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»Niemand, Sir John.«

»Was soll das heißen?«

»Naja, es war niemand da.« Leif lehnte sich haltsuchend an den Türrahmen. »Nur das hier.« Er hielt einen verschlissenen Lederbeutel hoch, der oben zugebunden war und unten feuchte, dunkle Flecken hatte. »Ich habe die Tür aufgemacht«, berichtete Leif schwerfällig, »und es war niemand da, nur dieser Beutel.«

»Dann mach ihn doch auf, Mann!« befahl Sir John gereizt.

Er wandte sich ab, um seinen Becher wieder vollzugießen, fuhr aber herum, als Leif einen Entsetzensschrei ausstieß und die Magd ohnmächtig zu Boden fiel. Der Bettler stand mit schreckgeweiteten Augen und offenem Maul da. In der erhobenen Hand hielt er bei den Haaren den Kopf des Ratsherrn und Kaufmannes Adam Horne.

Nun hatte Cranston schon öfter abgeschlagene Köpfe gesehen, etwa den des ermordeten Wirts, oder wenn irgendein Lord auf dem Tower Hill hingerichtet wurde. Aber dieser Anblick war wirklich grausig - nicht so sehr wegen der halb geschlossenen Augen oder des immer noch blutenden Halsstumpfes, sondern weil jemand den Mund aufgestemmt und die zerfleischten Überreste von Hornes Genitalien hineingestopft hatte.

Cranston riß dem entsetzten Bettler den Kopf aus der Hand und steckte ihn wieder in den Beutel. Dann stieg er über die immer noch am Boden liegende Magd hinweg, brüllte nach Maude und lief den Korridor hinunter zur Tür. Er riß sie auf und stürmte die Cheapside hinunter wie ein wütender Bulle; aber die verschneite Straße lag verlassen da, und von dem geheimnisvollen, grausigen Besucher war nichts zu sehen oder zu hören. Cranston blieb stehen, beugte sich vor und erbrach sich heftig, als das Grauen dessen, was er gesehen hatte, seinen Geist erreichte und ihm den Magen auswrang wie einen nassen Lappen. »Dieses Schwein!« flüsterte er. »O Gott, hilf uns!«

Er wankte ins Haus zurück. Maude stand mit bleichem Gesicht am Fuße der Treppe.

»Sir John, was ist?«

»Geh hinauf in dein Zimmer, Weib!« schrie Cranston. »Und bleib dort.«

Er wandte sich zu der Dienerschaft, die sich an der Küchentür zusammendrängte.

»Du!« kläffte Cranston einen an. »Du gehst und holst einen Arzt! Und ihr« - er deutete auf die Köchin und ihre Gehilfin -, »ihr bringt die Magd auf den Söller.«

Das arme, immer noch halb ohnmächtige Mädchen wurde auf die Füße gestellt. Cranston ging in die Küche. Leif saß auf einem Schemel, als hätte ihn der Schlag getroffen. Der Beutel mit seinem grausigen Inhalt lag da, wo Cranston ihn hatte fallen lassen.

Der Coroner lief geschäftig durchs Haus; er rasierte sich, wechselte das Wams, legte seinen Schwertgurt um und nahm den schwersten Mantel vom Haken neben der Speisekammer. In einem Verschlag fand er einen dicken Mehlsack und steckte vorsichtig den verschlissenen Lederbeutel hinein.

»Leif«, befahl er, »sag Lady Maude, ich gehe zum Rathaus und dann nach Southwark.«

Der sonst so widerspruchsfreudige Bettler war immer noch wie vom Donner gerührt; er starrte den Coroner an und nickte mit offenem Mund. Cranston warf sich den Mehlsack über die Schulter.

»Ach, Leif…« Er drehte sich noch einmal um und grinste den Bettler boshaft an. »Da ist noch mehr von diesem fetten Eintopf, wenn du willst.«

Leif fing an zu würgen. Cranston stapfte zur Tür hinaus und murmelte Racheschwüre gegen die ganze Welt.

*

In der Kirche von St. Erconwald hatte Athelstan eben die Totenmesse beendet und segnete gerade den Leichnam eines alten Säufers namens Tosspot, der im Keller der Schenke Zum Gescheckten Pferd gehaust hatte. Tosspot war am vergangenen Nachmittag tot aufgefunden worden. Da es keine Angehörigen gab, hatten Pike und Watkin den Toten in einen Leinensack genäht und auf einem Holzgestell vor dem Chorgitter aufgebahrt. Athelstan hatte strikte Anweisung gegeben: Jeder Arme, der in seiner Gemeinde tot gefunden wurde, bekam ein ehrenvolles Begräbnis. Das galt auch für Tosspot. Athelstan schlug das Kreuz über dem Leichnam und besprengte ihn mit Weihwasser. Die üblichen Messebesucher, darunter auch Benedicta, sahen fasziniert zu, wie Athelstan die Seele beschwor, zu Christus zu gehen, und als Priester der Heiligen Kirche die himmlischen Heerscharen anflehte, der Seele dieses Unglücklichen entgegenzugehen, sie ins Paradies zu führen und nicht dem Satan in die Hände fallen zu lassen. Dann schwieg Athelstan. Und der Leib? dachte er. Würde der in Sicherheit ruhen? Er schaute auf seine Hände und sah den Kalkstaub an den Fingerspitzen. Woher kam der? Während der Messe war er noch nicht dagewesen.

»Pater?« flüsterte Crim, der Ministrant.

Athelstan schrak hoch.

»Pater«, wiederholte der Junge, und sein Gesicht verzog sich zu einem kecken Grinsen. »Ihr habt aufgehört zu beten.« Athelstan schüttelte seine Gedanken ab.

»Wir bitten Dich, heiliger Erzengel Michael«, intonierte er das letzte Gebet, »nimm die Seele dieses unseres Bruders …«Er hielt inne. Wie sollte er ihn nennen? Tosspot? Aber das bedeutete »Saufkopf«. Was würden die Engel von einem solchen Namen denken? »Nimm die Seele unseres Bruders Tosspot«, fuhr er trotzig fort, »zu dir in Abrahams Schoß.«

Der Bruder funkelte die Gemeinde an, aber alle knieten da und hielten die Köpfe weise gesenkt, um ihr Grinsen zu verbergen. Athelstan versuchte, sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen; er winkte Watkin und Pike, die Bahre zu nehmen und ihm und Crim, der einen brennenden Kienspan trug, auf den Kirchhof zu folgen. Der kalte Wind draußen blies den Kienspan aus. Crim rutschte auf dem Eis aus und fiel auf den Hintern; er fluchte so laut, daß Athelstan sich auf die Lippe beißen mußte, um ernst zu bleiben. Sie gingen über den einsamen, gespenstischen Kirchhof zu dem flachen Grab, das Pike ausgehoben hatte. Athelstan sah die beiden Aussätzigen in ihren Kapuzenmänteln am Totenhaus. Plötzlich fiel ihm ein, wie er mit dem Zweig die Hostien für die beiden Unglückseligen durch den Lepraspalt geschoben hatte. Athelstan lächelte. Daher kam der Kalkstaub.

Sie hatten das Grab erreicht. Pike und Watkin rollten den alten Tosspot in die flache Grube und bedeckten ihn hastig mit gefrorenen Erdklumpen, während Athelstan ein paar Gebete murmelte. Athelstan segnete das Grab, und Watkin äußerte düster die Hoffnung, der Leichnam möge drinbleiben. Dann kehrten sie in die Kirche zurück. Athelstan beschloß, die Spekulationen des Mistsammlers zu ignorieren. Die Grabräuber, wer immer sie gewesen sein mochten, waren anscheinend nicht mehr da. Vielleicht waren sie weitergezogen, um einen anderen unglücklichen Priester zu quälen. Er ging durch das Kirchenschiff in die kleine, eisige Sakristei und schrak zusammen, als eine große Gestalt aus dem Schatten hervortrat.

»Sir John!« schimpfte er. »Müßt Ihr da lauern wie ein Dieb in der Nacht?«

Cranston grinste verschlagen. »Ich habe mit dir zu reden, Bruder. Aber nicht hier.«

Athelstan musterte ihn aufmerksam. »Habt Ihr getrunken, Sir John?«

Cranston grinste. »Ja und nein. Schnell! Ich warte, während du dich umziehst.«

Athelstan verbarg seinen Ärger. Er streifte Meßgewand, Stola und Chorrock ab, hängte alles eilig in den Schrank, gab dem gaffenden Crim einen Penny für seine Hilfe und schob Sir John in die Kirche zurück. Dann winkte er Benedicta heran, die vor dem Taufbrunnen stand.

»Schließ die Sakristei ab«, bat er sie leise. »Und dann räumt die Kirche auf.« Er sah sich um. »Watkin!« rief er. Der Mistsammler kam langsam näher und ließ Sir John nicht aus den Augen. »Watkin«, vertraute Athelstan ihm an, »ich werde eine Weile weg sein. Du sollst darauf achten, daß die Kerzen gelöscht werden und die Kirche abgeschlossen ist, und wenn du dir solche Sorgen um den Friedhof machst, kannst du ja selbst dort Wache halten.«

Der Sakristan machte ein gekränktes Gesicht; und Athelstan hätte sich die Zunge abbeißen können. Er hatte nicht so scharf sein wollen, aber Cranstons geheimnisvolles Auftauchen hatte ihn nervös gemacht.