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Als das Hausmädchen unten eine Glocke läutete, um zum Essen zu rufen, stemmte er ächzend seine Körpermassen hoch und watschelte betrübt hinunter in die von Düften erfüllte Küche. Leif, der Bettler, kauerte am Herd und stopfte sich Hirschfleisch mit dicker Tunke in den Mund. Er grinste Sir John zu und starrte ihm überrascht nach, als dieser bedrückt vorbeiging. Normalerweise begrüßte Cranston ihn mit einem Schwall gutmütiger Beschimpfungen.

Achselzuckend wandte der Bettler sich wieder seinem Essen zu. Er war guter Dinge. Lady Maude hatte ihm ein paar Pennies gegeben, und morgen würde er seinen Freund in der Grabbe Street besuchen. Sie würden in einer Schenke essen und dann nach Moorfields gehen, wo Mastiffs mit blutigen Mäulern auf schäumende Bären, Keiler mit mächtigen Hauern und fette Stiere gehetzt wurden.

In dem mit Leinen ausgeschlagenen Speisezimmer war der Tisch besonders liebevoll gedeckt; auf weißem Batist standen Kerzenleuchter aus ziseliertem Gold. Cranston warf seiner Frau einen argwöhnischen Blick zu. Sie sah glücklich aus. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen blitzten vor Vergnügen. Sir John wurde noch trauriger. Hatte Lady Maude einen anderen gefunden? Einen jungen Liebhaber, mannhafter und wollüstiger als er? Oh, er wußte, daß so etwas oft vorkam. Die gelangweilten Ehefrauen alter Männer und Bürger fanden oft neues Glück in den Armen eines Hofgecken oder adeligen Stutzers.

Sir John ließ sich in seinen großen Stuhl am Kopf der Tafel sinken und dachte düster an die Vergangenheit. Ja, seine Heirat war damals arrangiert worden. Maude Philpott, die Tochter eines Klingenschmieds, war feierlich mit dem jungen Cranston verlobt worden. Jung? Fünfzehn Jahre älter als sie war er gewesen, als sie einander vor der Kirchentür begegneten, aber er war schlanker gewesen, geschmeidig wie ein Windhund, ein wahrer Hektor auf dem Schlachtfeld und ein Paris im Schlafgemach. Sir John sah seine Frau wehmütig an, und sie lächelte zurück. Sollte er davon anfangen? Sir John schluckte. Er wagte es nicht. Cranston hatte vor niemandem Angst; er hatte den Körper eines Stieres und das Herz eines Löwen. Aber insgeheim war er auf der Hut vor seiner zierlichen, puppenhaften Frau. Oh, sie schrie niemals und bewarf ihn auch nicht mit Gegenständen. Sie saß einfach da und widersprach ihm und schälte seine Aufgeblasenheit ab wie die Häute einer Zwiebel, bevor sie dann schließlich schmollte und tagelang kein Wort mit ihm sprach.

»Sir John, ist alles in Ordnung?«

»Ja, Mylady«, murmelte Cranston.

Die Magd trug das Essen auf. Geschmorte Rindspasteten, die Teighülle knusprig und golden. Das Fleisch darin war mit Kräutern gewürzt und in einer dicken Zwiebeltunke gegart. Befeuert durch zwei großzügig gefüllte Becher Rotwein, besserte sich Cranstons Laune.

»Ihr wart heute im Tower, Sir John?«

»Jawohl - wegen Sir Ralph Whitton, dem Konstabler. Gestern war er noch ganz, und heute morgen war seine Kehle durchgeschnitten.«

Lady Maude nickte; sie hatte gehört, daß Sir Ralph ein harter, grausamer Mann sei.

»Und Ihr, Mylady?«

»Oh, heute morgen habe ich die Haushaltsbücher geführt, und dann war ich an der frischen Luft.«

»Wo denn?«

»In Cheapside. Warum?«

»Ihr wart nicht in Southwark?«

»Bei der Heiligen Messe, Sir John, nein! Warum fragt Ihr?« Cranston schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. Er hatte gemerkt, wie ihre Stimme zitterte. Sein Herz krampfte sich zusammen, und er ließ den dunkelroten Wein plätschernd in seinen Becher fließen, bis dieser randvoll war.

*

Im dunklen Tower wanderte der Hospitaliter Gérard Mowbray an der hohen Brustwehr entlang, die auf der inneren Mauer vom Broad Arrow Tower zum Salt Tower reichte. Der Nachtwind zerrte an seinem schütteren grauen Haar, biß ihm in Ohren und Wangen und krallte sich in seinen grauen Umhang. Sir Gérard kümmerte sich nicht um die Kälte. Er kam immer hierher. Hier ging er am liebsten spazieren. Oft blieb er stehen und hielt in der Dunkelheit Ausschau nach den Ruinen aus Caesars Zeiten, aber nicht heute nacht. Der Nebel war zu dicht. Im Norden konnte er noch das Leuchtfeuer im Turm von St. Mary Grace erkennen und im Süden die Feuer und den Fackelschein vom Hospital von St. Katharina. Sir Gérard schaute in den Himmel hinauf. Die Wolken rissen auf und enthüllten einen Wirbel von Sternen. Seltsam, dachte er. In Outremer wirkten die Sterne näher, und das samtene Dunkel des Himmels war so nah gewesen, daß man auf Zehenspitzen die Lichter vom Himmel pflücken zu können meinte.

Mowbray lehnte sich an die Zinnenmauer. Ja, das waren glücklichere Zeiten gewesen! Er dachte an den brennend heißen Sand vor Alexandria, wo er, Sir Brian, Sir Ralph und die anderen ein Trupp sorgenfreier Ritter gewesen waren, die nur zu gern das Gold des Feindes eingesackt hatten. Mowbray erinnerte sich an den Höhepunkt dieses Feldzuges. In Alexandria hatte es einen Aufstand gegeben, und das Heer des Kalifen, Mowbrays Truppe eingeschlossen, war vor der Stadt aufgezogen. Die Luft hatte vibriert im Rhythmus der Kesselpauken, die großen grünen Banner im Wind geknattert, und die silbernen Halbmonde auf den Standarten hatten in der sengenden Sonne geblitzt. Monatelang war die Stadt belagert worden; schließlich hatte man eine Bresche in die Mauer schlagen können. Er und Sir Brian waren als erste hineingestürmt, hatten Schulter an Schulter mit ihren Kameraden einen kämpfenden Ring aus Stahl gebildet, der sich langsam in die Stadt hineinschob. Die Heerscharen des Kalifen waren ihnen mit ihrem Kampfgeschrei gefolgt, das anschwoll und nachließ wie ein dämonischer Chorgesang. Die Ritter hatten sich ihren Weg durch die Bresche gebahnt und weiter an der Mauer entlang zu den Stufen, die zur Brustwehr über dem Haupttor hinaufführten.

Sir Gerards Gedanken versanken bereitwillig in der Vergangenheit. Er dachte an die durchdringende Hitze, an das Sonnenlicht, das auf Schwertklingen und Dolchen tanzte, an das Tosen der Schlacht und das Blut, das emporsprühte wie aus tausend Springbrunnen, wenn Männer mit furchtbaren Wunden an Kopf, Körper oder Bein schreiend zu Boden fielen. Langsam hatten sie sich die Treppe hinaufgekämpft, einen Weg durch menschliches Fleisch gehackt, bis sie über dem Haupttor angekommen waren. Und dann, wer war’s gewesen? Natürlich, wie immer - Bartholomew. Er war hinuntergesprungen, hatte einen riesigen Mamelucken angegriffen, anmutig wie ein Tänzer, und sein Schwert war zur silbernen Schlange geworden. Eine Finte zum Unterleib, dann aufwärts und im Halbkreis, genau zwischen Helm und Halsberge, hatte er den Feind aufgeschlitzt. Ralph war ihm gefolgt. Damals war er ein ehrenhafter Ritter gewesen.

Der schwere Riegel am Tor war gehoben worden, und die Männer des Kalifen hatten sich in die Stadt ergossen. Was für ein Blutbad! Erbarmen wurde weder erfleht noch gewährt. Die engen, heißen Straßen hallten wider vom silbernen Schmettern der Trompeten und den Schreien sterbender Männer und Frauen. Die Ritter hatten an diesem Massaker nicht teilgenommen; sie hatten ihre Aufgabe erfüllt und hielten jetzt nach entsprechender Belohnung Ausschau. Schließlich gelangten sie auf einen großen Platz mit einem weißen Marmorspringbrunnen.

In der Nähe stand das verlassene Haus eines Bankiers. Oh, welche Schätze sie dort gefunden hatten! Adam war knietief durch silberne Dukaten und juwelenbesetzte Kelche voller Perlen gewatet.