Выбрать главу

»Ihr wißt, wonach wir suchen?« fragte Cranston leise.

Venables nickte. »Aber bis jetzt - nichts, Sir John.«

»Gibt’s einen Keller?«

Der Ratsherr führte Cranston die Treppe hinunter. Sie suchten den dunklen Schankraum ab, bis sie eine Falltür fanden. Venables klappte sie auf. Vorsichtig stiegen die beiden Männer eine Holzleiter hinunter. Der Keller war ein langgestrecktes Loch. Am hinteren Ende befand sich noch eine Falltür, damit die Karren von der Straße ihre Fässer herunterrollen lassen konnten. Cranston befahl Venables stehenzubleiben und ging durch den Keller; im trüben Schein der Fackeln sah sein mächtiger Wanst grotesk aus. Am Ende blieb er stehen, senkte die Fackel und spähte hinter drei große Weinfässer. Im Lichtschein schimmerten die Spinnweben an den Fässern wie goldene Schleier. Cranston beugte sich vor und betastete die klebrige Masse, die er entdeckt hatte. Dann hob er die Hand in den Lichtschein und betrachtete das Blut, das an seinen Fingern klebte. Er zwängte den Arm wieder hinter die Fässer und tastete umher.

»Sir John?« rief der Ratsherr. »Ist alles in Ordnung?«

»Soweit wie möglich, Master Venables. Ich habe den Wirt gefunden - oder wenigstens einen Teil von ihm.« Cranston hob den rumpflosen Kopf hinter den Fässern auf und hielt ihn in die Höhe wie der städtische Henker. Der Ratsherr warf einen Blick auf das blauweiße Gesicht, die halbgeschlossenen Augen, den schlaffen blutigen Mund und den ausgefransten Stumpf, der früher einmal ein Hals war. Dann ließ er sich auf einen Stein sinken und würgte heftig. Cranston legte den Kopf wieder hin und kam zurück; unterwegs wischte er die Finger an der modrigen Wand ab. Im Vorbeigehen klopfte er Venables sanft auf die Schulter.

»Nehmt einen Schluck Rotwein, mein Bester. Der beruhigt den Magen und stärkt das Herz. Und dann schreibt Ihr einen Haftbefehl für Roger Droxford. Laßt nach ihm fahnden, und setzt…«

Cranston verdrehte die Augen. »Ja, setzt zehn Pfund Belohnung auf seinen Kopf aus - tot oder lebendig. Das Haus laßt versiegeln; sollte kein Testament und kein selbsternannter Erbe auftauchen, wird der Rat der Stadt vielleicht ein wenig reicher.«

Er kletterte die Leiter zum Schankraum hinauf und trat hinaus auf die bitterkalte Straße.

»Wir haben den Wirt gefunden«, gab er bekannt. »Ermordet. Ich glaube, der gute Ratsherr braucht eure Hilfe, um die Leiche zusammenzusetzen.«

Die Hand auf dem langen walisischen Dolch, stapfte Sir John dann durch vereiste Gassen und Straßen zurück. Er bog in die Mercery ein und schnappte nach Luft. Der eisige Wind verschlug ihm den Atem. »Ach, wäre doch Sommer!« dachte er wehmütig. »Mit grünen Pflanzen und schönem, fettem Gras!« Er schlitterte über das vereiste Kopfsteinpflaster und lehnte sich grinsend an das Holz eines Hauses.

»Athelstan müßte hier sein und helfen«, dachte er. »Wenn schon nicht bei enthaupteten Leichen, dann sollte er wenigstens mich auf dem Glatteis stützen.«

Er wanderte die Cheapside hinauf. Eine dunkle Gestalt löste sich aus dem Schatten und kam auf ihn zu. Cranston zog den Dolch halb aus der Scheide.

»Sir John, um der Liebe Christi willen!«

Cranston betrachtete das grobknochige Gesicht des einbeinigen Bettlers, der sonst an einem wackligen Stand an der Ecke der Milk Street billigen Glitzerschmuck verkaufte.

»Nicht im Bett, Leif? Auf der Suche nach ’ner Lady, was?«

»Sir John, man hat mich beraubt!«

»Geh zum Sheriff.«

»Sir John, ich habe kein Geld und nichts mehr zu essen.«

»Dann bleib im Bett.«

Leif lehnte sich an die Wand. »Ich habe die Miete nicht bezahlt. Da bin ich aus meiner Dachkammer geflogen«, klagte er.

»Na, dann geh betteln bei St. Bartholomew«, kläffte Cranston und ging weiter. Er hörte, wie Leif hinter ihm herhumpelte. »Sir John, helft mir.«

»Verpiß dich.«

»Danke, Sir John«, rief der Bettler, als die Münzen klimpernd zu Boden fielen. Leif kannte den dicken Coroner gut genug, um zu wissen, daß Sir John es haßte, wenn man ihn bei Mildtätigkeiten beobachtete.

Cranston blieb vor seinem Haus stehen und schaute hinauf zu den erleuchteten Fenstern. Leif wäre fast gegen ihn geprallt, und Cranston schüttelte ihn ab. Was ist los mit Maude? fragte er sich. Er hatte die Ehe immer mit dem Griff in einen Sack voller Aale verglichen: Was man herauszog, war eine Frage des Glücks. Aber er hatte doch solches Glück gehabt. Er betete Maude an, vom mausfarbenen Haar auf ihrem Kopf bis zur Sohle ihrer winzigen Füße.

Während er noch gedankenverloren dastand, kam eine Gestalt aus der Gasse auf sein Haus zu.

»In drei Teufels Namen!« rief er. »Schläft denn niemand in dieser Stadt?«

Der Mann trat näher, und Cranston erkannte die Livree des Bürgermeisters.

»In drei Teufels Namen!« wiederholte er. »Noch mehr Ärger.« Mit klappernden Zähnen und heiserer Stimme überbrachte der junge Bote seine Nachricht.

»Sir John, der Lord Mayor und seine Sheriffs wünschen Euch unverzüglich im Rathaus zu sehen.«

»Geh zum Teufel!«

»Danke sehr, Sir John. Der Lord Mayor hat gesagt, Eure Antwort würde so ähnlich lauten. Soll ich auf Euch warten?« Der junge Mann schlug die Hände zusammen. »Sir John, mir ist kalt.«

Unter weiteren Beschimpfungen hämmerte Cranston an seine Haustür. Eine schmalgesichtige Magd öffnete. Hinter ihr stand Maude, vollständig angezogen, das liebe Gesicht tränenverschmiert. Sir John grinste sie an, seine Beunruhigung verbergend.

»Liebes Weib, ich muß zum Rathaus - aber nicht ohne Frühstück.« Er zog den jungen Boten ins Haus. »Der hier muß auch essen. Er sieht aus, als hätte er’s nötig.«

Cranston machte auf dem Absatz kehrt, ging noch einmal hinaus und packte Leif beim Kragen. »Dieser faule Hund leistet uns ebenfalls Gesellschaft. Danach gibst du ihm was zu tun. Er bleibt über Weihnachten bei uns.« Nun klopfte er sich auf den dicken Bauch. »Für uns alle heiße Hafergrütze und Würzkuchen.« Er schnupperte. »Und etwas von dem frischgebackenen Weißbrot.« Er warf seiner Frau einen gerissenen Blick zu. »Und Rotwein, heiß und gewürzt. Und dann sag dem Hausknecht, ich brauche mein Pferd.« Er grinste breit, sah aber, allem Gepolter zum Trotz, wie blaß und krank seine Frau wirkte. Er schaute weg. O Gott, dachte er, werde ich Maude verlieren? Er warf den Mantel ab, ging an seiner Frau vorbei und berührte dabei sanft ihre Schulter.

*

Athelstan teilte die Kommunion aus und legte seinen Gemeindekindem die dünnen weißen Hostien auf die Zungen. Crim hielt ihnen dabei den Silberteller unters Kinn, um jeden Krümel aufzufangen, der vielleicht herunterfiel. Der Gemeinderat war fast vollständig erschienen; einige waren noch hereinspaziert, als die Messe schon halb vorbei war.

Der Ordensbruder wollte gerade zum Altar zurückkehren, als er an der Außenmauer des Seitenschiffes ein Klopfen hörte. Natürlich! Er hatte die Leprakranken vergessen, die beiden unglückseligen Aussätzigen, denen er erlaubt hatte, im muffigen Beinhaus auf dem Kirchhof unterzukriechen. Athelstan versorgte sie mit Essen und Trinken sowie mit einer Schüssel Wasser mit Maulbeeren, damit sie sich waschen konnten. Noch nie hatte er ihre schorfigen weißen Gesichter gesehen. Den Kleidern nach zu urteilen, war einer fraglos ein Mann. Gern hätte er mehr für sie getan, aber das kanonische Recht war unerbittlich: Ein Aussätziger durfte nicht zusammen mit der übrigen Gemeinde die Kommunion empfangen, sondern nur durch den Lepraspalt, ein kleines Loch in der Kirchenmauer. Crim besann sich auf seine Pflichten, nahm einen kleinen Eschenzweig und reichte ihn dem Ordensbruder. Der legte eine Hostie auf das Ende und schob sie durch den Lepraspalt. Das wiederholte er und kehrte nach einem geflüsterten Gebet zum Altar zurück, um die Messe zu Ende zu bringen.

Nachher legte Athelstan in der Sakristei seine Gewänder ab, und er schloß seine Ohren vor dem Krach aus der Kirche: Watkin, der Mistsammler, schob die Bänke zusammen für die Sitzung des Gemeinderates. Athelstan kniete auf seinem Betstuhl, betete zu Gott und hoffte, daß seine Gemeinde die grausigen Vorgänge auf dem Friedhof übersehen werde.