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»Bald ist Weihnachten«, erklärte er. »Da muß alles sauber und vorbereitet sein.«

Athelstan nickte. Er sah drei Jungen Stechpalmen und anderes immergrüne Gezweig über den Schnee zur Treppe des großen Burgturms schleifen.

»Ihr werdet Weihnachten feiern?« fragte Athelstan und deutete auf einen hochrädrigen Karren, von dem Soldaten gerade mächtige Weinfässer abluden.

»Selbstverständlich«, antwortete Colebrooke. »Der Tod ist ja kein Fremder im Tower, und Sir Ralph wird vor dem Heiligen Abend unter der Erde sein.« Er ging weiter, als sei er ihre Fragerei leid.

Athelstan zwinkerte Cranston zu, blieb stehen und rief: »Master Colebrooke?«

Der Lieutenant drehte sich um und hatte Mühe, seine Gereiztheit zu verbergen.

»Ja, Bruder?«

»Warum sind so viele Leute hier? Ich meine - die Hospitaliter, Master Geoffrey, Sir Fulke?«

Colebrooke zuckte die Achseln. »Der Bruder des Konstablers wohnt hier.«

»Und der junge Geoffrey?«

Colebrooke verzog spöttisch das Gesicht. »Ich glaube, der ist auf Mistress Philippa ebenso scharf wie sie auf ihn. Sir Ralph hat ihn zu Weihnachten in den Tower eingeladen, und warum auch nicht? Der Frost hat allen Geschäften in der Stadt ein Ende gemacht, und Sir Ralph bestand darauf, daß der Verlobte seiner Tochter bei ihm sei - besonders, seit er so merkwürdig ängstlich wurde.«

»Und die beiden Hospitaliter?« fragte Cranston.

»Alte Freunde«, antwortete Colebrooke. »Sie kommen jedes Jahr zu Weihnachten in immer gleichem Ritual. Zwei Wochen vor Weihnachten reisen sie an, und am Heiligen Abend speisen sie in der Goldenen Mitra außerhalb des Tower. Sie bleiben stets bis zum Dreikönigstag, und nach dem Fest der Erscheinung des Herrn fahren sie wieder. Dreimal haben sie es jetzt schon so gemacht; weiß der Himmel, warum.« Er wandte sich ab und spuckte gelben Schleim in den Schnee. »Wie gesagt, Sir Ralph hatte seine Geheimnisse, und ich war nie neugierig.«

Cranston fing an zu zappeln, ein Zeichen dafür, daß er sich allmählich langweilte und die Kälte satt hatte. Athelstan ließ zu, daß Colebrooke sie in den White Tower zurückbrachte, eine steinerne Wendeltreppe hinauf und durch einen Vorraum in die St.-John’s-Kapelle.

Als Athelstan den Weihrauchduft roch, entspannte er sich augenblicklich. Er betrat das Kirchenschiff mit seiner hohen Balkendecke und den breiten Gängen, die jeweils flankiert waren von zwölf runden, mit breiten grünen und scharlachroten Samtbändern umwickelten Säulen. Der Boden war blank gebohnert; die seltsamen roten Steinplatten schienen eigene Wärme abzugeben. Die zarten Gemälde an den Wänden und die großen Glasfenster fingen das blendend weiße Licht des Schnees ein und tauchten Chorraum und Kirchenschiff in warme, goldene Glut. An jeder Säule standen Kohlebecken mit Kräutern, und die Luft war schwer von der stickigen Süße des Sommers. Athelstan wurde es warm, behaglich und friedlich ums Herz, obwohl er die Kirche nicht ohne Neid betrachtete. Hätte er doch solchen Schmuck auch in St. Erconwald! Er sah den großen Silberstern über der Kanzel und ging entzückt nach vorn in den stillen Chorraum, bestaunte die Marmorstufen und den prachtvollen, aus reinweißem Alabaster gehauenen Altar.

»Welch stille Heiterkeit«, murmelte er, als er zu den anderen zurückkehrte.

Colebrooke lächelte befangen. »Als wir die Halle verließen, habe ich der Dienerschaft befohlen, hier alles vorzubereiten«, erklärte er und sah sich um. »Durch irgendeinen Trick oder Kunstgriff der Architekten, sei es nun die Dicke des Mauerwerks oder seine Lage im Tower, ist es hier in der Kapelle immer warm.«

»Ich brauche eine Erfrischung«, verkündete Cranston feierlich. »Ich habe zahllose Treppen erklommen, einen grausigen Leichnam beschaut, bin über glattes Eis balanciert, und jetzt habe ich genug. Master Colebrooke, Ihr scheint mir ein verständiger Mann zu sein. Ihr werdet die anderen hier versammeln, und da Vorweihnachtszeit ist, werdet Ihr einen Krug Wein für mich und meinen Schreiber mitbringen.«

Colebrooke nickte und eilte davon, nicht ohne zuvor mit Athelstans Hilfe die Stühle in weitem Halbkreis aufzustellen. Als er weg war, holte Athelstan einen blankpolierten Tisch aus dem Chorraum und legte Feder, Tintenhorn und Pergament bereit. Sorgsam wärmte er die Tinte über dem Kohlebecken, bis sie glatt und gleichmäßig aus der Feder floß. Cranston hockte auf seinem Stuhl, schlug den Mantel zurück und genoß die duftende Wärme. Athelstan betrachtete ihn aufmerksam.

»Sir John«, sagte er leise. »Seht Euch vor mit dem Wein. Ihr habt schon genug getrunken, und Ihr seid müde.«

»Hau ab, Athelstan!« lallte Cranston erbost. »Ich trinke, was mir paßt, verdammt!«

Athelstan schloß die Augen und betete stumm um Hilfe. Bis jetzt hatte Sir John sich benommen, aber der Wein in seinem Wanst konnte den Teufel in seinem Herzen wecken, und nur der Herrgott wußte, welches Unheil dann drohte.

Colebrooke kam schnellen Schritts zurück. Hinter ihm, Athelstan sah es mit Verzweiflung, schleppte ein Diener einen großen Krug Rotwein und zwei bauchige Becher. Cranston packte den Krug wie ein Verdurstender und stürzte zwei Becher Wein hinunter, während Familie und Gäste des Konstablers die Kapelle betraten und auf den Stühlen Platz nahmen. Endlich schloß Cranston die Augen, rülpste volltönend und satt und war zufrieden. Seine zögernden Gäste betrachteten ungläubig das rote Gesicht des königlichen Coroners, der sich mit hängenden Armen und Beinen vor ihnen auf dem Stuhl räkelte. Athelstan war hin- und hergerissen zwischen Zorn und Bewunderung. Cranston machte sich wegen irgend etwas Sorgen, und nur der Himmel wußte, weshalb. Aber die Fähigkeit des Coroners, einen Weinberg leerzusaufen und trotzdem seinen Scharfsinn nicht zu verlieren, war immer wieder faszinierend.

Der Dominikaner ließ den Blick rasch über die Versammlung wandern. Die beiden Hospitaliter schauten unbeteiligt und verächtlich drein. Philippa klammerte sich noch fester an ihren beschwipsten Verlobten, der Cranston wohlwollend angrinste. Rastani, der Diener, schien beklommen; anscheinend fürchtete er sich vor dem großen Kreuz, das an einem der Balken über ihm hing, und Athelstan fragte sich, wie echt die Bekehrung des Moslems zum wahren Glauben war. Sir Fulke wirkte gelangweilt, als wünschte er, von diesen ermüdenden Vorgängen verschont zu bleiben. Der Kaplan konnte seine Verdrossenheit über die unvermittelte Vorladung kaum verbergen.

»Ich danke Euch sehr«, begann Athelstan sanft, »daß Ihr gekommen seid. Mistress Philippa, bitte nehmt den Ausdruck unseres Mitgefühls zu dem jähen und grausigen Verlust Eures Vaters entgegen.« Athelstan spielte mit dem Stiel seiner Gänsefeder. »Wir kennen jetzt die Einzelheiten seines Todes.«

»Es war Mord!« Philippa beugte sich vor, und ihr üppiger Busen wogte unter dem dicken Taft ihres Kleides. »Mord, Bruder! Mein Vater wurde ermordet!«

»Ja, ja, das wurde er«, lallte Cranston. »Aber von wem, he? Warum? Und wie?« Er richtete sich auf und tippte trunken an seine feuerrote Nase. »Sorgt Euch nicht, Mistress. Der Mörder wird gefunden, und dann tanzt er seinen letzten Tanz auf dem Schafott zu Tyburn.«

»Euer Vater«, unterbrach Athelstan, »schien große Angst zu haben, Mistress Philippa. Er ist aus seinem gewohnten Quartier ausgezogen und hat sich in der Nordbastion verrammelt. Warum? Wovor hat er sich gefürchtet?«

Seltsames Schweigen senkte sich über die Gruppe.

»Ich habe eine Frage gestellt«, sagte Athelstan leise. »Wovor hatte Sir Ralph solche Angst, daß er sich in eine Kammer einschloß, den Sold seiner Wachen verdoppelte und jeden, der zu ihm kam, durchsuchen ließ? Wem war an Sir Ralphs Tod so viel gelegen, daß er in finsterer Nacht einen gefrorenen Wassergraben überquerte, an der Außenwand des Turmes hinaufkletterte und in eine bewachte Kammer eindrang, um einen scheußlichen Mord zu begehen?«