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»Wie, um alles in der Welt, hätte er das tun können, ohne Fußabdrücke zu hinterlassen?« höhnte Geoffrey und trat neben Philippa.

Cranston lächelte. »Mit einem Schneeball.«

Colebrooke schnaubte. »Ich habe Euch doch schon gesagt, Sir John, daß der Platz rings um die Glocke von Wachen einzusehen war. Und ihnen ist niemand aufgefallen.«

Cranston schniefte geräuschvoll und schaute sehnsüchtig auf seinen inzwischen geleerten Weinbecher.

»Bevor Ihr fortfahrt«, meinte Fitzormonde, »und darüber spekuliert, wo ich denn wohl gewesen sein könnte, darf ich Euch sagen, daß ich in meiner Kammer war und mich dort niemand gesehen hat.« Er funkelte Cranston erbost an. »Aber ich bin Priester, Ritter und Gentleman. Ich bin kein Lügner.«

»Und warum seid Ihr dort geblieben, Sir Brian?« fragte Athelstan taktvoll.

Sir Brian zuckte die Achseln. »Weil ich Angst hatte. Auch ich habe einen Todesbrief erhalten.« Er zog ein Pergament unter seinem Mantel hervor. Cranston riß es ihm fast aus der Hand. Der Hospitaliter hatte recht. Es war die gleiche Zeichnung, die auch Sir Ralph Whitton und Mowbray bekommen hatten: ein grob gezeichnetes Schiff unter vollen Segeln und in jeder Ecke des Pergaments ein schwarzes Kreuz.

»Der Sesamkuchen war auch dabei«, murmelte Fitzormonde. »Aber ich habe ihn weggeworfen.«

»Als Mowbray gestürzt war«, fragte Cranston plötzlich, »hat da noch jemand den Wehrgang inspiziert?«

»Ja - Fitzormonde, Colebrooke und ich«, bekannte Sir Fulke. »Als die Alarmglocke läutete, rannten wir alle aus dem Zimmer.

Der Hospitaliter war bei uns, als Mowbrays Leiche gefunden wurde. Unser junger Galan dort« - er deutete verächtlich auf Geoffrey - »wurde gebeten, uns auf die Mauer zu begleiten, aber es ist allgemein bekannt, daß er unter Höhenangst leidet.« Geoffrey errötete verlegen und wandte den Blick ab.

»Onkel!« murrte Philippa. »Das ist nicht fair.«

»Unfair ist«, unterbrach Cranston, »daß wir so wenig über den gestrigen Abend wissen. Mistress Philippa, um welche Zeit haben Eure Gäste sich versammelt?«

»Gleich nach der Vesper, gegen acht Uhr.«

»Und alle, außer Rastani und dem Hospitaliter, sind gekommen?«

»Ja, ganz recht.«

Cranston wandte sich an den Hospitaliter. »Und Ihr wart wo?«

»In meiner Kammer.«

»Und Mowbray?«

»Auf dem Wehrgang.«

»Das heißt also«, sagte Cranston und tat einen tiefen Seufzer, »während Mowbray auf der Mauer brütete, waren alle anderen bis auf Fitzormonde hier.«

»Ja.«

»Und wieviel später hat die Glocke geläutet?«

»Ungefähr zwei, drei Stunden.«

»Und inzwischen ist niemand weggewesen?«

»Nur Colebrooke, weil er seine Runden machen mußte, und andere, wenn sie einen gewissen Ort aufsuchen mußten - aber der liegt gleich hier am Gang.« Das Mädchen lächelte matt. »Wir haben alle viel getrunken.«

Athelstan hob die Hand. »Das soll uns jetzt nicht interessieren.« Er nahm Cranston das Pergament aus der Hand, ging zu dem Hospitaliter und hielt ihm die Zeichnung unter die Nase. »Sir Brian, was hat das zu bedeuten?«

Der Ritter wandte den Kopf ab.

»Sir Brian Fitzormonde«, wiederholte Athelstan. »Ihr werdet bald vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen. Bei Euerm Gelübde als Ritter frage ich Euch, was hat dieses Pergament zu bedeuten?«

Der Hospitaliter blickte auf. Die rotgeränderten Augen in dem blassen, ernsten Gesicht gaben Athelstan das Gefühl, einen Mann vor sich zu sehen, der bereits von den großen schwarzen Schwingen des Todes überschattet wurde. Der Bruder beugte sich vor, bis er die feinen roten Adern in den Augen des Ritters und in der staubiggrauen, fahlen Wangenhaut sehen konnte. Fitzormonde war wahrscheinlich ein mutiger Mann, aber Athelstan konnte den Gestank der Angst, der von ihm ausging, fast schmecken.

»Bei Euerm Gelübde vor Jesus«, flüsterte Athelstan. »Sagt die Wahrheit.«

Sir Brian hob den Kopf und flüsterte Athelstan etwas ins Ohr. Der Dominikaner wich überrascht zurück, nickte aber.

»Was hat er gesagt?« wollte Cranston wissen.

»Später, Sir John.« Athelstan wandte sich den anderen zu. »Was ist gestern abend hier vorgegangen?« Er lenkte die Befragung in eine andere Richtung.

Sir Fulke, dessen Miene jetzt die gewohnte falsche Leutseligkeit ausstrahlte, beugte sich vor. »Meine Nichte wollte sich bedanken, weil wir nach Sir Ralphs Tod so gütig zu ihr waren. Wir haben wie Freunde zusammengesessen und gegessen, von alten Zeiten geplaudert und von dem, was in Zukunft geschehen mag.«

»Und niemand hat den Raum verlassen?«

»Erst als die Glocke läutete.«

»Nein, Sir Fulke«, unterbrach Geoffrey. »Bedenkt, Ihr habt viel getrunken.« Er lächelte unaufrichtig. »Vielleicht zuviel, um Euch noch zu erinnern. Der Priester ist gegangen.« Geoffrey deutete auf den Kaplan, William Hammond, der auf seinem Schemel vor dem Feuer hockte wie eine Krähe. »Erinnert Ihr Euch, Kaplan? Ihr seid verschwunden.«

»Ja. Ich bin in mein Zimmer gegangen«, gab der Kaplan zu. »Ich hatte dort noch Wein.« Er warf Geoffrey und Colebrooke bösartige Blicke zu. »Ein Mitglied meiner Gemeinde hat ihn mir geschenkt. Er stammt nicht aus der Vorratskammer des Tower, wenn Ihr das denkt.« Er zuckte die Achseln. »Ja, ich hatte zuviel getrunken, war nicht mehr sicher auf den Beinen und brauchte eine Weile für den Rückweg. Ich wollte gerade den Beauchamp Tower betreten, als die Glocke zu läuten begann.«

»Und dann?« fragte Athelstan. Er sah Colebrooke an und merkte plötzlich, daß der Lieutenant seine eigenen Unternehmungen kaum erwähnt hatte. »Nun, Lieutenant? Was geschah dann?«

»Nun, die Glocke läutete. Ich und die anderen verließen Mistress Philippa. Die Garnison wurde in Alarmzustand versetzt, alle Tore wurden kontrolliert. Dann verstreuten wir uns und versuchten festzustellen, was passiert war. Fitzormonde entdeckte Mowbrays Leiche, wir kamen dazu, und dann erschien auch Master Parchmeiner. Wir untersuchten den Toten, und ich stieg auf den Wehrgang.«

»Und?« bellte Cranston.

»Ich habe nichts gefunden. Aber das Läuten der Alarmglocke beunruhigte uns mehr.«

»Von dem, der sie geläutet hatte, habt Ihr keine Spur gefunden?« fragte Athelstan.

»Nein. Das habe ich Euch doch schon gesagt.«

Athelstan schaute mutlos in die Runde. Wie konnte eine Glocke läuten, ohne daß jemand erkennbar am Seil zog? Ohne daß überhaupt in der Nähe der Glocke eine Spur gefunden wurde? Was war geschehen? Und wie konnte der Glöckner unbemerkt quer durch den Tower laufen und Mowbrays Sturz arrangieren? Athelstan holte tief Luft.

»Wo ist Mowbrays Leiche jetzt?«

»Sie ist bereits ins Leichentuch gewickelt«, sagte Philippa. »Aufgebahrt im Sarg vor dem Chorgitter.«

»Und ich werde ihm dort Gesellschaft leisten«, murmelte Fitzormonde. Er blickte auf und lächelte matt. »O ja, ich trage das Zeichen des Todes.«

Der Satz schwebte in der Luft wie ein Pfeil.

Als ein lautes Schnarchen von Cranston das Schweigen brach, fuhr Athelstan herum. Er hörte Geoffrey kichern, und sogar die bleiche Philippa lächelte. Der Kaplan grinste säuerlich, und Sir Fulke prustete vor Lachen.

»Sir John hat zahlreiche kräfteraubende Probleme«, erklärte Athelstan. »Mistress Philippa, dürfen wir für eine Weile Eure Gäste sein?« Er sah Colebrooke an. »Master Lieutenant, ich muß mit Sir Brian reden. Gibt es hier ein Zimmer, in dem wir ungestört sind?«

Philippa deutete auf die Tür am anderen Ende des Raumes. »Am Ende des Korridors ist ein kleines Kämmerchen.« Sie errötete. »Gleich hinter dem Abtritt. Dort wird es warm sein. Ich habe heute morgen ein Kohlebecken hineinstellen lassen.« Athelstan verneigte sich, lächelte den anderen schmallippig zu, warf einen verzweifelten Blick auf den schnarchenden Cranston und ging mit Sir Brian hinaus. Zur Linken lag, hinter einem Vorhang an einer Eisenstange, der Abtritt. Athelstan zog den Vorhang beiseite und rümpfte die Nase ob des Geruchs. Es war ein einfacher Abort - eine kleine Nische mit einem Latrinensitz unter einem kleinen, offenen Fenster, das auf das Tower Green hinausging.