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»So viel Vertrauen, Pater?«

Athelstan lächelte. »Ich glaube, du wirst die Aufgabe besser erfüllen als irgendein Mann. Im Ernst, Benedicta, paß auf, daß Ranulf nicht Bonaventura mitnimmt. Und die Kinder sollen keine Schneeballschlachten auf dem Vorplatz machen. Ursulas Schwein soll die Überreste meines Gartens in Ruhe lassen, und kümmere dich vor allem um Cecily. Ich glaube, sie ist schon wieder drauf und dran, sich zu verlieben.« Er ging die Treppe hinunter und drehte sich noch einmal um. »Ach, Benedicta?«

»Ja, Pater?«

»Gestern abend - dieses köstliche Essen. Ich danke dir. Ein sonderbarer Mann, dieser Doktor Vincentius.«

Benedicta lächelte. »Nicht so sonderbar wie manche Priester, denen ich begegnet bin.«

Athelstan funkelte sie in gespielter Empörung an, und sie hüpfte wie ein junges Mädchen in die Kirche.

Er weckte den schnarchenden Philomel, sattelte ihn und war bald darauf unterwegs zur London Bridge. Bei den Bordellen am Flußufer herrschte ein so reges Treiben wie auf einem aufgewühlten Ameisenhaufen im Sommer; Bootsleute, Matrosen und Fischer strömten in Scharen zur Uferböschung hinunter, um zu sehen, wie das Eis schmolz. Athelstan trieb Philomel behutsam durch das Gedränge an der Brücke. Er schaute nicht nach rechts oder links; diese Brücke zu überqueren konnte schon an wunderschönen Tagen ein beängstigendes Erlebnis sein; heute galt das um so mehr, da das Eis unter ihr brach und krachte. Athelstan schaute lieber hinüber zu den Schiffen, die an den Docks von Billingsgate und Queenshithe hektisch lavierten. Galeonen aus der Gascogne, beladen mit Weinfässern, Holzfrachter für die Picardie, die kleinen Schalenboote aus Essex und mächtige Schiffe aus Alamein und Norwegen, die sich zur großen Fahrt rüsteten. Fischerboote, Barken und Leichter umschwärmten geschäftig die Schiffe, und Männer zerschlugen das Eis mit Hacken und Schaufeln und Hämmern. Auf dem hochragenden Achterkastell einer genuesischen Kogge sang ein Junge eine Hymne an die Jungfrau zum Dank für den Wetterumschwung, während die Matrosen auf einer griechischen Galeere singend um Gnade beteten:»Kyrie eleison, Christe eleison, kyrie eleison - Herr, erbarme Dich, Christus, erbarme Dich.« Ihr Gesang war so schön, daß Athelstan anhielt und mit geschlossenen Augen zuhörte, bis ein wüst fluchender Kutscher mit seiner Peitsche knallte und brüllte, manche Leute müßten arbeiten und könnten nicht herumtrödeln wie die blöden Pfaffen. Athelstan machte ein Kreuzzeichen für seinen Quälgeist, stieg ab und führte Philomel an der Kirche St. Magnus an der Ecke zur Bridge Street vorbei.

In der Candlewick Street drängten sich jetzt Karren, Packpferde und Lastwagen, denn buchstäblich jeder Händler in der Stadt nutzte die Gelegenheit, die der Wetterumschwung bot. Athelstan ritt weiter in Richtung Walbrook. Auf der einen Seite der Straße floß in einem tiefen Graben ein träger Bach. Das Wasser war schwarz und voller Eisstücke, und auf einem der kotverschmierten Stege prügelten zwei Halbwüchsige mit Stöcken aufeinander ein. Athelstan und Philomel stapften weiter, mußten allerdings kurz an die überhängenden Häuser flüchten, als eine Gruppe Ratsherren wichtigtuerisch die Straße herunterkam. Ein Herold lief vor ihnen her, die Silbertrompete an den Lippen, während zwei Ratsdiener ihnen mit empfindlichen Stockhieben den Weg frei machten. Über den Ratsherren knatterte die Stadtflagge in prachtvollem Zinnoberrot, und die golden aufgestickte St.-Pauls-Figur schien eigenartig zu strahlen. An der Ecke der Walbrook waren Straßenkehrer an der Arbeit; mit mächtigen Holzrechen schoben sie Matsch und Müll zu hohen, stinkenden Bergen zusammen. Ein Büttel hatte ein Schwein gefunden, das sich herumtrieb, und ihm, den städtischen Verordnungen entsprechend, auf der Stelle die Kehle durchgeschnitten. Das Blut schoß in heißem, rotem Strom hervor, und der Besitzer des Schweins, ein kleiner, kahlköpfiger Mann, überschüttete den Beamten mit einem Schwall grausiger Flüche. Athelstan mußte an Ursula und ihre große, fette Sau denken und fragte sich, ob der Büttel wohl auch nach Southwark gehen würde. Die Parasiten der Stadt wimmelten umher wie Fliegen über einem Stück Scheiße: samthäutige Burschen, Taschendiebe, Quacksalber, Nachtwanderer, Schauspieler und täppische Gaukler.

Endlich fand Athelstan das Goldene Lamm, eine kleine Schenke an der Ecke einer Gasse. Der dunkle Schankraum war beherrscht von einem mißmutigen Cranston, der mit dem Rücken zur Wand auf einer Bank hockte. Die leeren Ale-Krüge, die vor ihm auf dem Tisch standen, ließen den Coroner wie einen erbosten, von Votivopfem umgebenen Bacchus aussehen. Athelstan ging auf ihn zu, und Cranston fixierte ihn.

»Wo hast du gesteckt?« fauchte der Coroner.

»Ich bin gekommen, so schnell ich konnte.«

»Das war nicht schnell genug!«

Athelstan betete im stillen um Geduld und setzte sich Sir John gegenüber auf einen Schemel. Das Aussehen des Coroners machte ihm Sorgen. Cranston war ein Trinker, aber meist eine joviale Seele, sich seiner Sünden, Fehler und Unzulänglichkeiten bewußt und deshalb tolerant gegen die der anderen. Jetzt wirkte er regelrecht unheimlich; mit blitzenden Augen sah er sich ständig um, als hoffe er auf Streit. Seine Lippen bewegten sich lautlos, und sogar sein weißer Schnurrbart bebte vor innerer Raserei.

»Willst du Wein, Priester?«

»Nein, Sir John, und ich glaube, Ihr habt auch genug.«

»Du kannst mich mal!«

Athelstan beugte sich vor. »Sir John, bitte, was ist los? Vielleicht kann ich helfen?«

»Kümmere dich um deinen eigenen Kram.«

Athelstan hustete und wich zurück. »Das wird ein sehr anstrengender Tag werden«, sagte er leise. »Ihr sagtet, der Bürgermeister und die Sheriffs wollten uns sprechen?«

»Sie haben mit mir gesprochen. Sie hatten keine Lust, auf dich zu warten.«

»Und was haben sie gesagt, Sir John?« fragte Athelstan unschuldig.

Der Coroner schüttelte sich und grinste Athelstan beschämt an. »Verzeih mir, Bruder«, murmelte er. »Eine schlechte Nacht… ich habe Kopfschmerzen.«

Und eine miese Laune dazu, dachte Athelstan, hielt es aber für klüger, den Mund zu halten. Sir John würde schon noch reden. Cranston nagte an seiner Unterlippe und starrte wütend in eine Ecke, wo eine dicke Ratte in der schmutzigen Binsenstreu an einem großen, blutigen Fettklumpen nagte. »Ist es die schwarze oder die braune Ratte, die Krankheiten überträgt?« wollte er plötzlich wissen.

Athelstan folgte seinem Blick und schüttelte sich angewidert. »Ich glaube, beide. Deshalb werde ich hier nichts essen, Sir John, und ich schlage vor, Ihr tut es auch nicht. Aber sagt mir doch, was passiert ist.«

»Im Tower hat es weiteres Blutvergießen gegeben. Sir Gérard Mowbray, der ebenfalls eine Todeswamung bekommen hatte, ist auf der Mauer ausgerutscht und abgestürzt.«

»Und?«

»Etwa um die Zeit seines Todes wurde die große Sturmglocke des Tower geläutet, und die Garnison glaubte, der Tower werde angegriffen.«

»Aber er wurde nicht angegriffen«, sagte Athelstan. »Und bestimmt gibt es keine Spur von einem Glöckner.«

»Anscheinend nicht.«

»Was wollte denn der Bürgermeister?«

Athelstan sprang auf, als ein wilder Kater aus dem Schatten hervorschoß, die Ratte am Bein packte und das quiekende Tier in die Mitte des Raumes zerrte.

»Herrgott noch mal!« brüllte Cranston den Wirt an.

Der Bursche kam herüber, schwenkte einen Besenstiel, und der Kater flüchtete, die Beute im Maul, die hölzerne Wendeltreppe hinauf. Cranston griff nach seinem Ale-Krug, dachte an die Ratte und knallte ihn wieder auf den Tisch.

»Der Bürgermeister, mein lieber Athelstan, hatte folgendes auf dem Herzen: Sir Adam Horne, Bürger, Ratsherr und enger Freund des verstorbenen Sir Ralph, hat die Zeichnung einer dreimastigen Kogge erhalten, und dazu einen kleinen, flachen Sesamkuchen.«

»Und wo ist Horne jetzt?«

»In seinem Speicher unten an der Themse. Seine Frau hat dem Bürgermeister davon erzählt, nicht er. Die Nachricht und der Kuchen wurden ihr anonym gebracht. Sie hat beides ihrem Mann gegeben und war von seiner Reaktion schockiert. Er wurde bleich und krank wie nach einem plötzlichen Anfall.«