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«Kein Wort mehr! Ich will ein Telefon, um meine Anwälte anzurufen! Ich fühle mich von Ihnen belästigt und bedroht! Wie kann ein Arzt.«

«Sie haben ein neues Herz«, sagte Professor Latungo unbeirrt.»Transplantiert mit einer Methode, die es gar nicht gibt! Ich muß Sie hierbehalten, Signore, und die Staatsanwaltschaft benachrichtigen. Ihr neues Herz ist keine absolute Privatangelegenheit mehr. Ein solches Herz nicht!«

«Was soll das heißen: Nicht ein solches Herz?!«

Gegen den Willen Tortallas, der mit Anzeigen wegen Mißhandlung und Freiheitsberaubung drohte, röntgte man seinen Brustkorb noch einmal von allen Seiten und mit Schichtaufnahmen, die deutlich bewiesen, daß ein neues Herz durch Verbindungsstücke aus Kunststoff in das Gefäßsystem eingehängt worden war. Der Körper hatte nicht nur das Herz angenommen, auch die Prothesen waren bereits weitgehend integriert und als neue Adern vom Körper akzeptiert worden.

Professor Latungo und seine Ärzte saßen wie im Theater vor den Röntgenbildern und diskutierten. Das Spital der >Schwestern vom flammenden Herzen Maria< wurde zum Pilgerort aller römischen Chirurgen, an der Spitze die Ärzte der Universität, die schon vor zwei Jahren mit großem Mißtrauen die Transplantationen Christiaan Barnards verfolgt hatten. Auch die Mißerfolge der anderen Herz-verpflanzer, in Amerika vor allem Professor Denton Cooley und Professor Michael DeBakey, die Houston in Texas zu einem Mekka der hoffnungslos Herzkranken hatten werden lassen, waren mit bitterer Ironie glossiert worden. Ein Herz ist eben doch nicht nur ein Muskel, nicht nur ein Pump-Gehäuse, das jeden Tag im immerwährenden Kreislauf 15.000 Liter Blut durch das Adersystem des Körpers treibt. 80mal in der Minute schlägt dieses Herz, 100.000mal am Tag, und wenn ein Mensch 70 Jahre alt wird, hat dieses Herz fast 3 Milliarden mal gepumpt, ohne Ruhe, Tag und Nacht. Eine unvorstellbare Leistung für einen von der Natur kompliziert und raffiniert konstruierten Muskel. Eines der großen Wunder: Wie hält dieser >Motor<, bei der mangelhaften Pflege, die der Mensch im allgemeinen seinem Herzen zubilligt, eine Leistung von 3 Milliarden Schlägen aus?! Der Mensch nimmt es hin, es muß einfach so sein, denkt er, und während er die Fahrradkette einfettet, den Motor ölt und reinigt, das Getriebe überwacht und sein geliebtes Fahrzeug zur Inspektion in die Werkstatt bringt und es noch einmal vom TÜV durchtesten läßt — um sein Herz kümmert er sich erst, wenn irgend etwas >nicht stimmt<. Und während sein Automotor das beste Benzin mit der höchsten Oktanzahl und das beste Öl erhält, jagt er durch sein Herz jeden Tag inhaliertes Nikotin und Verbrennungskondensate, die Reizstoffe des Alkohols und die lähmenden Substanzen von Tabletten, Pillen, Dragees und Kapseln. Im Laufe eines Lebens Kilogramme von Tabletten, Hektoliter von Alkohol — das Herz muß das alles schlucken, verarbeiten, durchpumpen, verkraften. Man verlangt das einfach von ihm! Und bricht es eines Tages doch zusammen, wundert man sich und erwartet von den Ärzten göttliche Fähigkeiten.

Die Röntgenbilder des Mailänder Bankiers Leone Tortalla waren eine echte, wenn auch noch weithin unbekannte Sensation. Professor Latungo hatte alle Kollegen, die er zur Besichtigung der Aufnahmen eingeladen hatte, als handele es sich um eine private Vorführung pornographischer Fotos, mit Handschlag verpflichtet, zunächst volles Stillschweigen darüber zu wahren. Und wer dann vor dem breiten Lichtband stand, an dem die Röntgenbilder hingen, verstand, warum Latungo so geheimnisvoll getan hatte.

Vier Tage nach Tortallas Unfall saßen neunundvierzig Ärzte aller Fachrichtungen in Latungos großem Ordinationszimmer und ließen sich erklären, was kaum glaubhaft war. Latungo, der den Vortrag hielt, konnte auch nichts anderes sagen, als was man aus den Bildern herauslesen konnte. Anwesend waren auch der General-staatsanwalt von Rom, zwei Oberstaatsanwälte, zwei Rechtsanwälte, die Tortalla herbeigerufen hatte, und ein Vertreter des Innenministeriums. Um die ganze Sache noch ein wenig theatralischer zu machen, hingen neben den Röntgenbildern Fotos, die man von dem Bankier gemacht hatte: Ein älterer Herr, im Bett sitzend, durch Kissen gestützt, rot im Gesicht und erkennbar schimpfend, mit Ärzten und Schwestern diskutierend, und — ein besonders dramatisches Foto: im zornigen Disput mit Professor Latungo, gegen den er beide Fäuste schüttelte: das Bild eines kraftvollen Mannes, der unglücklicherweise in ein Motorrad gerannt war, kurz nachdem er in fröhlicher Stimmung ein Weinlokal verlassen hatte.

Diese Fotos und die Röntgenbilder ließen eine geheimnisvolle Lebensgeschichte erraten.

«Wir können natürlich nicht wieder den Thorax von Signore Tortalla eröffnen, um nachzusehen, was da drinnen geschehen ist«, sagte Professor Latungo im Laufe seines Vortrages.»Aber auch wenn wir uns nur auf die Interpretierung der Röntgenaufnahmen beschränken, bleibt genug übrig. Sie sehen, meine Herren, daß ein vollkommener Herzaustausch vorgenommen worden ist. Eine ganz andere Methode als bei Barnard, Cooley oder DeBakey. Es ist auch kein Kunstherz, wie es schon 1958 der Kollege Willem Kolff in Cleveland versuchte, der einem Kalb ein Plastikherz einsetzte, zwei Kunststoffkapseln mit einer dünnen Gummimembrane, die die Pumptätigkeit übernahm und über einen kleinen Motor, der Preßluft zum Bewegen der Gummimembrane lieferte, den Arbeitsimpuls erhielt. Das Kalb lebte damals eineinhalb Stunden! Ein Fortschritt, gewiß — aber doch nur eine medizinisch-technische Spielerei. So sehe ich es, wie auch viele unserer Kollegen. Als Herzersatz, als neues Herz, das neues Leben liefert, sind alle diese Kunstherzen noch unbrauchbar für den Großeinsatz. Und es wird noch Jahre dauern, bis solche Prothesen so ausgereift sind, daß man von einem >Ersatzteil< sprechen kann. Aber hier«- Professor Latungo zeigte mit einem Demonstrationsstock auf einige Röntgenbilder —»haben wir ein neues Herz, ein natürliches Herz, und dieses Herz hat man in Kunststoffprothesen aufgehängt, so wie man einen Waschmaschinenmotor der Schwingungen wegen in Gummi lagert! Ich gestehe: Das ist umwerfend! Das ist phänomenal! Und das ist geradezu verbrecherisch in meinen Augen! Schon des Risikos wegen. Hier hat man mit einem Herzen und einem hilflosen kranken Menschen, und das muß Signore Tortalla damals gewesen sein, ein vom medizinischen Standpunkt aus unverantwortliches Vabanque-Spiel getrieben! Aber wer hat da operiert? Und wo? Wer diese Transplantation gemacht hat, ist — trotz aller Vorbehalte — ein Genie! Allerdings ein Genie, das am Rande des Wahnsinns jongliert. Aber Signore Tortalla schweigt und wirft uns aus dem Zimmer!«

«Ist die Operation gelungen?«fragte einer von Tortallas Anwälten in die erwartungsvolle Stille.

«Ja. Aber.«

«Ging es ihm nicht blendend, bevor er in das Motorrad lief?«

«Das ist nicht das Primäre.«

«Für uns doch, Professor Latungo!«Der Rechtsanwalt blickte hinüber zu den Vertretern der Staatsanwaltschaft. Sie starrten noch immer fasziniert auf die Bildergalerie vor dem Leuchtband.»Signore Tortalla war kerngesund, nahm voll seine Geschäfte wahr, spielte Golf, schwamm vorzüglich, machte Ausflüge mit seiner Motoryacht, gilt als eleganter Tänzer. Ich frage Sie, meine Herren: Wieso ist das ein Problem? Im Gegenteiclass="underline" Das, was Sie hier veranstalten, ist problematisch und greift tief in die Persönlichkeitsrechte meines Mandanten ein! Ich verwahre mich dagegen! Ist Signore Tortalla transportfähig?«

«Ja — «, sagte Professor Latungo gedehnt.»Aber.«

«Ich fordere seine Entlassung!«

«Warum umgibt man diese sensationelle, einmalige Operation mit einem solchen Stillschweigen?«Der Generalstaatsanwalt sah zu den beiden Rechtsanwälten von Leone Tortalla hinüber.

«Würden Sie ein Extrablatt drucken lassen und in Rom verteilen, Herr Generalstaatsanwalt, wenn Sie den Tripper hätten?«