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»Warum?« fragte Athelstan leise.

Colebrooke schien überrascht. »Ich bin loyal; sollte es Unruhen geben, werde ich den Tower bis zum letzten Atemzug halten.«

Cranston grinste und tippte ihn sanft gegen die Brust. »Das ist es, mein guter Lieutenant. Wir denken beide das gleiche: Sir Ralphs Tod hängt vielleicht zusammen mit den Verschwörungen, die wie Unkraut aus dem Boden schießen in den Dörfern und Siedlungen rings um London.«

Colebrooke nickte. »Whitton war ein harter Zuchtmeister«, sagte er, »und ein gedungener Mörder der Großen Gemeinde hätte einen solchen Auftrag sicher leicht erledigen können.«

Auch Athelstan lächelte und klopfte Colebrooke auf die Schulter. »Da mögt Ihr recht haben, Master Colebrooke. An einer solchen Theorie wäre nur eines auszusetzen.«

Der Lieutenant starrte ihn verständnislos an.

»Versteht Ihr nicht?« fragte Athelstan. »Irgendjemand im Tower muß einem solchen Meuchelmörder doch sagen, wo, wann und wie Sir Ralph zu finden ist.«

Ein sehr enttäuschter Lieutenant führte sie zum Fuß der Treppe. Die beiden vierschrötigen, untersetzten Wachposten saßen immer noch mit ausgestreckten Händen vor dem rotglühenden Kohlebecken. Sie rührten sich kaum, als Colebrooke nähertrat, und Athelstan spürte ihre Verachtung für den so plötzlich aufgestiegenen Zweiten Offizier.

»Ihr hattet gestern nacht Wache?«

Die Söldner nickten.

»Ihr habt nichts Außergewöhnliches gesehen?«

Sie schüttelten den Kopf und grinsten herablassend, als fänden sie Athelstan ziemlich amüsant und ein bißchen langweilig. »Aufgestanden!« brüllte Cranston. »Auf! Ihr unverschämten Hurensöhne! In drei Teufels Namen, ich habe bessere Männer als euch an einen Baum binden und auspeitschen lassen, bis ihr Rücken blutig rot war!«

Die stählerne Drohung in Cranstons Stimme brachte die beiden Soldaten auf die Beine.

»So ist es besser«, schnurrte der Coroner sanft. »Und jetzt, ihr Scheißkerle, beantwortet ihr die Fragen meines Schreibers, und alles ist gut.« Er packte den einen bei der Schulter. »Sonst könnte ich vielleicht auf die Idee kommen, daß ihr mitten in der Nacht euren Herrn ermordet habt.«

»Das stimmt nicht«, knirschte der Kerl. »Wir waren Sir Ralph treu ergeben. Wir haben nichts gesehen und nichts gemerkt, bis dieser Geck,« - der Posten zuckte die Achseln - »der zukünftige Schwiegersohn des Konstablers, gerannt kommt und behauptet, er kann Sir Ralph nicht wachkriegen. Er schnappt sich den Schlüssel und will zurück, aber dann überlegt sich’s der Feigling anders und stürzt zum Lieutenant.«

»Ihr habt ihn klopfen und Sir Ralphs Namen rufen hören?« fragte Athelstan.

»Natürlich.«

»Aber er ist nicht in die Kammer gegangen?«

»Der Schlüssel war ja hier.« Der Soldat deutete auf einen Holzzapfen in der Wand. »Er hing hier vor unseren Augen. Und es gibt nur zwei. Einer war hier, und Sir Ralph hatte den anderen.«

»Dessen bist du sicher?« sagte Cranston.

»Ja, klar«, bekräftigte der Bursche. »Den anderen Schlüssel habe ich auf dem Tisch neben dem Bett des Konstablers gefunden, nachdem ich aufgeschlossen hatte. Er ist jetzt hier.« Cranston nickte. »Genug ist genug. Wir wollen uns den Turm von außen ansehen.«

Als sie die Nordbastion verließen, drang plötzlich ein furchtbares Getöse aus dem Innenhof. Sie folgten dem Lieutenant, der eilig durch den Torbogen lief, und spähten über die verschneite Wiese. Der Lärm kam aus einem Gebäude zwischen der Großen Halle und dem White Tower. Erst konnte Athelstan nicht erkennen, was los war. Er sah Leute hin und her rennen, und Hunde sprangen kläffend im Schnee herum. Colebrooke atmete tief durch und entspannte sich.

»Ach, er ist’s nur«, sagte er leise. »Seht.«

Athelstan und Cranston sahen verblüfft einen großen, zottigen Braunbären auf den Hinterbeinen stehen. Die Vorderpranken schlugen in die Luft.

»Bären habe ich schon gesehen«, murmelte Cranston. »Rauhhaarige kleine Biester, über die die Hunde herfielen. Aber etwas so Majestätisches noch nie.«

Der Bär brüllte, und Athelstan sah den Eisenring um seinen Hals und daran die schweren Ketten, die von Wärtern gehalten wurden. Der verrückte Rothand führte das Tier durch den Innenhof zu einem dicken Pfahl am hinteren Ende der Großen Halle, wo es festgemacht wurde.

»Der Bär ist prachtvoll«, flüsterte Athelstan.

»Ein Geschenk«, erklärte der Lieutenant, »von einem norwegischen Fürsten an den Großvater des jetzigen Königs, Gott hab ihn selig. Er heißt Ursus magnus.«

»Aha!« lächelte Athelstan. »Nach dem Sternbild.«

Colebrooke sah ihn verständnislos an.

»Die Sterne«, beharrte Athelstan. »Ein Bild am Himmel…« Colebrooke lächelte schmal und führte sie zu einer Pforte in der äußeren Festungsmauer. Er zog ein paar Riegel zurück, und die Angeln kreischten protestierend, als er das massive Tor öffnete.

Durch diese Pforte ist seit Monaten niemand gegangen, dachte Athelstan.

Vorsichtig traten sie auf den zugefrorenen Wassergraben. Die Stille und der dichte Nebel ließen alles unwirklich erscheinen. »Das einzige Mal, daß du je auf dem Wasser wandeln wirst, Priester«, knurrte Cranston.

Athelstan grinste. »Ein seltsames Gefühl«, erwiderte er und sah Colebrookes ernstes Gesicht. »Wozu dient dieses Tor?«

Der Lieutenant zuckte die Achseln. »Es wird selten benutzt. Manchmal fährt ein Spion oder ein geheimer Bote heimlich über den Graben, oder jemand will den Tower unbemerkt verlassen. Jetzt« - er klopfte mit dem Stiefel auf das dicke Eis - »spielt es keine Rolle.«

Athelstan sah sich um. Hinter ihm ragte die mächtige Festungsmauer bis in die schneebeladenen Wolken. Das andere Ufer des Wassergrabens lag im dichten Nebel verborgen. Nichts regte sich. Ihr Atem und das Scharren ihrer Stiefel auf dem Eis waren die einzigen Geräusche. Sie setzten die Füße so behutsam und vorsichtig voreinander, als könnte das Eis jederzeit brechen und das Wasser wieder zum Vorschein kommen. An der steilen Mauer entlang gingen sie um die Nordbastion herum.

»Wo sind diese Trittkerben?« fragte Cranston.

Colebrooke winkte sie weiter und deutete auf das Mauerwerk. Auf den ersten Blick waren die Stufen in der Wand kaum zu erkennen, aber schließlich sahen sie sie, tief ins Gestein eingegraben wie die Klauenspuren eines riesigen Vogels. Cranston legte die Hand in eine der Kerben.

»Ja«, murmelte er. »Hier ist jemand gewesen. Schau, das Eis ist gebrochen.«

Atheisten besichtigte die vereisten Höhlungen und nickte.

»Ein schwieriger Aufstieg«, bemerkte er. »Höchst gefährlich in finsterer Nacht.« Sein Blick wanderte über den hartgefrorenen Schnee; er bückte sich, hob etwas auf und verbarg es in der hohlen Hand, bis Colebrooke sich zum Gehen wandte.

»Was ist das?« fragte Cranston undeutlich. »Was hast du da gefunden?«

Der Ordensbruder öffnete die Faust, und Cranston lächelte, als er die versilberte Stiefelschnalle sah.

»Aha«, murmelte er. »Also war jemand hier. Jetzt brauchen wir nur noch den Träger dieser Schnalle und dann: Hei-ho, ab zum Oberhofgericht, einen kurzen Prozeß und eine etwas längere Hinrichtung.«

Athelstan schüttelte den Kopf. »Ach, Sir John«, sagte er leise, »wenn die Dinge doch so einfach wären …«

Sie gingen zurück in den Innenhof. Der Tower war inzwischen zum Leben erwacht, obwohl der Frost nicht nachgelassen hatte und nichts auf einen Wetterumschwung hindeutete. Hufschmiede hatten ihre Feuer entzündet, und der Hof hallte vom Klang der Hämmer und dem Rauschen der Blasebälge, an denen zerlumpte Lehijungen sich abrackerten, um den Schmiedefeuern Lebenshauch einzublasen. Ein Metzger schnitt ein Schwein auf, und Küchenjungen rannten umher, schüttelten das Blut von den Fleischstücken und stopften sie in dickbauchige Fässer mit Pökellake, damit sie bis zum Frühling hielten. Ein Roßknecht führte ein lahmendes Pferd im Kreis herum, damit seine Kameraden nach dem Fehler schauen konnten. Hausdiener und Mägde tauchten Berge fettverschmierter Zinnteller in Bottiche mit kochendheißem Wasser. Der Lieutenant betrachtete das Schauspiel und grinste.