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Die beiden Hospitaliter schüttelten die Köpfe.

»Laßt uns nicht Versteck spielen«, sagte Athelstan. »Ihr seid Mönche und Ritter. Euer Orden kämpft für das Kreuz in Outremer. Auch Brüder meines Ordens dienen dort. Sie kommen mit Geschichten zurück, die sie dann beim Abendbrot in Blackfriars erzählen.«

»Was für Geschichten?« fragte Mowbray herausfordernd.

»Von einer geheimen Sekte von Ungläubigen in den Bergen Palästinas, den Assassinen, deren Oberhaupt der Alte vom Berge heißt. Das Geschäft dieser Gemeinschaft ist der Meuchelmord. Ihr Meister füttert sie mit Rauschgift und sendet sie mit goldenen Dolchen aus. Sie töten, wen er zu vernichten bestimmt hat.«

Cranston sah, wie die beiden Ritter sich strafften und zum ersten Mal nervös wurden - vor allem Fitzormonde.

»Diese Assassinen«, fuhr Athelstan fort, »lassen ihren Opfern immer eine faire Warnung zukommen. Ein Bild hinterlassen sie nicht, wohl aber einen flachen, kleinen Sesamkuchen zum Zeichen dafür, daß der gewaltsame Tod nahe ist.« Athelstan stand auf und streckte die verkrampften Beine. »Ich frage mich: Warum begeht diese geheime Sekte, die am Mittelmeer blüht, einen Mord in den kalten, düsteren Gemächern des Tower zu London?«

»Wollt Ihr uns beschuldigen?« rief Mowbray. »Wenn ja, so tut es nur!«

»Ich will niemanden beschuldigen. Ich konstatiere nur einen merkwürdigen Zufall.«

»Rastani ist aus Palästina!« rief Mowbray. »Und Sir Ralph hat sich von seinem angeblich treuen Diener abgewandt.«

»Warum sagt Ihr angeblich?« fragte Cranston rasch.

»Weil ich nicht glaube, daß Rastanis Bekehrung zu unserem Glauben ehrlich war. Wenn solche Leute einen Groll hegen, warten sie jahrelang, bis sie die Rechnung präsentieren.«

»Aber Rastani war doch nicht im Tower?«

»Er könnte sich zurückgeschlichen haben.«

»Nein, nein, nein.« Athelstan schüttelte den Kopf. »Sir Ralphs Tod ist komplizierter. Ihr habt mit ihm gedient?«

»Ja. Der Kalif von Kairo hat uns in seinen Sold genommen, um die Aufstände in der Stadt Alexandria niederzuschlagen.«

»Und danach?«

»Sir Ralph fuhr nach Hause. Wir blieben noch eine Weile, bevor wir in unser Ordenshaus in Clerkenwell heimkehrten.«

»Seid Ihr je übers Meer zurückgekehrt?« fragte Cranston. Mowbray schüttelte den Kopf. »Nein, Fitzormonde irrt sich da in einer Kleinigkeit. Als wir mit Sir Ralph dienten, waren wir keine Hospitaliter. Wir sind erst in den Orden eingetreten, nachdem Sir Ralph weg war. Der Orden hat uns dann nach England zurückgeschickt. Ich bin in Clerkenwell, Fitzormonde in unserem Ordenshaus in Rievaulx in der Nähe von York.« Athelstan studierte die verschlossenen, finsteren Gesichter der beiden Ritter.

»Verzeiht mir«, sagte er ruhig, »ich möchte Euch nicht Lügner nennen, aber hier ist etwas sehr Geheimnisvolles im Gange, und Ihr seid daran beteiligt.« Er beugte sich vor und zog plötzlich Mowbrays Mantel zur Seite. »Ihr tragt ein Kettenhemd? Und Ihr auch, Sir Brian? Warum? Fürchtet auch Ihr den Dolch des Assassinen? Wie gut schlaft Ihr des Nachts? Welche Geheimnisse teiltet Ihr mit Sir Ralph?«

»Beim Heiligen Kreuz!« Sir Brian sprang auf. »Das habe ich mir jetzt lange genug angehört. Wir haben Euch gesagt, was wir können. Belaßt es dabei!«

Die beiden Hospitaliter rauschten hinaus. Cranston ließ sich auf einen Schemel fallen und streckte die Beine aus.

»Ein ziemliches Durcheinander, was, Bruder? Womit haben wir es hier zu tun? Mit Hochverrat, begangen von Unbekannten? Oder mit gemeinem Mord um Mitternacht?«

»Ich weiß es nicht.« Athelstan drückte den Stopfen auf sein Tintenhorn und ordnete sein Schreibzeug. »Aber wir haben die Schnalle, die wir auf dem Eis des Festungsgraben gefunden haben, und ich weiß, wem sie gehört.«

»In drei Teufels Namen!« rief Cranston. »Für einen Mönch hast du scharfe Augen, Athelstan.«

»Für einen Ordensbruder bin ich ziemlich flink, Mylord Coroner, und das wäret Ihr auch, wenn Ihr weniger Rotwein trinken wolltet.«

»Ich trinke, um meinen Schmerz zu ertränken.« Cranston wandte den Blick ab. Was Maude wohl gerade tat? dachte er bang. Was verbarg sie vor ihm? Warum sprach sie es nicht aus, statt ihm diese langen, trauervollen Blicke zuzuwerfen? Cranston starrte wütend die kleine Statue in einer Nische an, die Jungfrau mit dem Kind. Insgeheim haßte er das Weihnachtsfest. Um diese Zeit erwachte immer die Erinnerung an den kleinen Matthew, den die Pest geholt hatte - aber nicht, bevor der Kleine ihn jenes Staunen hatte sehen lassen, mit dem jedes Kind das Weihnachtsfest begrüßt. Hatte auch Maude ihre Erinnerungen? »Sir John!«

Cranston blinzelte die Tränen weg und grinste zu Athelstan hinüber.

»Ich brauche eine Erfrischung, Mönch!«

Athelstan sah den Schmerz im Gesicht seines Freundes und wandte sich ab.

»Nachher, Sir John. Erst müssen wir mit Sir Fulke sprechen. Ich möchte Sir Ralphs Schlafgemach hier im White Tower durchsuchen.«

Cranston nickte und schwankte schwerfällig davon. Athelstan packte sein Schreibpapier ein, blieb sitzen und bewunderte die Schönheit der St.-Johns-Kapelle und verglich sie mit der Düsternis von St. Erconwald. Dann dachte er an Benedicta. Wie hübsch sie in der Frühmesse ausgesehen hatte. Ob Huddle sie für sein Gemälde von Mariä Heimsuchung verwenden würde, das für einen der Gänge geplant war? Und was würde sie wohl Weihnachten Vorhaben? Sie hatte von einem Bruder in Colchester gesprochen. Vielleicht würde sie aber auch in Southwark bleiben, mit ihm Spazierengehen oder sich wenigstens auf einen Becher Wein zu ihm setzen und über die Vergangenheit plaudern. Weihnachten konnte so einsam sein … Athelstans Blick fiel auf ein Kruzifix, und plötzlich fielen ihm die Greuel ein, die auf dem Friedhof von St. Erconwald geschahen. Er mußte dieser Sache auf den Grund kommen. Wer tat so etwas, und warum? »Bruder Athelstan! Bruder Athelstan!« Cranston stand vor ihm und grinste spöttisch auf ihn herab. »Du trinkst zuviel Rotspon, Priester«, verkündete der Coroner feixend. »Komm, wir müssen uns die Gemächer des verstorbenen Konstablers anschauen. Colebrooke und Sir Fulke sind schon unterwegs.«

Sir Ralphs Quartier erreichte man über eine blankgebohnerte Holztreppe in einem der Türme des White Tower: ein angenehmes, von Wohlgeruch erfülltes Gemach, so ganz anders als die finstere Zelle drüben in der Nordbastion. Durch zwei kleine Nischenfenster mit gepolsterten Fensterbänken und ein großes Erkerfenster, dessen buntes Glas das Lamm Gottes darstellte, fiel Licht herein. Die verputzten Wände waren hellgrün und mit silbernen und goldenen Rauten verziert. Ein dicker Teppich hing über dem kleinen Kamin, der Boden glänzte, und auf dem großen Bett lag eine goldbetreßte Decke. Am Fußende des Vierpfostenbettes stand aufgeklappt Sir Ralphs große Privattruhe.

»Das ist ja luxuriös!« flüsterte Cranston. »Was hat Sir Ralph nur so sehr geängstigt, daß er von hier in diese trostlose Kerkerzelle umgezogen ist?«

Cranston und Athelstan hockten sich vor die Truhe und sahen Sir Ralphs persönliche Papiere durch, fanden aber nichts über seine Jahre in Outremer. Alle Dokumente betrafen sein Amt als Konstabler oder seinen Dienst in John von Gaunts Gefolge. Etwa eine Stunde verbrachten sie damit, Briefe, Verträge und Memoranden zu sichten. Nur ein Stundenbuch fiel Athelstan auf. Jede Seite war mit zarten, filigranen Schnörkeln in strahlenden Farben verziert: Auf einer Seite fanden sich mit leichter Hand gemalte Engelsgestalten, auf einer anderen besprengte ein Priester einen in Tücher gehüllten Leichnam mit Weihwasser, bevor er ihn ins Grab legte. Auch die Christgeburt war dargestellt, Maria und Joseph beugten sich über das schlafende Kind, und Christus im Fegefeuer, wie er schwarzgesichtige Dämonen mit der bloßen Kraft seines goldenen Auges vertrieb. Athelstan war fasziniert von der Schönheit des Buches. Er schaute auf die Innenseite des Einbandes und sah Stoßgebete an den heiligen Julian, die Sir Ralph hingekritzelt hatte. »St. Julian, bitte für mich! St. Julian, wende ab den Zorn Gottes! St. Julian, sei mein Fürsprecher bei der Mutter des Herrn!« Die leeren Seiten am Ende des Buches waren mit ähnlichen Beschwörungen gefüllt. Athelstan las sie gründlich und ignorierte Cranstons Murren und Sir Fulkes verärgertes Stiefelknarren. Endlich klappte er die Truhe zu und richtete sich auf.