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Athelstan zuckte die Achseln. »Ich bin Priester, Ordensbruder, einer von Tausenden.«

Der Arzt spreizte die Hände, und die Ringe an seinen Fingern funkelten. »Es steht auch auf vielen Grabsteinen: Ich war ein reicher Mann, bevor ich einem Arzt begegnete …«

Athelstan lachte. Der Mann gefiel ihm. »Man sieht Euch nicht in der Kirche«, neckte er.

»Eines Tages vielleicht, Pater.«

»Doktor Vincentius wollte Euch unbedingt kennenlemen.« Benedicta sprach schüchtern wie ein junges Mädchen. »Ich dachte mir, Pater, Ihr könntet vielleicht mit uns zu Abend essen?« Athelstan hatte große Lust abzulehnen, aber das wäre unhöflich gewesen. Er klatschte in die Hände, löschte die Lichter in der Kirche und schloß die Tür ab; Bonaventura konnte auch im Dunkeln auf die Jagd gehen. Er ging zum Haus hinüber; Benedicta und ihr fremder Gast warteten auf der Kirchentreppe. Philomel mampfte immer noch geräuschvoll seinen Hafer. Athelstan klopfte ihm sanft den Hals, holte seinen Mantel und kehrte zurück zu Benedicta und Vincentius.

Durch stille, vereiste Straßen gingen sie zur Flete Lane, nicht weit vom Holyrood Walk, wo die Witwe wohnte. Es war das erste Mal, daß Athelstan ihr Haus betrat, ein einstöckiges, alleinstehendes Gebäude mit Garten zwischen zwei schmalen Gassen. Im Erdgeschoß lagen eine große Küche, eine Wohnstube und eine Vorratskammer. Die Steinplatten waren geschrubbt und sauber gefegt, aber ohne Binsenstreu. Zwei Stühle standen vor einem lodernden Holzfeuer. Den Kamin schmückte ein breites Eichenholzbord mit Silber- und Zinnbechem, die im Licht zweier vielarmiger Kerzenleuchter schimmerten. Dunkelrote Wollteppiche hingen an weißgekalkten Wänden. Ein warmer, anheimelnder Ort, fand Athelstan, genau so, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Die beiden Männer halfen Benedicta, das Essen zuzubereiten und aufzutischen. Erst gab es einen Brei aus Eiern und gewürztem Brot, dann einen saftigen Hasen, in Wein gekocht, mit einem Pudding in Form einer Burg, einen Krug kühlen Weißwein und Rotwein, den Cranston im Handumdrehen leer getrunken hätte.

Vincentius beherrschte die Unterhaltung mit seiner ruhigen Art. Athelstan fand sein höfliches Benehmen und seine sanfte, wohlmodulierte Stimme faszinierend. Vincentius merkte schließlich, daß er zuviel redete, wechselte das Thema und erkundigte sich nach dem Tag des Ordensbruders. Athelstan erzählte von seinem Ausflug in den Tower und von Sir Ralph Whittons Tod. »Keiner wird ihn vermissen«, bemerkte Vincentius. »Ein finsterer, kriegerischer Mann.«

»Ihr kanntet ihn?«

Der Arzt lächelte. »Ich habe von ihm gehört, aber eigentlich finde ich den Tower interessanter. Ich war gestern dort. Ein wunderbares Zeugnis der Feinsinnigkeit des menschlichen Geistes, zumal, wenn es um kriegerische Maschinen und Anlagen geht.« Vincentius nahm einen Schluck aus seinem Kelch. »Ihr sagt, man hat Sir Ralph die Kehle durchgeschnitten?«

»Ja«, sagte Athelstan. »Warum?«

»In welchem Zustand war der Leichnam, als man ihn entdeckte?«

»Wie meint Ihr das?«

»War er kalt? War das Blut geronnen?«

»Ja«, antwortete Athelstan, erinnerte sich, daß er diese Frage nicht gestellt hatte, und wechselte geschickt das Thema. »Woher kommt Ihr, Doktor?« Der Arzt stellte seinen Weinbecher behutsam hin.

»Ich bin in Griechenland geboren, als Sohn fränkischer Eltern. Ich habe in Cambridge studiert, später in Santiago und Salerno.« Er grinste. »In Salerno«, fuhr er fort, »habe ich die meiste Zeit darauf verwendet zu vergessen, was ich in Cambridge gelernt hatte. Die Araber haben die Medizin gründlicher begriffen als wir. Sie wissen mehr über den Körper des Menschen, und sie haben gute griechische Übersetzungen von Galens Kunst der Medizin und Hippokrates’ Buch der Symptome.«

»Und was hat Euch nach Southwark zurückgebracht?« wollte Benedicta wissen.

Der Arzt lächelte wie über einen geheimen Scherz. »Was spräche dagegen?« sagte er scherzhaft. »Reichtum? Ich habe genug. Und, wie Ihr wißt, Bruder: Die Armen brauchen jede nur mögliche Hilfe.« Er beugte sich vor und schaute Athelstan aufmerksam an.

»Was werdet Ihr empfehlen, Doktor?« fragte Athelstan spöttisch. »Die Arznei des Adlers gegen schlechte Augen?«

»Was ist das?« fragte Benedicta.

»Bruder Athelstan scherzt«, sagte Vincentius. »Die Scharlatane behaupten, der Adler habe so scharfe Augen, weil er rohen Salat frißt. Deshalb behaupten sie, die Augen mit Salatsaft einzureiben helfe gegen jede Art von Augenentzündung.«

»Und stimmt das?«

»Ein Haufen Unsinn ist das«, brauste Vincentius auf. »Warmes Wasser und ein sauberes Tuch leisten bessere Dienste! Nein, Bruder.« Er klopfte Athelstan sanft auf die Finger. »Was Ihr braucht, ist mehr Schlaf. Und wenn Ihr Salat habt, dann eßt ihn. Er wird Euch guttun.«

Athelstan lachte. »Wenn ich noch welchen hätte! Der Frost hat fast alles in meinem Garten vernichtet, und Ursulas Schwein frißt den Rest.«

Benedicta erzählte von Ursula und dem bösartigen Schwein; Athelstan fühlte sich versucht, mit Vincentius über die Entweihung seines Friedhofes zu sprechen, fand dann aber dieses Thema für ein Tischgespräch nicht besonders geeignet. Er warf einen Blick auf die Stundenkerze, sah, daß es spät war, und stand auf, um sich zu verabschieden. Als Benedicta bat, noch zu bleiben, lehnte er höflich ab. Das Essen hatte ihm gut geschmeckt, aber jetzt war er froh, verschwinden zu können: Er war Priester, ermahnte er sich, und Benedicta war Herrin über ihr Leben. Er verließ das Haus und stapfte müde durch den Schnee. Die Nacht war kalt und schwarz, aber als er stehenblieb und zwischen den dunklen, überhängenden Hausgiebeln in die Höhe schaute, sah er zu seiner Freude, daß die Wolken aufzureißen begannen. Eigentlich wollte er sofort nach Hause gehen, doch da entdeckte er Pike, den Grabenbauer, betrunken wie ein Bischof, am Weg zur Kirche. Athelstan half seinem verirrten Gemeindekind auf die Beine.

»Guten Abend, Pater.«

Athelstan zuckte zurück vor den Dünsten, die ihm entgegenwallten.

»Pike, Pike«, tadelte er. »Du Trottel. Du solltest bei deiner Frau im Bett liegen.«

Pike wankte davon und rieb sich die Nase. »Ich habe mich mit Leuten getroffen, Pater.«

»Das weiß ich, Pike.« Athelstan packte ihn am Arm. »Um Gottes willen, Mann, sieh dich vor! Oder willst du am Ende an irgendeinem Galgen baumeln, wo die Krähen dir die Augen aushacken?«

»Wir werden herrschen wie der König«, lallte Pike. Er riß sich los und machte ein paar Tanzschritte. »Als Adam pflügt’ und Eva spann«, sang er, »wo war denn da der Edelmann?« Er grinste Athelstan betrunken an. »Aber dir wird nichts geschehen, Pater. Dir und deinem Kater und deinen blöden Sternen!« Er lachte.

»Du bist ein Schatz! Du forderst keine Steuer! Wenn du bloß, verflucht noch mal, manchmal lachen würdest.«

»Ich werde, verflucht noch mal, lachen, wenn du wieder nüchtern bist«, zischte Athelstan. Und er schleifte den Grabenbauer zu seiner Frau, die wütend in der Hütte in der Crooked Lane wartete.

Dankbar erreichte Athelstan schließlich St. Erconwald, sah nach, ob alle Türen verschlossen waren, und ging dann zu seinem Haus. Erst als er auf seinem Strohbett lag und versuchte zu beten, statt an Benedictas hübsches Gesicht zu denken, fiel ihm plötzlich ein, was Vincentius gesagt hatte. Was hatte der gute Arzt im Tower gesucht? Außerdem hatte Vincentius zugegeben, daß er in dem Teil des Mittelmeerraumes ausgebildet worden war, wo auch Sir Ralph und andere gewesen waren. Ob es da einen Zusammenhang gab? Athelstan grübelte über dieses Problem nach und versank bald in tiefen, traumlosen Schlaf.

*

Auch Cranston dachte an die Ereignisse im Tower, war aber zu beunruhigt, um sich zu konzentrieren. Einsam und verlassen saß der Coroner an seinem Pult in der Kammer, seiner Kanzlei oder Schreibstube, wie er gern sagte; es war ein Zimmer, das er liebte, im hinteren Teil des Hauses gelegen, abseits der lärmenden Cheapside. Er schaute sich um. Der Fußboden war mit kleinen, roten und weißen rautenförmigen Fliesen ausgelegt und mit wollenen Teppichen bedeckt. Die Fenster hatten Glasscheiben, und die Läden waren gegen die schneidende Zugluft fest verrammelt. Kiefernholz knackte und prasselte im kleinen Kamin, und Wärmpfannen standen auf Gestellen zu beiden Seiten des großen Schreibpultes. Sir John verbrachte gern seine Zeit hier, mit seiner großen Abhandlung über die Verwaltung der Stadt. Aber heute abend konnte er sich nicht entspannen; zu sehr war er abgelenkt von der unbehaglichen Atmosphäre in seinem Haus. Oh, Maude hatte er ein bißchen fröhlicher vorgefunden; sie hatten die üblichen Nettigkeiten ausgetauscht, aber Cranston wurde das Gefühl nicht los, daß sie ihm etwas verheimlichte.