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»Und wenn du der verfluchte Bürgermeister selbst bist, das ist mir doch egal!« schrie einer der Händler zurück. »Verpiß dich und laß uns in Ruhe!«

Athelstan zog sich die Kapuze über den Kopf und die Ärmel herunter. Er wußte, was jetzt kam. Cranston, ganz in seinem Element, sprang vom Faß herunter und packte den unglücklichen Händler an der Kehle.

»Ihr seid verhaftet, Sir!« donnerte er. »Wegen Hochverrats! Denn dieses Verbrechen habt Ihr begangen. Ich bin der Coroner des Königs. Verspottet mich, und Ihr verspottet die Krone.« Der Mann wurde bleich und riß die Augen auf.

»Und jetzt, Sir«, fuhr Cranston ruhig fort, während die anderen Händler unauffällig verschwanden, »kann ich den Bezirksvorsteher auffordem, ein Standgericht einzuberufen, oder wir können uns auf ein Bußgeld einigen.«

»Ein Bußgeld! Ein Bußgeld!« ächzte der Mann mit jetzt puterrotem Gesicht.

Sir John packte fester zu. »Zwei Shilling!« verkündete er und schüttelte den Kerl so heftig, daß Athelstan einen Schrecken bekam und sich einmischen wollte; aber der Coroner winkte ab. »Zwei Shilling, zahlbar sofort«, wiederholte er.

Der Mann wühlte in seiner Börse und drückte dem Coroner die Münzen in die Hand. Sir John ließ ihn los, und der Mann ließ sich würgend und hustend auf alle viere fallen.

»War das nötig, Sir John?« fragte Athelstan leise.

»Ja, Bruder, das war nötig«, erwiderte Cranston. »In dieser Stadt regiert die Furcht. Wenn ein Händler mich verspotten darf, wird es binnen einer Woche jeder Bastard in London ihm gleichtun.« Cranston runzelte die Stirn, als zwei Büttel, durch den Aufruhr aufmerksam geworden, herankamen. Ihre wichtigtuerischen Mienen veränderten sich, als sie Sir John erkannten.

»Mylord Coroner!« rief einer von ihnen atemlos. »Was wünscht Ihr?«

Cranston deutete auf den toten Bettler. »Laßt den entfernen!« befahl er. »Ihr kennt eure Aufgabe. Wer weiß, wie lange der arme Teufel hier schon liegt. Jetzt bewegt euch ein bißchen, sonst trete ich euch beiden in den Arsch!«

Die Büttel zogen sich unter Verneigungen und Kratzfüßen zurück, als wäre der Coroner der Regent persönlich. Cranston wandte sich dem Jungen zu und schnippte mit den Fingern. Der Junge kam heran; seine Arme und Beine waren dünn wie Reisig, seine Augen groß und rund in einem langen, bleichen Gesicht. Er steckte den Daumen in den Mund.

»Hier, mein Junge.« Cranston drückte die zwei Shilling in die ausgemergelte Hand. »Und jetzt gehst du nach Greyfriars. Das kennst du? Das Kloster zwischen Newgate und St. Martin’s Lane. Frag nach Bruder Ambrose und sag ihm, Sir John hat dich geschickt.«

Der Junge ballte die Faust um das Geld, starrte Sir John an, spuckte ihm sauber zwischen die Stiefel und flitzte davon.

Der Coroner sah ihm nach. »Der Prediger Ball hat recht«, brummte er. »Sehr bald werden in dieser Stadt die Feuer des Aufstands lodern, wenn die Reichen nicht ihre fetten Ärsche bewegen und mehr tun, um den Armen zu helfen.« Er wandte sich ab, und sein Gesicht war ernst und bekümmert. »Glaub mir, Bruder, der Engel des Herrn steht auf der Schwelle, den Dreschflegel der göttlichen Vergeltung in der Hand. Und wenn dieser Tag kommt«, flüsterte er rauh, »dann werden mehr Menschen umkommen, als jetzt hier auf dem Markt sind.«

Athelstan nickte und schaute sich um. Der Marktplatz war voll von reichen Händlern, in Pelze gehüllten Kaufleuten und den wohlhabenden Handwerkern in ihren Jacken aus Kaninchen- und Maulwurfsfell. Die meisten sahen gut genährt, ja, rundlich aus; aber in den Gassen abseits des Marktes sah Athelstan die Armen - nicht solche wie die in seiner Pfarrgemeinde, sondern die Landlosen, die aus ihren Katen vertrieben worden waren und in die Stadt gezogen waren, um Arbeit zu finden, obwohl es hier keine gab. Die Zünfte beherrschten alles, und bald würden die Streuner hinausgeworfen werden; man würde sie über die London Bridge scheuchen, in die Elendsquartiere und die gewalttätige Unterwelt von Southwark.

»Kommt, Sir John«, murmelte er.

Sie ritten die Mercery hinauf und wichen aus, als eine Gruppe von Schuldhäftlingen aus dem Gefängnis Marshalsea, mit Ketten aneinandergefesselt, um Almosen für sich und die anderen Häftlinge bettelten. Die Schenke Zu den Drei Kranichen lag an der Ecke eines Gäßchens gegenüber von St. Mary Le Bow. Benedicta saß vor dem lodernden Feuer und erwartete sie schon. Neben ihr auf dem Boden hockte Orme, einer der Söhne von Watkin, dem Mistsammler. Athelstan steckte ihm einen Penny zu, tätschelte ihm den Kopf, und der Junge wieselte davon.

»Nun, Benedicta, hast du meine Kirche in ordentlichem Zustand verlassen?«

Die Witwe lächelte und öffnete die Spange ihres Mantels. Athelstan fragte sich plötzlich, wie sie wohl in einem Taftkleid in leuchtendem Scharlachrot aussehen würde anstatt der dunklen Braun-, Grün- und Blautöne, die sie immer trug.

»Ist alles in Ordnung?« wiederholte er hastig.

Benedicta lächelte. »Cecily und Watkins Frau haben sich ordentlich beschimpft, aber davon abgesehen werdet Ihr betrübt sein zu hören, daß die Kirche noch steht. Sir John, Euch geht es gut?« Sie verdrehte den Kopf, um den Blick des Coroners auf sich zu lenken; aber der spähte finster zum Wirt hinüber, der bei den großen Weinfässern geschäftig mit anderen Gästen schwatzte.

»Mylady«, gab Cranston zurück, »mir würde es besser gehen« - und er hob die Stimme zum Gebrüll -, »mir würde es besser gehen, wenn ich Bedienung hätte und die Aufmerksamkeit, die einem Beamten des Königs gebührt!«

Der Wirt schwatzte weiter. Cranston ging hinüber und forderte brüllend einen Becher vom spanischen Weißen und Wein für seine Gefährten.

»Was ist mit ihm?« flüsterte Benedicta.

»Ich weiß es nicht. Ich glaube, Lady Maude hat ihn beunruhigt. Sie benimmt sich geheimnisvoll und verschlossen.«

»Merkwürdig«, sagte Benedicta nachdenklich. »Ich wollte es Euch schon sagen, Bruder. Lady Maude ist vor gut einer Woche in Southwark gesehen worden. Man vergißt sie ja nicht leicht - so zierlich und niedlich, wie sie ist.« Benedicta kniff die Augen zusammen. »Ja, ich bin sicher, man hat mir erzählt, daß sie aus Doktor Vincentius’ Haus kam.«

»Ist er ein Frauenheld?« fragte Athelstan hastig, und im selben Moment hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Benedicta sah ihn kühl an.

»Bruder Athelstan«, antwortete sie, »könnt Ihr mir einen Mann zeigen, der keiner ist?«

Cranstons Rückkehr bewahrte Athelstan vor weiteren Peinlichkeiten. Der Coroner riß sich die Bibermütze vom Kopf, kratzte sich den kahlen Schädel, zwinkerte Benedicta wollüstig zu und sah dann zu, wie der jetzt ganz verschüchterte Wirt eine große Zinnschale mit Sherry und Rotweinbecher für seine Gefährten herübertrug.

»Ihr wollt nichts essen, Sir John?«

»Nein!« knurrte Cranston. »Ich bin nicht hungrig, und der Wirt würde nach meinem Auftritt bestimmt das verdammte Essen vergiften.«

Benedicta lachte fröhlich. »Sir John, Ihr müßt Euch beruhigen!«

»Nein«, erwiderte Cranston und hob seine Schale. »Heitere Gelassenheit finde ich erst auf dem Boden dieses Bechers!« Benedicta sah ungläubig zu, wie Cranston das Gefäß in einem einzigen Zug leerte, dröhnend nach mehr verlangte und dabei schmatzte, ächzte und leise rülpste. Sie biß sich auf die Unterlippe, um nicht zu lachen.

»Nun, Bruder …« Cranston klopfte sich auf den fetten Wanst. »Mit meiner Entschuldigung an Lady Benedicta - aber was hältst du von Mowbrays Tod … oder von Sir Ralphs?« Athelstan lehnte sich vor und strich mit der Fingerspitze über den Rand seines Weinbechers. »Erstens: Wir haben festgestellt, daß Sir Ralph wahrscheinlich von jemandem ermordet wurde, der den Tower über den zugefrorenen Wassergraben betreten hat. Zweitens: Mowbray wurde durch die Alarmglocke in den Tod gelockt. Drittens: Beide Todesfälle hängen sicher mit dem schrecklichen Verrat zusammen, den Sir Ralph vor so vielen Jahre auf Zypern an Bartholomew Burghgesh begangen hat.« Athelstan lächelte, als er Benedictas fragenden Blick sah. »Du bist verwirrt. Nun, wir sind es auch. Erstens: Wie kann jemand den Tower betreten, Sir Ralph ermorden und dann die Festung verlassen, ohne daß jemand ihn bemerkt? Zweitens: Warum ist Sir Ralph einfach liegengeblieben und hat sich die Kehle so brutal durchschneiden lassen, daß ihm fast der Kopf vom Körper getrennt worden wäre? Ihr habt die Leiche gesehen, Sir John, und auch die Kammer: Da war keine Spur eines Kampfes, und die Wachen haben auch nichts gehört. Drittens: Wer hat die Sturmglocke geläutet und gleichzeitig so feinsinnig dafür gesorgt, daß Mowbray von der Mauer stürzte?«