Luigi gab den Widerstand auf und lauerte auf eine Gelegenheit, davonzulaufen.
«Wir könnten Freunde werden, wenn wir nur vernünftig miteinander reden wollten«, sagte Gallezzo mit einer schrecklich gleichgültigen Stimme. Luigi kannte das, er war kein Anfänger, er genoß in Banditenkreisen einen seriösen Ruf, weil er noch nie — außer bei der Vendetta natürlich — einen Menschen umgebracht hatte. Er erweckte zwar den Anschein der Grausamkeit, aber wer ihn näher kannte, so wie Anna, seine Schwester, der wußte, daß er nach der systematischen Auslöschung seiner Familie und der notgedrungen darauf folgenden Auslöschung der feindlichen Familie Fardella einen ehrlichen Ekel vor Gewalttaten empfand.
«Ich höre!«knirschte Luigi. Er hing in den Armen der drei Männer wie in einem Schraubstock.
«Bei dir ist der deutsche Arzt Dr. Volkmar.«
«Nein!«sagte Luigi viel zu schnell.
Gallezzo wiegte den Kopf.»Luigi, wir wollen doch Freunde sein. Ist man unter Freunden unehrlich?«
Er nahm das spitze Messer und stieß es Luigi in die rechte Schulter. Nicht zu tief, gerade genug, um höllische Schmerzen zu erzeugen. Luigi bäumte sich in den Griffen auf, aber er schluckte den Schmerz herunter.
«Sei so nett und führ uns zu deinem Haus«, sagte Gallezzo freundlich.»Wir wissen, du hast noch einen Bruder Ernesto und eine Schwester Anna, und dann den lieben Gast aus Deutschland, den wir unbedingt sprechen müssen.«
«Ich kenne keinen Deutschen!«schrie Luigi.
«Und die hundert DM auf der Bank?«
«Gefunden. Am Strand.«
«Wo du das Zelt und das Auto des Dottore zurückgelassen hast. Luigi, warum müssen wir uns streiten?«
Gallezzos linke Hand schnellte vor, ein Blitzen des Messers und das Ohr war abgetrennt. Blut überströmte seine rechte Gesichtshälfte und floß über Hals, Rücken und Brust. Er stöhnte dumpf, senkte den Kopf und betete zur Madonna, sie möge ihm alle Sünden vergeben und ihre Hand schützend über Ernesto und Anna halten.
«Fahren wir«, sagte Gallezzo sanft.»Auf dem Weg wird dir einfallen, wo du Ernesto, Anna und Dr. Volkmar versteckt hast, Luigi. Du bist doch nicht geboren worden, um scheibchenweise zu sterben.«
Die Männer rissen Luigi hoch und schleppten ihn zum Jeep zurück. Gallezzo setzte sich ans Steuer und wartete darauf, daß Luigi etwas sagte. Man hatte ihn auf den Rücksitz gepreßt, und zwei Männer hielten ihn umklammert. Der dritte, der jetzt neben Gallezzo saß, hatte das Messer übernommen. Es war einer von denen, die so penetrant nach dem süßlichen Parfüm dufteten.
«Wohin?«fragte Gallezzo.
Luigi schwieg. Der Mann mit dem Messer stach zu, dieses Mal in die andere Schulter.»Luigi.«, sagte Gallezzo fast bedauernd.»Bedenke, daß deine Nase im Weg steht. Man kann sie verkürzen.«
«Der zweite Weg rechts«, sagte Luigi durch die zusammengebissenen Zähne.»Aber fünf Mann hält der Jeep nicht mehr aus. Es geht steil hinauf.«
«Wir wollen sehen. «Gallezzo fuhr an, fand die Abzweigung und fluchte, als der Jeep über den steinigen Boden hüpfte. Im Scheinwerferlicht erkannte er klar, daß der Pfad, je höher man kam, für jeden Unkundigen lebensgefährlich wurde. Rechts fiel der Abgrund ab, links beulten sich die Felsen in den Weg. Mit einem Maultier oder einem Esel war diese Strecke zu schaffen, aber für einen Wagen, selbst für einen Jeep, war es unzumutbar.
«Mein Freund!«sagte Gallezzo zu Luigi über die Schulter hinweg,»wenn du uns ins Leere führst. tu das nicht! Überleg es dir! In Asien haben sie eine Methode entwickelt, den Menschen die Haut abzuziehen wie einem Hasen. Ich kenne mich da aus. Luigi, Brüderchen, sei kein Held!«
«Es ist der Weg!«Luigi keuchte. Er dachte an Ernesto und Anna und ob es wirklich nicht besser wäre, nichts mehr zu sagen und für sie zu sterben. Aber dann sagte er sich, daß diese vier Männer auch ohne ihn das Bergversteck finden würden, daß sie nur zu warten brauchten, bis Ernesto herunterkam, um in Sorgono nach ihm Ausschau zu halten.»Such ihn!«würde Anna sagen.»Unser Großer säuft schon wieder!«Und Ernesto war schon gar kein Held, der würde reden, schon nach dem ersten Messerstich. Es war ein Fehler gewesen, den deutschen Dottore zu entführen. Er sah es jetzt ein. Wie friedlich war das Leben gewesen, als man nur stahl oder die Fremden betrog.
Der Jeep keuchte und schüttelte sich, aber was keiner für möglich gehalten hatte: er schaffte es. Plötzlich wurde der Pfad etwas breiter, auch lagen nicht mehr so viele Steine herum. Man näherte sich dem Plateau und dem Haus.
Luigi straffte alle Muskeln, soweit es die Schmerzen noch zuließen. Alles an ihm brannte und glühte, seine Nerven zitterten.
«Tatsächlich!«sagte Gallezzo zufrieden.»Da ist ein Haus, wie eine Burg, Luigi. Ein guter Platz!«
Luigi nickte. Aber plötzlich schnellte er hoch, riß den Mund auf und brüllte mit der ganzen Kraft, die er noch besaß:»Ernesto! Anna! Gefahr! Gefahr!«
Der Mann neben Gallezzo schüttelte den Kopf. Er riß Luigi an den Haaren nach vorn und stieß ihm das Messer zwischen den Rippen in die Brust. Es traf exakt das Herz, Luigi hustete laut und fiel dann in sich zusammen. Er war schon tot, als Gallezzo den Zündschlüssel herumdrehte.
Eine Sekunde später sprangen die vier eleganten Herren aus dem Jeep und liefen, Haken schlagend wie die Hasen, auf das Steinhaus zu. Aus dem schießschartenähnlichen Fenster neben der dicken Bohlentür fiel der erste Schuß, er zischte Gallezzo nahe am Kopf vorbei. Der ließ sich sofort hinfallen und kroch an der Mauer entlang, die den Gemüsegarten einrahmte.
Dr. Volkmar stand neben Anna an einem anderen Fenster und beobachtete durch einen Schlitz in den massiven Läden die Terrasse.
Sie hatten alle am Ofen gesessen, als Luigis Schrei ertönte. Es war verblüffend, wie schnell Ernesto und auch Anna ein Gewehr in der Hand hielten und an die Fenster sprangen. Dann schoß Ernesto sofort auf die schattenhafte Person, die sich laufend dem Hause näherte.
«Das war ein Fehler, Ernesto!«sagte Volkmar und versuchte, in der Dunkelheit vor sich etwas zu entdecken.»Sie haben mich gefunden, sie haben Luigi überführt. Es hat doch keinen Sinn, mit der Polizei Krieg zu führen.«
«Das sind keine Carabinieri!«rief Ernesto zurück.»Luigi hat nicht Polizei, sondern Gefahr geschrien! Das ist ein Unterschied! Man will dich uns wegnehmen, das ist es!«
«Laß sie nur kommen!«sagte Anna.»Laß sie nur kommen!«Sie schob den Gewehrlauf durch die Ritze des Fensterladens und beugte den Kopf nach hinten.»Das Haar hindert mich! Bind es fest, Enrico!«
Dr. Volkmar sah sich hilflos um.
«Nimm irgendeinen Strick, dort am Ofen.«
Er lief zu dem riesigen gemauerten Herd, holte ein Stück Hanfkordel, raffte Annas lange schwarze Haare zusammen und band den Strick darum. Jetzt hatte sie die Stirn frei und konnte besser sehen. Ernesto schoß wieder. Ein Schatten, links vom Gemüsebeet, bewegte sich.
Und dann sahen sie etwas, was ihnen das Herz stocken ließ: Der Jeep, von einem Mann von hinten geschoben, rollte vor das Haus, und auf der Kühlerhaube des Wagens lag in seltsam verrenkter Haltung Luigi. Sein Gesicht war ein bleicher Fleck.
«Sie haben ihn getötet.«, stammelte Ernesto.»Luigi! Luigi!«Er bekreuzigte sich, stieß mit der Stirn gegen die Steinwand und schluchzte.»Diese Schweine! Diese Teufel! Luigi.«
«Ich denke, eure Vendetta ist zu Ende?«sagte Volkmar heiser.
«Es sind andere. «Anna zuckte zusammen. Ein Mann sprang zur Haustür. Sie schoß, der Schatten machte einen Satz zur Seite und fiel in Deckung.»Sie wollen dich, Enrico«, sagte sie. Ihr Atem flog, ihre Stimme klang zerbrochen.»Es geht um dich! Sie haben Luigi gezwungen, alles zu verraten. «Sie lehnte sich gegen die Wand, als habe sie keine Kraft mehr, zu stehen, und sah Volkmar aus weiten schwarzen Augen an.»Wir werden sterben, Enrico. Das mußt du wissen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu sterben. Sieh dir Luigi an! Wenn ich sterbe, bist du bei mir. Ich liebe dich. Komm, wir haben wenig Zeit.«