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»Nein«, sagte er, setzte sich auf seinen Schemel und umfaßte den schwarzen Ale-Becher mit beiden Händen. »Woodforde ist ein stilles Dorf. Jetzt, da die Burghgeshs nicht mehr da sind, noch stiller.«

»Was ist aus dem Herrenhaus geworden?«

»Die Kommissare des Königs haben es versiegelt. Seitdem ist niemand mehr dagewesen.« Der Priester hustete. »Ich wüßte es sonst. Der Sheriff von Essex zahlt mir ein kleines Handgeld, damit ich darauf achte, daß die Siegel an Türen und Fenstern nicht aufgebrochen werden.« Er sah Cranston an. »Und sie sind immer noch unversehrt. Es ist ja auch nichts mehr drin. Alles ist fortgeschafft worden, das Dach ist eingestürzt, die Wiesen und das Ackerland ringsum sind verkauft.«

»Es gab weiter keinen Erben?«

»Nicht, daß ich wüßte.« Pater Peter stellte plötzlich seinen Becher beiseite. »Beim heiligen Gott«, rief er. »Doch, da war etwas«, murmelte er aufgeregt. »Vor drei oder vier Jahren, da war etwas sehr Merkwürdiges. Wie ein Traum. Wann war das gleich? Ja, zu Beginn des Advent. Das Jahr habe ich vergessen. Ich hatte die Frühmesse gelesen und war ins Haus gegangen, um zu frühstücken, und ging dann zurück in die Kirche, um den Altar aufzuräumen.« Pater Peter schaute ins Feuer. »Ich kam durch das Kirchenschiff und sah zu meiner Überraschung einen Mann, der in Mantel und Kapuze vor dem Eingang zur Marienkapelle kniete.«

»Wo Mark Burghgesh bestattet ist?«

»Ja. Ich habe einen leisen Gang, und zuerst hörte der Mann mich nicht. Aber als er mich bemerkte, stand er sehr hastig auf, zog sich die Kapuze tief ins Gesicht, drängte an mir vorbei und verließ die Kirche, ohne meinen Gruß zu erwidern. Ich konnte nur ein paar weiße Haarsträhnen sehen und seinen grauen, sauber getrimmten Bart.« Er nahm seinen Becher und trank einen Schluck. »Nun war es Jahre her, seit ich Bartholomew Burghgesh gesehen hatte, und ich hatte geglaubt, er sei längst tot, aber der Mann, den ich an jenem kalten Dezembermorgen sah, war Sir Bartholomew persönlich. Dessen bin ich sicher. Er hatte seinen Gang und die Haltung eines Berufssoldaten.«

Athelstan beugte sich aufgeregt vor. War Sir Bartholomew etwa am Leben? War er der Schlächter mit den blutigen Händen, der seinen Opfern auflauerte? »Sprecht weiter, Pater«, bat er.

»Nun, ich habe niemandem etwas davon gesagt. Die Leute im Dorf hätten ja geglaubt, ich hätte getrunken oder sonstwie den Verstand verloren.« Er grinste Athelstan an. »Ihr wißt ja, Bruder, wie gern die Schäfchen über ihren Hirten tratschen.«

Athelstan lächelte und warf einen Seitenblick auf Cranston, der mit offenem Mund dasaß und den Enthüllungen des Priesters lauschte.

»Ein Jahr später«, fuhr Pater Peter fort, »am Fest Allerheiligen, war ich im Ale-Haus des Dorfes. Es war Herbst, und die Landschaft verblich im rauheren Wetter. Wir redeten über den Tod und erzählten uns gruselige Gespenstergeschichten. Der Wirt - Gott hab ihn selig, er ist inzwischen gestorben - erklärte plötzlich, er habe Sir Bartholomew Burghgeshs Geist gesehen. Die ändern lachten ihn natürlich aus, aber er blieb dabei und erzählte, etwa zur selben Zeit, als ich glaubte, Sir Bartholomew gesehen zu haben, sei spät abends ein Fremder ins Dorf gekommen und in der Schenke eingekehrt, um dort zu essen und zu trinken. Der Mann hatte Mantel und Kapuze getragen und kaum ein Wort gesprochen, außer um zu bestellen.« Der Pater schloß die Augen. »Der Wirt berichtete, der Mann habe deutlich gemacht, daß er in Ruhe gelassen werden wollte. Woodforde liegt schließlich an der Landstraße nach London, und wir haben oft Leute hier, die ihre Angelegenheiten lieber für sich behalten. Jedenfalls - der Fremde wollte gerade gehen, als ein Schankmädchen einen Krug fallen ließ. Der Mann fuhr herum, und für ein paar Sekunden sah der Wirt sein Gesicht. Und er schwor, es war Bartholomew Burghgesh.« Pater Peter seufzte. »Ich sagte natürlich kein Wort, aber ich war doch verblüfft und ging am nächsten Tag zu dem alten Herrensitz bei Buxfield. Wenn es Burghgesh war, dachte ich, war er doch sicher zu seinem alten Haus zurückgekehrt. Aber nichts war angerührt worden.« Achselzuckend spreizte er die Hände. »Das ist alles. Gott allein weiß, ob der Mann, den der Wirt und ich gesehen haben, wirklich Sir Bartholomew war. Andere Gerüchte von plötzlicher Rückkehr aus dem Morgenland oder aus dem Grab habe ich nicht gehört. Da ließ ich die Sache auf sich beruhen.«

»Pater«, sagte Athelstan, »bitte, wann war das? Vor drei odervier Jahren?«

Der Priester starrte ins Feuer.

»Ja … vor drei Jahren«, antwortete er schließlich. »Aber mehr kann ich Euch wirklich nicht sagen.« Er lächelte.

Cranston beugte sich vor und packte den Priester am Handgelenk.

»Pater, Eure Gastfreundschaft ist so wertvoll wie das, war Ihr uns da erzählt habt.« Er sah Athelstan an und lächelte. »Komm, Bruder, es ist noch nicht einmal Mittag. Wenn wir schnell reiten, können wir vor Anbruch der Dunkelheit wieder in der Stadt sein.« Er sah Pater Peter an. »Ich danke Euch, Pater.« Er drehte sich um und warf dem Jungen, der immer noch in der Ecke hockte, einen Penny zu. »Und du, mein Junge, wirst entweder ein guter Knappe oder ein Kaufmann.«

Sie erhoben sich, zogen ihre Mäntel an, und eine Stunde später lag Woodforde bereits hinter ihnen. Sie ritten durch Leighton, vorbei an dem grausigen Schafott mit dem frischen Grab, und gelangten wieder auf die Mile End Road. Cranston hatte sich in einer Dorfschenke seinen wunderbaren Weinschlauch füllen lassen und plauderte jetzt munter drauflos.

»Es ist möglich, Bruder«, dröhnte er zum x-ten Mal, und seine bärtigen Lippen waren rot vom Saft der Trauben, »durchaus möglich, daß Sir Bartholomew noch lebt und im Tower oder ganz in der Nähe versteckt seinen lautlosen Rachefeldzug führt.«

»Sir John«, erwiderte Athelstan, »das könnte ja sein, aber wie sollte Burghgesh sich tarnen? Als Mitglied der Garnison? Als Küchengehilfe? Als Händler, der Zugang zum Tower hat?« Cranston machte ein ordinäres Geräusch.

»Oder«, fuhr Athelstan fort, »hockt er wie eine schwarze Spinne irgendwo in der Stadt, und andere führen seine grausigen Befehle aus?«

Cranston zügelte sein Pferd.

»Merkwürdig, weißt du«, brummte er.

»Was denn?«

»Na, vor drei Jahren war Whitton verstört und aufgeregt, als hätte er einen Geist gesehen. Gleichzeitig wurde eine Gestalt in Mantel und Kapuze in einer Taverne am Tower gesehen. Und dieselbe Person, wahrscheinlich Burghgesh, wurde in Woodforde gesichtet.«

»Wollt Ihr damit sagen, Whittons Aufregung war durch Burghgeshs plötzlichen Auftritt ausgelöst worden?«

» Selbstverständlich.«

»Aber wenn das stimmt, was soll seitdem aus Burghgesh geworden sein?«

Die beiden erörterten immer noch ihre widersprüchlichen Theorien, als sie lange nach Einbruch der Dunkelheit Aldgate erreichten und durch eine kleine Pforte im Tor in die Stadt gelangten. Berauscht von Wein und seinen Ideen, war Cranston inzwischen sicher, daß sie die Wahrheit gefunden hatten. Athelstan widersprach nicht mehr. Zumindest, dachte er, hatte die Reise nach Woodforde den Coroner von seinen unaufhörlichen, qualvollen Grübeleien über das geheimnisvolle Verhalten der Lady Maude abgelenkt.

*

Während Athelstan und Cranston zur Stadt zurückritten, stand der Hospitaliter Fitzormonde im Innenhof des Tower und betrachtete den riesigen Bären, der sich Essensreste aus der Küche in den Rachen stopfte. Wie Athelstan war auch Fitzormonde fasziniert von der Bestie und bewunderte insgeheim den verrückten Rothand, der als einziger wagte, sich dem Tier zu nähern. Auf all seinen Reisen hatte Fitzormonde noch nie ein so gewaltiges Untier gesehen. Die meisten Bären waren klein und schwarz, manchmal nicht größer als ein Mensch. Dieses große, zottelhaarige Tier erinnerte ihn an die Geschichten, die Ritter erzählt hatten, nachdem sie in den Teutonischen Orden in den wilden schwarzen Wäldern des Nordens gewesen waren. Sie hatten von Rehwild gesprochen, das doppelt so groß sein sollte wie irgendeines in England, und von Bären, so riesig wie dieser hier, der mit seinen gewaltigen Vorderpfoten ein Pferd zerquetschen könnte.