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»Was weißt du denn?« fragte Cranston.

Der Albino hüpfte auf und ab. »Sir Ralph ist tot. Hingerichtet vom Finger Gottes. Die dunklen Schatten sind hier. Die Vergangenheit eines Mannes ist immer um ihn. Sir Ralph hätte daran denken sollen.« Wütend starrte er den Lieutenant an. »Und andere sollten das auch tun! Andere auch! Aber Rothand hat zu tun. Rothand muß gehen.«

»Lord Coroner, Bruder Athelstan«, unterbrach Colebrooke, »Sir Ralphs Leichnam wartet.«

»Blut und Schleim anschauen, wie?« krähte Rothand und hüpfte auf und ab. »Ein böser Mann, Sir Ralph. Er hat verdient, was er gekriegt hat!«

Der Lieutenant trat nach ihm, aber Rothand wieselte davon, kreischend und lachend.

»Wer ist das?« fragte Athelstan leise.

»Er war früher Maurer hier. Seine Familie kam vor vielen Jahren bei einem Unfall ums Leben.«

»Und Sir Ralph hat ihn hierbleiben lassen?«

»Sir Ralph war sein Anblick verhaßt. Aber er konnte wenig machen. Rothand ist ein königlicher Günstling. Er war Maurermeister beim alten König, bekommt eine Rente und hat Wohnrecht hier im Tower.«

»Und warum Rothand?«

»Er wohnt in den Kerkergewölben und schrubbt die Folterinstrumente und den Richtblock nach der Exekution.«

Athelstan schauderte es; er zog den Mantel fester um die Schultern. Wahrlich, dachte er, dies war das Tal der Schatten, ein Ort der Gewalt und des plötzlichen Todes. Der Lieutenant wollte weitergehen, aber Cranston hielt ihn am Arm fest. »Wieso hat Rothand gesagt, Sir Ralph sei ein böser Mann gewesen und habe bekommen, was er verdiente?«

Colebrooke wandte den trüben Blick ab. »Sir Ralph war ein seltsamer Mann«, sagte er leise. »Manchmal denke ich, in seiner Seele lauerten Dämonen.«

3. Kapitel

Athelstan und Cranston folgten Colebrooke um Holzschuppen und Nebengebäude, durch einen Torbogen in der inneren Festungsmauer und über einen vereisten Platz zu einem riesigen Turm, der sich über den Festungsgraben hinauswölbte. Der Lieutenant blieb stehen.

»Dort liegen unterirdische Verliese, und darüber führen Stufen in eine Kammer im Obergeschoß.« Er zuckte die Achseln. »Dort ist Sir Ralph gestorben.«

»Ermordet worden«, korrigierte Cranston.

»Gibt es noch andere Räume?« fragte Athelstan.

»Früher mal, noch ein weiteres Stockwerk, aber die Tür dorthin wurde zugeschüttet.«

Athelstan schaute hinauf zu den verschneiten Zinnen und seufzte.

»Ein Turm des Schweigens«, murmelte er. »Ein trostloser Ort zum Sterben.«

Sie stiegen die Treppe hinauf. Drinnen hockten zwei Wächter auf Schemeln vor einem Kohlebecken. Colebrooke nickte ihnen zu. Sie erkletterten eine zweite, steile Treppe und drückten oben die halboffene Tür auf. Ein dunkler, muffig riechender Gang erstreckte sich vor ihnen. Leise vor sich hin fluchend, nahm Colebrooke etwas Zunder von einem Steinsims, und bald darauf loderten die Fackeln in den Wandhaltern. Sie betraten den kalten Korridor. Athelstan sah einen Berg von Mauerbrocken, losen Ziegeln und Schieferplatten, der den Zugang zum darüberliegenden Stockwerk verschloß. Colebrooke probierte ein paar Schlüssel, die er unter seinem Mantel hervorgezogen hatte; schließlich schloß er die Tür auf und lud Cranston und Athelstan mit einer beinahe spöttischen Gebärde ein einzutreten.

Es war ein Raum mit gewölbter Decke aus Stein. Der erste Eindruck war der eines alles beherrschenden Graus. Keine Wandbehänge oder Teppiche an den Wänden, nichts außer der hageren Gestalt eines sterbenden Christus an einem schwarzen Holzkreuz. Mitten im Raum stand ein großes vierpfostiges Bett, dessen schmutzige, lohbraune Vorhänge fest geschlossen waren. Es gab einen Tisch und ein paar Schemel, und drei oder vier Holzzapfen steckten neben dem Bett in der Wand; ein Mantel, ein schweres Wams und ein breiter, lederner Schwertgurt hingen noch daran. Auf der anderen Seite des Bettes stand ein hölzernes Lavarium mit einer riesigen Zinnschüssel und einem Krug, auf dem ein schmutziges Tuch lag. Ein kleiner Kamin hätte ein wenig Wärme gespendet, aber nur kalte, pulverige Asche lag darin. Ein Kohlebecken voll halbverbrannter Holzkohle stand verloren im Raum. Athelstan war sicher, daß es hier kälter war als draußen. Cranston schnippte mit den Fingern und deutete auf die offenen Fensterläden.

»Bei den Titten des Teufels, Mann!« rief er. »Es ist lausig kalt!«

»Wir haben alles so gelassen, wie es war, Lord Coroner«, versetzte Colebrooke scharf.

Athelstan deutete auf das Fenster. »Und da soll der Mörder hereingeklettert sein?« fragte er.

Er starrte auf die große Öffnung.

»Nur so kann es gewesen sein«, sagte Colebrooke, ging zum Fenster und warf dröhnend die Läden zu. Athelstan schaute sich im Zimmer um. Er erkannte den fauligen Gestank des Todes, und mit Abscheu sah er die schmutzigen Binsen auf dem Boden und den gesprungenen Nachttopf voll Nachtkot und Urin.

»In drei Teufels Namen!« bellte Cranston und stampfte auf. »Laßt das wegschaffen, sonst stinkt es hier bald wie in einer Pestgrube.«

Dann trat er ans Bett und riß die Vorhänge auf. Athelstan warf einen Blick hinein und wich entsetzt zurück. Der Tote lag weiß und blutlos auf verschmierten Kissen und Laken. Die starren Hände krallten sich noch in die blutgetränkte Bettdecke. Der Kopf des Mannes war zurückgebogen, das Gesicht im Grinsen des Todes verzerrt. Die schweren Augenlider waren halb geöffnet, und es war, als starrten die Augen auf den furchtbaren Schnitt hinunter, der sich von einem Ohr zum anderen zog. Das Blut war herausgeströmt wie Wein auseinem zerbrochenen Faß und lag dick und geronnen auf Brust und Bettzeug. Athelstan zog die Decke zurück und betrachtete den halbnackten weißen Leib.

»Die Todesursache liegt auf der Hand«, murmelte er. »Keine anderen Wunden oder Blutergüsse.« Wortlos schlug er das Kreuz über den Leichnam und trat zurück.

Colebrooke hielt klugen Abstand. »Sir Ralph hat einen solchen Tod befürchtet«, sagte erleise.

»Seit wann?« wollte Athelstan wissen.

»Oh, seit drei oder vier Tagen.«

»Weshalb?« fragte Cranston. »Wovor hat Sir Ralph sich gefürchtet?«

Colebrooke zuckte die Achseln. »Das weiß der Himmel. Vielleicht werdet Ihr es von seiner Tochter oder von seinem Bruder erfahren. Ich weiß nur, daß Sir Ralph den Engel des Todes an seiner Seite zu spüren glaubte.«

Cranston trat ans Fenster, klappte die Läden wieder auf und lehnte sich in die eisige Luft.

»Da geht’s aber tief runter«, bemerkte er und zog sich zu Athelstans großer Erleichterung wieder zurück. Nur Athelstan war klar, wieviel der brave Coroner schon getrunken hatte.

»Wer würde mitten in der Nacht, im tiefsten Winter, einen solchen Aufstieg wagen?«

»Oh, in die Mauer sind Stufen gehauen«, antwortete Colebrooke selbstzufrieden. »Aber nur wenige Leute wissen davon.«

»Wieso?« fragte Athelstan.

»Es sind eigentlich nur Kerben, in denen ein Fuß Halt findet«, sagte Colebrooke. »Der Maurer, der den Turm gebaut hat, war ein vorsichtiger Mann. Wenn jemand in den Graben fiel, konnte er so wieder rausklettern.«

»Ihr sagt also«, Cranston ließ sich auf einen Schemel fallen und wischte sich die Stirn, »daß irgend jemand, wahrscheinlich ein Soldat oder ein gedungener Mörder, diese Trittkerben benutzt hat und zum Fenster heraufgeklettert ist.« Er drehte sich um und betrachtete die Fensterläden. »Eurer Meinung nach«, fuhr er fort, »hat der Mörder einen Dolch durch den Spalt geschoben und den Riegel hochgehoben, dann ist er eingestiegen und hat Sir Ralph die Kehle durchgeschnitten.«

Colebrooke nickte langsam. »Das nehme ich an, Sir John.«

»Und ich nehme an«, ergänzte Cranston sarkastisch, »daß Sir Ralph seinen Mörder einfach hereinklettern ließ, gar nicht erst aufstand, sondern wie ein Lämmchen liegenblieb und sich die Kehle durchschneiden ließ.«