem obersten Stock des Blockes III, werden dreiunddreißig junge, kräftige, gesunde Männer gepflegt, umsorgt und gemästet wie wertvolles Schlachtvieh, denn genau das sind sie ja: Herzspender! Eine lebende Herzbank! Und da ist ein Chirurg — Leute, hört gut zu —, ein deutscher Arzt, früher Dozent in München, den die Mafia bei einem Urlaub auf Sardinien geklaut hat. Und dieser Idiot merkt von nichts etwas, denkt nur daran, daß er Kranken helfen kann — wenn auch unter sehr extremen Bedingungen —, und verpflanzt nach einer ganz neuen Methode Herzen in von der Medizin abgeschriebene Körper! Und es gelingt. es gelingt vierzehnmal! Vierzehn junge Männer wurden dafür geschlachtet. Jawohl, einfach geschlachtet, und der deutsche Idiot hat es gesehen, durch eine Glasscheibe, und hat vierzehnmal geglaubt, da liege ein Unfallopfer. Man hat ihm sogar jedesmal die Einverständniserklärung der Eltern gezeigt, und er hat alles hingenommen, weil man sich das, was da in Camporeale passiert ist, einfach nicht vorstellen kann! Aber es ist passiert! Geht hin und seht euch Dr. Sorianos Herzbank an!«Er atmete tief durch und wischte sich den Schweiß aus den brennenden Augen.»Soll ich das so hinausschreien? Und du nimmst an, daß mir das einer glaubt? Daß sie mich nicht einfach packen und in eine Anstalt transportieren?! Und was geschieht hier? Staatsanwalt Dr. Brocca wird sofort seinen Freund Don Eugenio warnen. Und wenn die Polizei offiziell kommt, um den Anschuldigungen nachzugehen — was findet sie dann? Ein Kinderheim! Einhundertzwanzig fröhliche, gesunde, glückliche Kinder. Und den päpstlichen Segen, eingerahmt in der Eingangshalle. Die Herzbank? Bitte, Signori, überzeugen Sie sich: Die oberste Etage von Block III ist eine Sonnenterrasse! Im Keller? Bitte, Signori, folgen Sie mir: Wo ist hier eine Herzklinik? Im Keller eine Herz-klinik. das kann ja wohl nicht sein! — Und nichts wird man finden, nichts! Denn die Klinikkeller werden wieder zugemauert sein, und die dreiunddreißig jungen Männer hat es nie gegeben. Dafür werden ein paar Wochen lang Dr. Sorianos Löwen und Krokodile satt bis zur Faulheit sein! — Loretta!«Er starrte sie entgeistert an.»Das kannst du dir alles anhören, ohne aufzuschreien? Ohne vor Entsetzen den Verstand zu verlieren? Es ist dein Vater!«