«Sie müssen es!«sagte der andere Anwalt von Leone Tortalla ruhig.
«Wir müssen nicht!«Der Generalstaatsanwalt stand auf und blickte sich im Kreise der Mediziner und Juristen hoheitsvoll um.»Ihre Proteste, meine Herren Anwälte, nehme ich zur Kenntnis. Der Staat wird dennoch eingehende Untersuchungen anstellen und vorerst anordnen, daß Signore Tortalla in der Klinik verbleibt.«
«Protest!«rief der erste Anwalt.
«Zur Kenntnis genommen!«Der Generalstaatsanwalt lächelte mokant.»Ich sagte es schon. Wie wollen Sie protestieren? In aller Öffentlichkeit? Damit kämen Sie unserem Bestreben, Klarheit in diese mysteriöse Geschichte zu bringen, sehr entgegen! Es sei denn,
Sie könnten erklären.«
«Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß wir nicht wissen, wo unser Mandant operiert worden ist. Er ist damals weggefahren, mit unbekanntem Ziel, und kam nach drei Monaten mit einem neuen Herzen zurück. Gesund und wie verwandelt.«
«Dann kann uns nur noch Signore Tortalla selbst helfen.«
«Völlig sinnlos, darauf zu warten.«
«Wir werden es versuchen. Im Interesse Hunderttausender Herzkranker, die vielleicht gerettet werden könnten.«
«Wohl kaum!«warf Professor Latungo ein und schaltete die Lichtwand aus. Wie dunkle, abstrakte Bilder hingen die Röntgenfotos an ihren Chromklammern.»So viele Spenderherzen kann es niemals geben.«
Wer dachte in diesem Kreis schon an etwas so Grauenhaftes wie Dr. Sorianos lebende Herzbank?
Sieben Tage lang wurde der arme Bankier Leone Tortalla von den Staatsanwälten und Ärzten bearbeitet. Seine Anwälte reichten schriftliche Proteste ein, die man zunächst unbearbeitet zur Seite legte. Das ist die Stärke der Behörden in allen Ländern, nicht nur in Italien: Man kann ihnen selten nachweisen, daß sie nichts tun! Es heißt immer: Die Akte ist im Vorgang. Vorgang aber heißt für den Eingeweihten: Die Sache durchläuft den Instanzenweg und bleibt überall ein bißchen hängen. Schnelle Weitergabe würde ja beweisen, daß man nichts zu tun hat. Je länger aber eine Akte im Behördenkreislauf unterwegs ist, um so leichter ist der Nachweis der Überlastung zu erbringen. Ein System, das immer funktioniert.
Leone Tortalla beleidigte die Ärzte mit Worten, die eines angesehenen Bankiers unwürdig waren, empfing die Beamten der Staatsanwaltschaft, ja selbst den Herrn Generalstaatsanwalt mit unflätigen Bemerkungen.
Die Sache wurde noch verworrener, als am fünften Tag die um siebenundzwanzig Jahre jüngere Geliebte in Rom eintraf und sich an das Bett setzte. Eine Schönheit, das gab jeder zu, ein Häschen, das im Bett eine Wildkatze sein mußte, vollbusig, eng in der Taille, langbeinig und glutäugig. Das richtige für eine Luxusyacht und eine Mittelmeerfahrt. Daß Tortalla sie bisher mit Bravour hatte zähmen können, bewies von neuem, wie vorzüglich die Herztransplantation gelungen war.
Aber Tortalla fluchte auch bei seiner hübschen jungen Geliebten. Sie sagte nämlich:»Mein Wölfchen, nun sag doch der Polizei, was sie wissen will! Es ist doch nichts dabei. Ich weiß nun, daß du ein neues Herz hast. Das ist doch wunderbar. Du kannst hundert Jahre alt werden! Überleg mal, wie lange wir dann zusammen sein können! O mein Schatz, jetzt liebe ich dich noch mehr! Du hast ein wunderbares, junges Herz.«
Tortalla rang mit sich, ob er sein >Mäuschen< nicht aus dem Krankenzimmer werfen lassen sollte. Aber dann küßte sie ihn, fuhr mit der kleinen, beweglichen Hand unter die Bettdecke und stellte rapide Fortschritte seiner Genesung fest.
«Kein Wort mehr darüber«, sagte er, schneller atmend, während er der verdammten kleinen Hand entgegenkam.»Sorg auch du dafür, daß ich so schnell wie möglich 'rauskomme! Ich verspreche dir: Wir fahren mit der Yacht nach Marbella!«
Aus Marbella wurde nichts.
Am neunten Tag bekam Tortalla plötzlich Fieber. Es stieg schnell auf 39,4, und eine große Schwäche durchzog seinen Körper. Die Ärzte, an der Spitze Professor Latungo, liefen mit ernsten Gesichtern herum. Ihre Diagnose stand fest: Verschattungen im rechten Lungenlappen, Bildung eines Exsudats, deutliche Dämpfung bei der Perkussion, Druckgefühl in der Brust, Schmerzen in der rechten Schulter, beginnende Atemnot mit Röchelgeräusch.»Da haben wir die Scheiße!«sagte Professor Latungo bei der morgendlichen Arztbesprechung.»Eine ausgewachsene Pleuritis exsudativa! Und warum? Man darf es gar nicht laut sagen: Weil wir vor lauter Nachforschungen die dauernde antiinfektiöse Immunität, die er als neuer Herzträger bekommen muß, vernachlässigt haben! Meine Her-ren, wenn man uns das nachweisen kann, wird man uns die Hosen vom Hintern ziehen! Und wenn wir am Tag sechsunddreißig Stunden arbeiten — wir verstehen uns? — , Signore Tortalla darf nicht in der Kiste aus dem Haus gebracht werden!«
Man tat alles in der Klinik der >Schwestern vom flammenden Herzen Maria<. Man pumpte hohe Dosen Antibiotika in den Kreislauf Tortallas, machte eine Pleurapunktion durch Einstechen eines Trokars in die hintere Axillarlinie im 6. Interkostalraum und ließ das angesammelte Exsudat ab. Es war von grünlich-gelber Farbe und enthielt im Sediment eine Menge Leukozyten. Die ganze Skala einer Pleuritis-Therapie lief ab. Aber Tortalla reagierte kaum darauf. Die ständig eingenommenen Mittel gegen die Abstoßungserscheinungen hatten dem Körper die eigene Abwehrkraft genommen; er erlag jetzt der Infektion von außen. Professor Latungo kam in Zeitnot, das Wettrennen war kaum noch zu gewinnen.
Die Anwälte saßen um Tortallas Bett herum und bekamen genaue Anweisungen von dem hochfiebrigen Kranken, was sie gegen die >verdammten Ärzte, die mich umbringen wollen<, unternehmen sollten. Die Staatsanwälte, die noch immer wie Geier herumhockten und hofften, aus dem geschwächten Tortalla das große Geheimnis herauszuholen, bedachte der Fiebernde mit Ausdrücken wie: Faschistenhunde, Mordgehilfen.
Tortalla mobilisierte alles, was er an Willen besaß, aber der reaktionslos gemachte Körper verweigerte jetzt, wo es ums Leben ging, die Mitarbeit. Nun bekam er auch noch Herzstiche, und der Herzrhythmus, der bisher so fabelhaft funktioniert hatte, ließ nach. Professor Latungo wagte nicht, es laut auszusprechen: An den Transplantaten zeigten sich die ersten Symptome der Abstoßung.