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«Wir müssen mit allem rechnen«, sagte er am zwölften Tag bei der Arztbesprechung.»Wenn wir die Infektion nicht beherrschen — ihm zum zweitenmal ein neues Herz zu geben, ist völlig ausgeschlossen! Das könnte — vielleicht — nur der geheimnisvolle Kollege, der dieses Herz transplantiert hat! Verdammt, wo ist er?!«

Leone Tortalla rang vierzehn Tage mit sich und seinem Eid, nie im Leben zu verraten, woher er sein neues Herz bekommen hatte. Nie im Leben, hatte er Dr. Soriano geschworen. Aber war das noch Leben? War es nicht schon der Abstieg in den Tod? Ohne seine Schuld war das geschehen, das konnte er beeiden. Allein die Nachlässigkeit der Ärzte und ihre Neugier auf den geheimnisvollen Herz-verpflanzer war daran schuld. Nun starb Tortalla — weil er schwieg. Vom Sterben aber hatte Dr. Soriano nichts gesagt. >Nie im Leben< — das war klar formuliert. Aber das Leben fieberte weg.

Tortalla beriet sich mit seinen Anwälten. Juristen leben von ihrer Fähigkeit, Worte und Begriffe auszulegen. Davon leben sie.

Tortalla erfuhr in diesem kurzen Gespräch, das er mit größter Mühe durchstand, im Fieber glühend, stoßweise atmend, mit Stechen am Herzen und einem lähmenden Druck in der ganzen rechten Thoraxhälfte bis hinunter zu Leber und Milz, daß sein Eid gegenüber Dr. Soriano — zum erstenmal fiel dieser Name — in dieser Situation gegenstandslos geworden sei.

«Dann muß sofort etwas geschehen!«sagte Tortalla schwach.»Sofort! Rufen Sie Dr. Eugenio Soriano an. Palermo. Corso Vittorio Emanuele. Jeder kennt ihn in Palermo. Und sagen Sie ihm, daß ich elend zugrunde gehe, wenn er mich nicht sofort holt. Er soll umgehend in Camporeale ein Zimmer freimachen. Ich zahle eine Million Dollar, wenn ich gerettet werde. Und noch einmal zwei Millionen Dollar, wenn ein neues Herz nötig ist!«

Leone Tortalla sank zurück, schloß die Augen und verfiel sichtlich. Die Anwälte starrten sich fassungslos an.

«Palermo? Was ist Camporeale? Zwei Millionen Dollar für ein Herz? Signore Tortalla.«

«Rufen Sie an. Bitte! Blitzgespräch!«Der Kranke röchelte. In ein paar Minuten mußte wieder der Pleuraerguß abgesaugt werden. Eine entsetzliche Qual.»Nur noch Dr. Monteleone kann helfen.«

«Dr. Monteleone?«

«Das ist er. «Tortalla hatte Mühe, weiterzusprechen.»Der größte Chirurg. Maria! Ruft doch an! Ich will nicht sterben… nicht so sterben! Mietet eine Sondermaschine nach Palermo. Schnell.

schnell.«

Die Anwälte nickten. Sie verließen das Krankenzimmer und prallten auf dem Flur mit dem Oberstaatsanwalt zusammen.

«Sieht schlecht aus, nicht wahr?«fragte er.»Himmel, wie kann man nur so stur sein, am Rande des Todes! Vielleicht kann der Arzt helfen, der damals.«

«Dazu haben wir uns jetzt auch durchgerungen. «Der Anwalt, der bisher immer so angriffslustig gewesen war, zeigte auf eine Telefonzelle am Ende des langen Flures:»Informationen können wir Ihnen nach wie vor nicht geben. - Aber wenn Sie mithören wollen, kann ja sein, daß Sie zufällig in der Nähe standen, und wir haben es nicht bemerkt.«

Der Oberstaatsanwalt lächelte schwach, trottete hinter den beiden Anwälten her und lehnte sich an die Tür der Telefonzelle.

Eine halbe Stunde später war die Staatsanwaltschaft informiert. Der Generalstaatsanwalt informierte seinerseits den Justiz- und den Innenminister und bat um strengste Diskretion. Nur ein kleiner, ausgewählter Kreis wußte nun die Wahrheit, kam im Zimmer des >Ge-nerals< zusammen und beriet die >Aktion Sizilien< — wie einen militärischen Einsatz.

Das war auch die einzige Möglichkeit, wenn man eine Erfolgschance haben wollte: totale Überrumpelung. Normale Einsätze wurden bereits im Ansatz an die Kontaktleute Sorianos verraten.

«Ich fasse zusammen«, schloß der Generalstaatsanwalt seinen Bericht.»Nach den letzten Informationen ist Dr. Eugenio Soriano der Capo di Tutti Capi von Sizilien. Genannt Don Eugenio. Mit ihm verfilzt — das ist die Schweinerei, die wir immer wieder erleben — ist die Polizei von Palermo, ist Staatsanwalt Dr. Brocca, sind eine Reihe Großindustrieller und Unternehmer aller Sparten. Die Macht der Mafia umfaßt das ganze Land, von ärmsten Ziegenhirten bis zum Millionär. Wir kennen das ja. Vor allem Dr. Soriano genießt internationalen Ruf. An ihn heranzukommen war bislang unmöglich. Aber endlich, endlich haben wir eine Waffe in der Hand, mit der wir ihn aus dem Sattel heben können. Auch wenn sich alles als ganz harmlos erweisen sollte — weshalb soll in Palermo nicht ein Chirurg mit Namen Monteleone Herzen verpflanzen können? — , also selbst wenn alles legal sein sollte: Wir sind ihm auf die Haut gekrochen, und dort werden wir uns einbohren wie die Zecken!«Er blickte auf die Notizen, die ihm gerade ein Beamter ins Zimmer gebracht hatte.»In zwei Stunden fliegt eine Sondermaschine mit einem Kommando von vierzig ausgesuchten Spezialbeamten in Zivil direkt nach Palermo. Alle Männer sind Scharfschützen und tragen kugelsichere Westen. Ich selbst werde das Unternehmen leiten. Das ist mir ein Herzensbedürfnis, meine Herren: Vor vierundzwanzig Jahren — ich war damals ein kleiner Staatsanwalt in Messina — trat Dr. Soriano gegen mich an. Nicht im Gerichtssaal, nicht bei einem Prozeß. Privat! Er nahm mir das Mädchen weg, das ich liebte. Es wurde Sorianos Frau. Ein Jahr später — sie war schwanger — verließ ich Sizilien und kam hierher nach Rom! Ich weiß, das ist lange her. Vierundzwanzig Jahre. Und ich würde auch kein Wort mehr darüber verlieren, wenn Soriano nicht damals schon ein Schwein gewesen wäre: Er zeigte meiner Braut Fotos — es waren natürlich widerliche Fotomontagen —, die mich und andere Frauen in unbeschreiblichen Situationen zeigten. An dem gleichen Abend, geschockt durch Bilder, die ein Mädchen ihrer Erziehung und ihres Standes noch nie gesehen hatte, gab sie sich ihm hin. Damit hatte ich sie verloren. Meine Herren — es wird mir ein Fest sein, Dr. Soriano wiederzusehen!«

Genau um 12 Uhr 30 mittags hob die Sondermaschine der Alitalia vom Flughafen Fiumicino ab. Nicht einmal der Flugkapitän wußte, wen er transportierte. Man hatte ihm gesagt, es handle sich um eine Gruppe von Wissenschaftlern, die auf Sizilien geologische Untersuchungen anstellen sollten. Da sie als Beauftragte der Regierung galten, wurde ihr Gepäck auch nicht gewogen oder kontrolliert. Man rechnete nicht damit, daß Geologen mit Maschinenpistolen, Munition und sogar zwei leichten, zerlegbaren Granatwerfern auf Forschungsreise gehen. Daß die Mafia nicht rechtzeitig gewarnt wurde, daß niemand einen Wink gab, daß auch nicht die geringste In-formation durchsickerte — das erklärte sich allein aus der Tatsache, daß der Generalstaatsanwalt persönlich die Aktion leitete.

Eine winzige persönliche Rechnung, über einen im Vergleich zu seinen anderen Untaten harmlosen Vorfall, den Soriano nach vierundzwanzig Jahren längst vergessen hatte, wurde ihm jetzt präsentiert und konnte ihn vernichten.

Im Flugzeug, vorne im I.-Klasse-Raum, lag auch Leone Tortalla, Bankier aus Mailand. Eingehüllt in Decken, an drei Tropfflaschen angeschlossen, begleitet von zwei jungen Ärzten, dämmerte er dahin, dem Tode näher, als er ahnte, aber trotz seines desolaten Zustandes von belebender Hoffnung erfüllt.

Er wird mich retten. Nur er allein kann es.

Dr. Ettore Monteleone. Im Kinderheim Camporeale. Zwei Etagen unter der Erde in der modernsten Herzklinik der Welt, der Mafia-Klinik.

Das Haus der verlorenen Herzen.

Die Anwälte waren in Rom geblieben und kümmerten sich um seine schluchzende und mit viel Dramatik Abschied nehmende Freundin. Ob sie Leone Tortalla wirklich so innig geliebt hatte, blieb eine offene Frage; sie beruhigte sich immerhin erst, als ihr die Anwälte eröffneten, Signore Tortalla werde ihr im Falle eines >Unglücks< ein Startkapital von zehn Millionen Lire hinterlassen.

«Gibt es noch Hoffnung?«fragte sie und tupfte sich zierlich die Tränen ab.