«Und wenn ich weiter operiere. Was wäre damit gewonnen?«
«Wir leben!«
«Ein Leben auf Zeit! Wir wären Gefangene der Mafia, müßten jederzeit damit rechnen, daß dieser Capo di Tutti Capi in einer Laune sagt: Jetzt macht den Laden dicht!«
«Nein. «Soriano atmete tief auf.»Wenn du morgen bei Mr. McHar-trog das Herz transplantierst, wird alles so sein, als sei dieser heutige Tag nie gewesen. Im Gegenteil; es wird alles viel besser werden. Wir können nach Solunto zurück, du kannst dich frei bewegen, du wirst Loretta heiraten, und halb Palermo wird eingeladen sein. Ich baue euch eure eigene Villa am Meer, du kannst in der ganzen Welt herumreisen — wenn du Zeit dazu findest. Du hast deine Yacht, du wirst ein reicher, von der Umwelt beneideter Mann sein mit einer wunderschönen Frau. Es wird ein Leben der Superlative werden. «Soriano faltete die Hände, wie er es gerne tat, wenn er etwas besonders Eindrucksvolles zu sagen glaubte.»Es wird keine Angst und keinen Zwang mehr geben, weil die Mafia sich um dich keine Sorgen mehr zu machen braucht. Mit der Herztransplantation morgen früh um neun wirst du wissen, daß nebenan ein gesunder junger Mann als Herzspender getötet wird. Du wirst sein zuckendes Herz nehmen und in einen anderen Körper einpflanzen. Damit bist du Mitwisser und Mitschuldiger geworden! Mitmörder! Gibt es denn etwas Zuverlässigeres für die >Organisation< als dich?!«
«Das stimmt«, sagte Volkmar leise.»Dann gibt es kein Zurück mehr. Es sei denn die Selbstvernichtung.«
«Und die bedeutet auch die Vernichtung von Loretta. Und wenn ihr Kinder haben solltet, Enrico, auch der Kinder.«
«Es ist die Hölle!«sagte Volkmar, kaum noch hörbar.»Die vollendete Hölle.«
«Was willst du tun?«fragte Dr. Soriano.
«Ich muß mit Loretta sprechen. Nur ein paar Minuten, die genügen.«
«Man wird es nicht erlauben. Und warum sprechen? Operieren mußt du!«
«Das ist unmöglich.«
«Vergiß, woher die Herzen kommen!«
«Wie kann ich das?«schrie Volkmar und drückte die Fäuste ge-gen die Ohren.»Ich stehe doch daneben, nur durch eine Glasscheibe getrennt. Ich sehe doch jetzt, wie man einen Menschen ermordet, um an sein Herz zu kommen! Und ich nehme es in Empfang! Wie kann man sagen: Du weißt nichts! Du siehst nichts! Du bekommst nur ein Herz und nähst es ein. Woher es kommt — kümmere dich nicht darum! — Das hält doch keiner aus! Auf einen Wink von mir reißt man einem Gesunden das Herz aus der Brust! Wie kann man das ertragen?! Jede Operation ist Mord!«
«Wir drehen uns im Kreis, Enrico. Tust du es nicht, tötest du mit deiner Weigerung Loretta. Kannst du das?«
«Ich muß mit ihr sprechen — «, sagte Volkmar dumpf.»Ich muß unbedingt mit ihr sprechen.«
«Morgen, nach der Operation, kannst du mit ihr ohne Bewachung nach Hause fahren. Du bist ein freier Mann!«
«Ein Killer im Operationskittel!«
«Nein! Ein gottbegnadeter Chirurg, der Leben rettet! Die Herzspender tötest nicht du! Du nimmst nur das Herz in Empfang. Du hast nie einen Menschen umgebracht, du hast immer nur Todkranken geholfen!«
«Aber ich weiß es, und ich sehe es! Und ich tue es, damit die Mafia zwei Millionen Dollar daran verdient!«
«Du tust es für Lorettas Leben, Enrico. Das allein mußt du dir immer vorhalten. Ich rette Loretta. ich rette Loretta. ohne mich ist sie tot! Damit mußt du jetzt leben!«
«Und Sie allein trifft alle Schuld, Don Eugenio. Der Gedanke der Herzklinik stammt ganz allein von Ihnen.«
«Ja, so ist es«, sagte Soriano leise.»Du siehst, Enrico, man kann sich selbst eine Schlinge um den Hals legen, ohne es zu merken. Ich habe, um ehrlich zu sein, nicht mit einem so sturen Charakter gerechnet, wie du es bist. Früher oder später hätte jeder andere resigniert und sein Schicksal so hingenommen, wie es geplant war. Und er hätte sich daran gewöhnt, weil er ein glanzvolles Leben leben darf. Nur du, du verdammter Moralist, wirst von Tag zu Tag stärker!«Dr. Soriano hob beide Hände und ließ sie wieder zurück an seinen Körper fallen.»Ich habe nichts mehr zu sagen. Alles, was man mit Worten erklären kann, habe ich getan. Im Augenblick sind wir die Armseligsten unter der Sonne. Wir könnten die Glücklichsten sein.«
«Ich kann es nicht!«sagte Dr. Volkmar. Er vergrub den Kopf in beide Hände und dachte an den Ablauf der kommenden Operationen.»Auch wenn ich es wollte — ich kann es nicht. Meine Finger wären zu keinem Schnitt, zu keiner Naht mehr fähig.«
Kapitel 16
Um halb neun Uhr morgens holten zwei wortkarge Männer in weißen Pflegermäntel Dr. Volkmar ab.
Eine fürchterliche Nacht lag hinter ihm. Das Chefzimmer war zu einem feudalen Gefängnis geworden. Vor der Tür wechselten die Wachen ab, sie grinsten Volkmar freundlich an, wenn er die Tür öffnete, aber sie schüttelten stumm die Köpfe, wenn er nur einen Schritt aus dem Zimmer trat. Nach dreimaligem Versuch gab es Volkmar auf und zog sich hinter seinen Schreibtisch zurück.
Das Fernsehbild blieb dunkel, das Telefon war abgestellt, die Sprechanlage verstummt. Dr. Zampieri hatte alles stillgelegt, was Dr. Volkmar in einen Kontakt mit der Außenwelt hätte bringen können.
Das Abendessen servierte ein Pfleger, der auf Fragen keine Antwort gab. Dafür war das Essen exzellent: Eine Minestrone mit geriebenem Parmesan, ein großer bunter Salatteller, dazu ein Kalbssteak, innen noch rot, lustig gedrehte Nudeln und eine Pfeffersoße. Zum Dessert ein Eisparfait, mit grünen Feigen garniert. Ein Luxushotel wäre stolz auf dieses Dinner gewesen.
Dr. Soriano und Volkmar aßen nur wenig. Aber die Zweiliterflasche mit tief rotem Wein leerten sie und saßen danach mit deutlichen Anzeichen der Trunkenheit nebeneinander auf dem Ledersofa. Der stumme Pfleger räumte wieder ab und rollte einen Bartisch herein. Kognak, Whisky, Wodka, Aperitifs, Gin, Orangensaft, Mineralwasser, ein Eiskübel mit Eisstückchen, Shaker, Gläser, Rührlöffel. Es fehlte nichts.
«Als wäre Worthlow nebenan und führte Regie«, sagte Soriano mit schwerer Zunge.»Immerhin: Wir können uns bis morgen um neun sinnlos besaufen. Dann kannst du nicht operieren, siehst nicht, wie man Loretta tötet und merkst auch nicht, wie man dich umbringt. Unsere Freunde sind humaner, als ich an ihrer Stelle gewesen wäre!«
«Worthlow!«Volkmar rüttelte den trunkenen Soriano an der Schulter.»Das ist eine Idee! Worthlow wird das alles nicht einfach hinnehmen! Vor allem nicht Lorettas Verschwinden!«
«Worthlow kann gar nichts tun! Man macht einen Finger krumm, und es gibt keinen Worthlow mehr. Wo sollte er Alarm schlagen? Bei Staatsanwalt Dr. Brocca? Per Telefon in Rom? Was soll er sagen: Dr. Soriano, seine Tochter Loretta und ihr Bräutigam Dr. Monteleone sind nicht zum Dinner nach Hause gekommen?! Na und? Werden sie eben in Palermo oder in Trapani essen. Und wird er deutlicher, hängt man ein. Irgendeiner gibt dann einen Wink — und pfiff. Nicht nur in Amerika benutzt man Schalldämpfer. Das weiß Worthlow ganz genau.«
In der unendlich langen, für Volkmar mit quälenden Gedanken ausgefüllten Nacht lag Soriano auf dem Sofa und schlief. Er hatte noch fünf Kognaks getrunken, sich damit regelrecht betäubt, und war schließlich umgefallen. Volkmar hob Eugenios Beine auf das Sofa, öffnete ihm den Hemdkragen, zog die Krawatte herunter und ging dann im Zimmer auf und ab.
Gegen drei Uhr morgens bekam er Besuch. Dr. Zampieri erschien in einer langen Gummischürze, blutbesudelt, die OP-Kappe noch auf dem Kopf. Sein Gesicht drückte seinen Triumph aus.
«Das Kalb hat sein neues Herz, und es schlägt! Es ist mir nicht unter den Händen krepiert, wie Sie erwartet haben. Ich habe Handgriff auf Handgriff nach Ihrem Film gemacht. Meine Anerkennung! Und Ihre Herzaufhängung in den die Gefäße verbindenden Teflonprothesen. Genial! Es ist ein Jammer, daß ein so bedeutender Chirurg auch ein so großes Rindvieh ist! Das mußte ich Ihnen noch diese Nacht sagen!«