«Ich muß doch bitten!«Der Staatsanwalt sprang auf.»Wollen wir in diesem Ton weiter — «
«Wir wollen gar nicht darüber sprechen!«unterbrach ihn der zweite Anwalt.»Jeder Mensch kann über seinen Körper selbst bestimmen. Ob man ein Hustenmittel schluckt oder sich ein neues Herz einpflanzen läßt, ist allein der Entscheidung des einzelnen überlassen. Signore Tortalla hatte seine Erlaubnis zur Transplantation gegeben, sie wurde durchgeführt, sie war erfolgreich, sie hat sein Leben gerettet, ihn um Jahre verjüngt! Wen geht das an außer Signore Tor-talla selbst?!«
«Es geht die Medizin eine ganze Menge an!«rief Professor Latungo.»Gut. Betrachten wir den Fall Tortalla isoliert. In Anbetracht seiner gesellschaftlichen Stellung wäre es denkbar, daß das Bekanntwerden dieser Operation vielleicht berufliche Nachwirkungen gehabt hätte. Gut! Erkennen wir das an! Ich erlebe es oft, daß hochgestellte Persönlichkeiten in die Klinik kommen und zu mir sagen: >Bitte, lassen Sie nicht nach draußen dringen, daß ich krank bin. Ich darf einfach nicht krank sein. Von mir erwartet man eiserne Ge-sundheit!< Und dann schirmen wir diesen Herrn eben ab! Im Falle Tortalla ist das aber anders.«
«Oho! Und warum?!«rief einer der Anwälte.»Nur weil man nicht seine Prostata operierte, sondern sein Herz?«
«Genau darum! Ich wiederhole: Bei Signore Tortalla ist die Operation gelungen. Aber das ist fast ein Wunder! In der Medizin gilt aber nicht der Wunderglaube, sondern die nüchterne Tatsache. Und Tatsache ist für mich: Diese vollkommene Herztransplantation mittels dieser abenteuerlichen Methode war und ist nicht die einzige Transplantation, die dieser unbekannte Chirurg vorgenommen hat! Wie oft ist sie ihm mißlungen? Wieviel Menschen sind durch dieses Vabanque-Spiel gestorben? Wie oft hat dieser Arzt ohne ethisches Verantwortungsgefühl — ja, ich nenne es ganz klar ein Verbrechen am Patienten! — Herzen in dieser Art ausgetauscht und damit praktisch am Menschen experimentiert?! Das ist das Ungeheuerliche, meine Herren: Hier wurden Humanexperimente vorgenommen!«
«Aber mit Erfolg!«Der zweite Anwalt Tortallas lachte breit. Man sah ihm an, wie gut es ihm tat, sich in diesem Kreis aufgescheuchter
Mediziner als versierter Jurist aufzuspielen.»Wollen Sie noch einen schlagenderen Beweis: Nach einer Pause von vier Jahren ist Signore Tortalla glücklich, eine um siebenundzwanzig Jahre jüngere Geliebte zu haben. Sie hat sich über Vitalität noch nie beklagt.«
Der Generalstaatsanwalt lächelte mit männlicher Anerkennung und setzte sich sichtlich besänftigt. Eine um so viel jüngere und zufriedene Geliebte: das neue Herz war tatsächlich eine Wucht! Aber das schloß nicht aus, daß bei dieser Operation möglicherweise ein krimineller Hintergrund zu klären war.
«Warum aber«, fragte er,»macht man aus dem Arzt und dem Operationsort ein solches Geheimnis?!«
«Das ist allein eine Angelegenheit von Signore Tortalla!«
«Kennen Sie den Arzt und das Krankenhaus, Dottore?«
«Nein!«Der Anwalt schüttelte den Kopf. Jeder glaubte ihm das.»Ich bin nur beauftragt, Ihnen zu erklären, daß mein Mandant in Ruhe gelassen werden möchte. Er will sofort nach Hause, weil seine Behandlung hier skandalös ist! Sein Herz geht keinen etwas an!«
«Die Staatsanwaltschaft ist da anderer Ansicht. «Es sprach der Oberstaatsanwalt, der bisher noch nichts gesagt hatte.»Sie schließt sich den Ausführungen von Professor Latungo an: Diese Operationsmethode ist abenteuerlich! Abenteuer in der Medizin aber sind, eben weil Menschen dabei zu Schaden kommen, von öffentlichem Interesse. Der Staat muß sich darum kümmern! Wir werden ein Gutachten anfordern und sind sicher, daß dieser noch unbekannte Arzt in der noch unbekannten Klinik die Staatsanwaltschaft beschäftigen wird.«
«Aber wie wollen Sie den Arzt kennenlernen?«rief der erste Anwalt.»Wollen Sie die Röntgenbilder und die Fotos von Signore Tor-talla um die ganze Welt funken lassen? Allen Zeitungen, Illustrierten, Fernsehstationen senden?«Der Anwalt hob die Stimme, als stünde er vor dem obersten römischen Gericht.»Ich protestiere nicht nur dagegen, ich mache auch die Staatsanwaltschaft für alle persönlichen, geschäftlichen und gesellschaftlichen Schäden verantwortlich, die Signore Tortalla durch das Bekanntwerden seines kör-perlichen Leidens entstehen!«
«Mir ist es rätselhaft, wie diese Operationen — denn sicher wurden einige vorgenommen — bisher unbekannt bleiben konnten«, sagte Professor Latungo unbeirrt.»Eine solche Tranplantation beschäftigt ein bis zu achtzehn Mann starkes Ärzteteam! Die Schwestern nicht mitgerechnet, die später auf Intensivstation und in der Pflege arbeiten! Es muß also eine große Klinik gewesen sein, eine Klinik mit bester Ausrüstung! Wieso ist da nichts durchgesickert? Es gibt keine größere Klatschzentrale als eine Klinik. Aber hier? Nichts! Absolut nichts! Totales Schweigen. Meine Herren, wir können aufzählen, wo man solche Operationen machen kann. Es gibt nicht viele Häuser, die entsprechend ausgestattet sind. Amerika fällt aus; da hätte man die Meldungen von solchen Großtaten der Medizin längst um den Erdball gejagt. Paris? Auch hier hätte es einen Erfahrungsaustausch unter Kollegen gegeben. Deutschland? Aus München, Düsseldorf, Erlangen, Berlin und Hamburg ist nichts bekannt. Auch nicht aus Tübingen, Heidelberg oder Köln. Mit Transplantationen beschäftigen sich alle, wie Gütgemann in Bonn — aber eine solche Herzoperation? Hier in Italien? Unmöglich! Bei Barnard in Kapstadt? Was im Groote-Schuur-Hospital geschieht, weiß jeder. Von dort ist der Informationsfluß lückenlos. London, Stockholm, Brüssel, Sydney, Amsterdam? Überall das große Abraten nach den vielen Rückschlägen. Überall nur Tierexperimente. «Professor Latungo tippte mit seinem Zeigestock wieder gegen die Röntgenbilder. Seine Hand zitterte vor Aufregung.»Aber hier haben wir den Beweis: Irgendwo tauscht man mit Erfolg ganze Herzen aus! Und das soll einem gleichgültig sein? Ich bitte Sie, meine Herren!«
«Vielleicht fragen Sie einmal in Rußland oder China nach?«sagte der erste Anwalt sarkastisch.»War es nicht auch Demichow, der einen Hundekopf auf einen anderen Hund transplantierte, und dieser Hund lebte mit zwei Köpfen wochenlang weiter?!«
«Es läßt sich feststellen, ob Signore Tortalla in Peking oder Moskau war«, sagte der Generalstaatsanwalt.»Dann allerdings wäre sein Schweigen erklärbar.«
«Ich kann Ihnen Arbeit ersparen«, sagte der Anwalt.»Signore Tortalla war weder in Moskau noch in Peking! Er war auch nicht in den USA. Allerdings reiste er nach Kapstadt und stellte sich Professor Barnard vor. Barnard lehnte die Operation ab; er beobachtete noch seinen Starpatienten Dr. Blaiberg. Außerdem gab Barnard, das sagte er ganz offen, Signore Tortalla keine Chancen. Labortests ergaben zudem, daß Signore Tortalla seltene Eiweißverbindungen hat. Es wurde als aussichtslos betrachtet, jemals einen Herzspender zu finden, der genetisch harmonisierte. Man ist ja auf Unfallopfer angewiesen.«
«Sie verstehen ja was von Medizin!«rief Professor Latungo.»Und damit drängen Sie Ihren Mandanten in die Aussagepflicht! Trotz all dieser Schwierigkeiten, die selbst Barnard als unüberwindbar betrachtete, wurde dennoch eine vollkommene Herztransplantation vorgenommen — und mit sichtbarem Dauererfolg! Meine Herren!«Latungo hob die Stimme, sie wurde hell und durchdringend.»Ich beschwöre Sie: Hellen Sie das Dunkel um dieses Herz auf!«
Es klang dramatisch, bühnenreif deklamiert. Das verfehlte bei Italienern seine Wirkung nicht.
«Wie steht es überhaupt mit den Herzverpflanzungen?«fragte der Generalstaatsanwalt.
«Mies! Bis heute sind einhundertdreiundvierzig Herztransplantationen nach der bekannten konservativen Methode gemacht worden. Die meisten in den USA, von Professor Norman Shumway und Professor Dr. DeBakey. Aber die immer tödlichen Abstoßreaktionen haben zu einer Resignation bei den Chirurgen geführt. Man ist jetzt schon soweit, Herzverpflanzungen als medizinische Kuriositäten zu betrachten, die immer seltener werden, weil wir Ärzte immer verpflichtet sind, dann zu helfen, wenn es einen Sinn hat! Selbst DeBakey, Star aller Herztransplantatoren, hat neulich geäußert: >Wenn sich auf diesem Gebiet nicht etwas Neues tut, hat es einfach keinen Zweck!< Das sagt der Mann, der bisher die meisten Herzen verpflanzt hat! Meine Herren — in der ganzen Welt gibt es heute etwa fünfzehn Forschungsinstitute, die sich mit Herztrans-plantationen und der Konstruktion eines Kunstherzens beschäftigen. Ich nenne nur einige Namen: Professor Yukihito Nose in Cleveland oder Professor Valery I. Shumakov vom Zentralinstitut für Herzchirurgie in Moskau. Auch er arbeitet an einem Totalersatz des Herzens durch eine künstliche Blutpumpe! Da ist Professor Bücherl in Deutschland oder Professor Kolff und Professor Cooley in den USA. Wie auch immer die einzelnen Methoden aussehen — es gibt ein großes Problem: Neben der Immunschranke die Verhinderung von Blutgerinnseln, den Thromben, die entstehen, wenn das Blut in Kontakt mit dem Kunststoffherzen oder Kunststoffgroßgefäßen kommt! Das reibungslose Fließen des Blutes ist die Vorbedingung für einen normalen Herzschlag zwischen 80 und 100 Schlägen pro Minute. 10.000 bis 15.000 Liter Blut pro Tag, meine Herren — das ist in 24 Stunden ein riesiger Tankwagen voll. Und den füllt das kleine Herz, zwölf Zentimeter lang und neun Zentimeter dick, mit seiner Saug-und Pumpleistung!«Professor Latungo holte tief Atem:»Was sagte DeBakey? >Solange es auf diesem Gebiet nicht etwas Neues gibt…< Wir haben etwas Neues! Hier sehen Sie es alle, meine Herren. «Er tippte mit dem Zeigefinger gegen die Röntgenbilder.»Der vollkommene Herzaustausch — die Sehnsucht aller Chirurgen! Es gibt ihn! In aller Heimlichkeit wird er ausgeführt. Und nur durch Zufall wurde er entdeckt! Und das sollen wir einfach hinnehmen?! Nein!«