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«Winken Sie, Zampieri«, sagte Volkmar. Seine Stimme zerbrach.

Jetzt! Mein Gott. jetzt! Verzeih mir, Herr im Himmel! Konnte ich etwas anderes tun? Ich werde daran zerbrechen, aber Loretta wird weiterleben. Und auch Zampieris Frau und sein kleiner Sohn Franco. Mein Gott, nicht ich habe die Menschen gemacht, sondern du! Und du hast ihnen den Geist gegeben, damit sie sich über das Tier erheben und diese Welt beherrschen zu deiner Freude. Und was ist daraus geworden? Auch du, Herr im Himmel, bist ein Opfer der Menschen geworden. Deine eigene Schöpfung zerstört dich.

Er stützte sich auf den OP-Tisch und wartete. Hinter sich hörte er Dr. Zampieri schnaufen.

Er hat gewinkt, dachte Volkmar. Drüben schneiden sie jetzt den Brustkorb auf. Klemmen die Venen und Arterien ab. Trennen mit schnellen Scherenschlägen das Herz von den Gefäßen. Legen es auf die Glasschale und rennen damit hinüber zu mir.

Der Bäckergeselle Pietro Foco ist getötet.

Ich kann es nicht, schrie es in Volkmar. Ich kann es nicht! Meine Finger sind wie gelähmt! Ich kann dieses Herz nicht anfassen, ich kann es nicht transplantieren. Meine Finger sind vereist, leblos, unbeweglich. Ich schreie auf, wenn ich das junge, kräftige Herz aus der Glasschale heben muß. Mein Gott, laß mich verrückt werden… das ist eine Entschuldigung.

Eine Hand im Gummihandschuh tastete zu Volkmar hinüber und stieß ihn leicht an. Der 1. Assistent. Eine stumme Bitte: Weitermachen, Chef!

Dr. Volkmar nickte. Er spreizte die Finger. Vom Instrumententisch her drückte der Pfleger ihm die erste Schere in die Hand.

Die Exzision des alten Herzens hatte begonnen.

Von da an arbeitete Volkmar wie in Hypnose. Seine Finger schnitten und nähten, transplantierten und explantierten: zehn mechanische Greifer, die jeden Handgriff ausführten, als sei er vorprogrammiert, und nun laufe das Lochband ab.

Das neue Herz wurde herangereicht, eingesetzt, mit den Teflonverbindungen im großen Gefäßsystem aufgehängt und vernäht. Im

Hintergrund klang das Schmatzen der Herz-Lungen-Maschine, die das Blut pumpte, reinigte, mit Sauerstoff anreicherte und mit Spenderblut weitgehend austauschte.

«Sie ist schon weg«, sagte Dr. Zampieri leise Dr. Volkmar ins Ohr. Und als er nicht reagierte, fügte er hinzu:»Loretta ist sofort hinausgerollt worden, als ich das Zeichen gab.«

«Halten Sie die Schnauze!«knirschte Volkmar.»Oder ich schlage aus!«

Handgriff nach Handgriff. hundertmal geübt, vierzehnmal erfolgreich.

Die Kontrolle der Nähte. Die Rückführung in den normalen Kreislauf. Der Stromstoß aus dem Defibrillator. Die ersten Zuckungen des neuen Herzens. Die Meldung vom Oszillographen:»Herz arbeitet. Kurve stabilisiert sich!«Das ungeheure Erlebnis: ein fremdes Herz hat das Leben übernommen. Der Blick in die Augen der Kollegen. Ihr Wimpernzucken. Gratuliere, Chef.. Die Stimme von der Anästhesie:»Puls stabil. Atmung noch flach, erholt sich aber. «Und dann die große Müdigkeit, das Blei in allen Gelenken, die Sehnsucht, sich einfach hinfallen zu lassen und zu schlafen. Und das grauenhafte Bewußtsein: Es ist ein Mensch getötet worden, damit man sein Herz für zwei Millionen Dollar einem anderen Menschen einsetzen kann, und du, Dr. Heinz Volkmar, hast es getan!

Volkmar trat vom OP-Tisch zurück und überließ es dem Team, die Restarbeit, die reine Routine der Schließung des Brustkorbes, zu vollenden. Er streifte die Handschuhe ab, riß den Mundschutz herunter und warf beides auf den Kachelboden. Erst dann wagte er wieder hinüberzublicken in den OP II. Der kleine Saal war leer. Kein Arzt mehr, kein Körper. Ein Pfleger spritzte die letzten Spuren mit einem starken Wasserstrahl in den Bodengully.

Volkmar verließ den OP. Im Vorraum stand kein Don Giacomo, niemand hielt ihn mehr auf. Auf dem Flur keine wortkargen Männer mit Maschinenpistolen, keine Augen, die jede Bewegung von ihm verfolgten. Er ging den langen Gang hinunter bis zum Lift, fuhr in den Keller Nr. 1 und war auch hier allein. Vor der Tür zum

Chefzimmer keine Wache mehr, niemand, der ihn gehindert hätte, mit dem anderen Lift hinaufzufahren in die Halle des Kinderheimes und damit in die Freiheit.

Er startete einen Versuch, ging zu dem Lift und wartete darauf, daß von irgendwoher ein Anruf erfolgte. Aber nichts rührte sich. Die Welt lag offen vor ihm. Warum sollte man den Chefchirurgen der Mafia auch behindern, den Mann, der die Herzen ermordeter junger Burschen transplantiert?!

Volkmar ging zurück und stieß die Tür zum Chefzimmer auf. Fast gleichzeitig sprangen Dr. Soriano und Loretta von der Couch. Mit einem Aufschrei rannte ihm Loretta entgegen und fiel in seine Arme.

«Mein Liebling!«rief sie.»Mein armer, armer Liebling! Oh, was haben sie jetzt mit dir getan?!«Dann weinte sie, hing an seinem Hals, er mußte sie zum Sofa zurücktragen und hinlegen. Er setzte sich, bettete ihren Kopf in seinen Schoß und streichelte unentwegt ihr zuckendes Gesicht.

Dr. Soriano starrte ihn aus rotumränderten Augen an.»Ich danke dir, Enrico«, sagte er leise.»Du kannst von mir haben, was du willst. Das vergesse ich dir nie. Du hast meinen Engel gerettet. Dafür kann ich dir nicht mehr danken, weil jeder Dank zu gering wäre.«

«Und wie geht es weiter?«fragte Volkmar tonlos. Er küßte Lorettas tränennasse Augen und wehrte sich nicht, als sie seine Hand ergriff und in seinen Zeigefinger biß, als sei er ein Stück Holz.

«Wenn du willst, fahren wir sofort nach Solunto zurück. Der Cadillac steht draußen. Ich habe schon mit Worthlow telefonieren können. Er war in großer Sorge. Aber jetzt bereitet er ein Festmahl vor.«

«Wie lange ist Loretta schon hier?«

«Seit über einer Stunde. Sie war noch ziemlich wackelig auf den Beinen, als Don Giacomo sie mir brachte. Aber sie hat sich schnell erholt. Und dann hat sie gebetet, daß du viel, viel Kraft haben mögest, um das durchzustehen. Und du hast die Kraft gehabt!«

«Irrtum! Ich bin völlig ausgebrannt. «Volkmar legte den Kopf weit zurück und starrte gegen die mit Nußbaumholz getäfelte Decke.»Ich weiß nicht, wie ich das überlebe.«

«Du wirst dich daran gewöhnen.«

«Gewöhnen? Jedesmal das Herz eines Ermordeten zu verpflanzen? Daran soll ich mich gewöhnen?!«

«Ich liebe dich!«sagte Loretta und schlang die Arme um ihn.»Ich liebe dich.«

«Liebe?! Du müßtest vor Ekel aufschreien, wenn ich dich anfasse!«

«Du hast es für mich getan. «Sie preßte ihr Gesicht gegen seine Brust.»Jetzt lebe ich wirklich nur durch dich. Oder ich sterbe durch dich. Alles liegt in deiner Hand.«

«Das ist ja das Hundsgemeine!«sagte Volkmar rauh.»Wer leben will, muß töten!«

«Die Rückkehr zur Urform! Das Leben des Menschen ist ständiger Krieg. Je mehr Opfer am Wege, um so erfolgreicher!«Dr. Soriano ging zur Tür. Er war wieder der große Anwalt von Palermo, der Don Eugenio, dem man Sizilien wie ein Lehen gegeben hatte. Die vergangene Nacht konnte gestrichen werden, sie war Episode geworden. Nur die borkige Blutkruste auf der Stirn erinnerte an Stunden, in denen auch ein Dr. Soriano nur ein Häuflein Angst gewesen war.»Können wir fahren? Worthlow hat frischen Lachs in der Folie gebacken, wie er am Telefon sagte.«

«Sie können jetzt essen?«Volkmar drückte Loretta an sich, als sei sie ein kleines, weinendes Kind.»Jetzt?!«

«Ich habe einen barbarischen, kannibalischen Hunger! Und auch du mußt etwas essen! Kommt, Kinder, ihr solltet euch, ohne viel nachzudenken, eurer neuen herrlichen Freiheit erfreuen! Enrico: Unser Haus am Meer, deine Yacht, der Park mit den Wasserspielen.«

«Den Krokodilen, den Löwen.«

«Ich werde sie abschaffen!«Soriano stieß die Tür auf. Er trat einen Schritt hinaus in den Flur und kam wieder zurück ins Zimmer.»Enrico — «, sagte er leise.»Ich werde nicht vergessen, was sie mit uns heute nacht angestellt haben. Es gibt einige Namen, die man nur noch ausbrennen kann! Ich habe noch einiges zu tun, bevor ich abtrete.«