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Er führte den Coroner zur Kirche hinaus. Cranston sah Bonaventura heranspringen, um sie zu begrüßen, aber er hatte keine Lust darauf, daß der verfluchte Kater sich wieder an seinem Bein rieb; also schickte er Athelstan, die Pferde holen.

»Folge mir, mein Mephistopheles«, knurrte er, »zu einem Ort, wo es warm und sicher ist.«

Sie überquerten den ausgefahrenen Weg, schlängelten sich zwischen schwerrädrigen Karren hindurch und führten die Pferde hinunter zur London Bridge und in die willkommene Wärme der Schenke Zum Gescheckten Pferd. Cranston liebte dieses Lokal, eine wahre Lasterhöhle, aber auch ein Ort, wo es gutes Ale, feinen Wein und köstliches Essen gab. Selbstverständlich kannte der Coroner den Wirt, Joscelyn, persönlich.

»Ein echter Sünder«, so hatte er ihn einmal beschrieben, »der in den Himmel kommen wird, weil er die Himmelspforte geklaut hat.«

Athelstan gab ihm recht. Der Wirt des Gescheckten Pferdes war ein einarmiger ehemaliger Seeräuber, der dem Ordensbruder einmal im Vertrauen erklärt hatte, wie gern er in die Kirche ginge, wenn ihm vom Geruch des Weihrauchs nicht immer so schlecht würde. Athelstan grinste. Es war doch seltsam, daß er gerade erst Tosspot beerdigt hatte, der ausgerechnet in diesem Wirtshaus Krüge und Teller abgewaschen hatte. Er sah sich um. Das Lokal sah sauberer aus; die Wände waren frisch verputzt, das Holz neu gestrichen, und die Binsenstreu auf dem Boden war frisch und duftete. Joscelyn kam ihnen entgegengewatschelt. Der alte Halunke strahlte über das ganze feingeäderte Gesicht, und seine eine Hand kratzte sein Kinn, als er genüßlich an den fetten Gewinn dachte, der da in Aussicht stand. Sir John war ein tüchtiger Trinker und bei den Wirten der Stadt sehr beliebt.

»Mylord Coroner«, sagte Joscelyn und verneigte sich spöttisch. »Ihr seid mir höchst willkommen in meiner bescheidenen Behausung.«

»In drei Teufels Namen, du alter Halunke!« dröhnte Cranston. »Bist du zu deinen alten gottlosen Gewohnheiten zurückgekehrt? Woher hast du das Geld, um diese Kloake der Niedertracht zu säubern?«

Joscelyn zuckte die Achseln und spreizte die Finger. »Ich habe einen neuen Partner«, verkündete er stolz. »Er hat sein Wirtshaus in der Barbican Street verkauft und ist auf die andere Seite des Flusses gezogen, um von der Schnüffelei gewisser Herren Coroner verschont zu werden.«

Cranston brüllte vor Lachen und ging mit Athelstan in eine Ecke, wo abseits der übrigen Gäste noch ein Tisch und ein paar Schemel standen. Athelstan war ziemlich verlegen. An den Weinfässern hatte er Pike, den Grabenbauer, entdeckt; die Friedhofserde klebte noch an seinen Händen, und er war in ein Gespräch mit einigen Fremden vertieft. Die Große Gemeinde, dachte Athelstan, Bauern von den verschneiten Feldern außerhalb Londons, die sich hereinschlichen, um vom Aufstand zu reden, Verrat zu planen und Komplotte zu schmieden. Pike bemerkte ihn und hob mit wachsamem Blick seinen Bierkrug. Athelstan lächelte ihm zu, und kurz darauf stand Pike auf und ging mit seinen Kumpanen hinaus.

Cranston hockte sich mit dem Rücken zur Wand und spähte hungrig zu den Schinken und Fleischbrocken hinauf, die an Stricken von den Deckenbalken zum Trocknen hingen. Er sah, wie ein Schankbursche ein neues Faß anstach, und durch eine offene Tür konnte man einen Blick in die Küche mit dem riesigen Ofen werfen, wo Joscelyn sein eigenes Brot buk. Ein Junge mit staubgrauem Gesicht harkte Kohlen und Holz zu einem sauberen weißen Aschehaufen zusammen. Man würde das Brot hineinschieben, den Ofen verschließen, und während er abkühlte, würde das Brot darin backen. Ein sonderbares Gasthaus, dachte Sir John, mitten im Herzen von Southwarks Dreck, aber die Biere und Weine waren immer frisch und die Speisen köstlich. Auf einem Tisch entdeckte er einen großen Gewürzbehälter aus Silber. Cranston kratzte sich am Kopf. Soviel neuer Reichtum. Müßig fragte er sich, ob Joscelyn vielleicht wirklich zu seinen alten Gewohnheiten zurückgekehrt war und ein kleines Schmuggleruntemehmen betrieb.

Athelstan betrachtete den Coroner aus dem Augenwinkel. Sir Johns Laune hatte sich zwar gebessert, aber Athelstan graute davor, einen ganzen Tag lang zuzuschauen, wie er einen Becher Wein nach dem anderen hinunterschüttete. Der Wirt kam. »Mylord Coroner, wollt Ihr etwas bestellen?«

Cranston starrte versonnen zur Decke hinauf.

»Keinen Fisch«, sagte er dann. »Einen Fasan vielleicht oder ein paar Wachteln, goldbraun geschmort und mit Kräutern gefüllt. Und eine dicke Tunke dazu. Und frisches Brot.«

»Und der ehrwürdige Vater?« fragte Joscelyn sarkastisch.

»Der ehrwürdige Vater«, erwiderte Athelstan geschmeidig, »möchte einen Teller dicke Lauchsuppe, etwas Brot und einen Becher Wein - mehr Wasser als Wein.«

Sie warteten, bis Joscelyn gegangen war.

»Nun, Mylord Coroner?« fragte Athelstan. »Was ist passiert?« Cranston schilderte in kurzen, bündigen Sätzen das grausige Ereignis, das in seinem Haus stattgefunden hatte. »Ich war auch schon im Rathaus«, schloß er betrübt. »Der Bürgermeister hat mir unmißverständlich zu verstehen gegeben, wie unzufrieden Seine Gnaden der Regent über unsere mangelnden Fortschritte ist. Adam Horne gehörte anscheinend zu seinem Gefolge.«

»Und was habt Ihr geantwortet?«

»Ich habe ihm gesagt, daß mich das alles einen Rattenarsch interessiert und ich mein Bestes tue.«

»Vermutlich war der Bürgermeister mit dieser wortgewaltigen Antwort zufrieden, oder?«

Cranston lehnte sich an die Wand. »Oh, wir hatten einen Streit, aber ich bin vernünftig genug, die Konfrontation nicht zu suchen. Ich habe ihm erklärt, daß wir Horne gesucht und nicht gefunden haben.« Er sah Athelstan an, und sein Blick war voller Selbstmitleid. »Ich muß diese Sache mit Lady Maude aus der Welt schaffen«, sagte er leise. »Sie benebelt mir den Verstand.« Athelstan wartete, bis die schlampige Bedienung ihnen die Weinbecher hingestellt hatte.

»Sir John, wir wollen die Ereignisse einmal der Reihe nach betrachten.« Er hob eine Hand. »Nein, das ist notwendig. Und - bitte, verzeiht mir - wir müssen die Angelegenheit mit Lady Maude einstweilen beiseite stellen.«

Cranston nickte düster.

»Sir Ralph Whitton«, begann Athelstan, »wurde gewarnt, daß er sterben werde, weil er Vorjahren in Outremer einen schrecklichen Verrat begangen hat. Ich weiß«, fügte er leise hinzu, »daß er einer solchen Tat schuldig war. Deshalb hat er hinten in sein Stundenbuch all diese Gebete an Julian, den Hospitaliter, gekritzelt.«

»Wer war denn das?«

»Ein Ritter, der schreckliche Mordtaten begangen hat und sein restliches Leben damit zubrachte, Buße zu tun. Jedenfalls«, fuhr Athelstan fort, »zieht Sir Ralph aus seinem Gemach in die vermeintliche Sicherheit der nördlichen Bastion. Er hat Angst und will nicht einmal seinen maurischen Diener Rastani mitnehmen. Am Abend vor seinem Tod trinkt er viel und zieht sich dann in seine Schlafkammer zurück. Was ist danach passiert?« fragte Athelstan, um Cranston aus seinen finsteren Grübeleien zu reißen.

Der Coroner trank geräuschvoll aus seinem Becher. »Tja, lieber Bruder, nach allem, was wir wissen, schloß Sir Ralph die Tür von innen ab, ging zu Bett und nahm den Schlüssel mit. Die Tür zu dem Gang, an dem sein Zimmer liegt, wurde von den beiden Wächtern verschlossen; das andere Ende des Ganges ist durch eingestürztes Mauerwerk versperrt. Die Wächter sind die ganze Nacht auf ihrem Posten im Eingang zur Nordbastion. Sie sind vertrauenswürdig, und der Schlüssel zum Gang und ein zweiter Schlüssel zu Sir Ralphs Kammer hängen neben ihnen an einem Haken. Wir haben zuverlässig ermitteln können, daß keiner der beiden Wächter seinen Posten verlassen hat und beide nichts Außergewöhnliches gesehen und gehört haben.«

»Und jetzt zum Mord«, drängte Athelstan.

»Der junge Geoffrey«, fuhr Cranston fort, »an dem Sir Ralph offenbar einen Narren gefressen hatte, erscheint früh am nächsten Morgen. Die Wächter durchsuchen ihn nach Waffen und schließen ihm dann die Tür zum Gang auf. Diese Tür wird, anscheinend weil Sir Ralph es so befohlen hat, gleich wieder abgeschlossen, und Geoffrey geht, um ihn zu wecken. Die Wachen hören ihn klopfen und rufen, dann kommt unser junger Held zurück. Er verkündet, er sei außerstande, Sir Ralph zu wecken, will umkehren, um selbst aufzuschließen, besinnt sich aber und läuft zu Colebrooke, dem Lieutenant. Zusammen kehren sie zurück und öffnen Sir Ralphs Kammer. Der Raum ist unberührt, aber Whitton liegt mit durchgeschnittener Gurgel im Bett. Der Leichnam ist eiskalt, und die Fensterläden stehen sperrangelweit offen. Und hier, mein lieber Bruder, fangen unsere Probleme an.«