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»Es ist schon spät, und auf dem Weg ist nichts zu sehen.«

»Setz dich in Trab, du langes Gestell!«

»Ich habe schon die Gebetswaschung vollzogen.«

»Machst du dir Hoffnung auf eine Ewigkeit, die ewiger ist als dein Dasein? Rühr dich!«

Aus einem Aschenbecher klaubte er sich die Kippe einer Zigarette, die sie geraucht hatte. Es war nur noch der orangefarbene Filter und ein kleiner weißer zerdrückter Rest; er betrachtete ihn lange, dann ließ er ihn mitten in den Haufen toter Mücken zurückfallen. Vom Nil drang brackiger Duft mit einer weiblichen Aura herein. Es kam ihm in den Sinn, sich mit dem Zählen der Sterne die Zeit zu vertreiben, aber es fehlte ihm der Wille. Gäbe es auf den Sternen keinen, der sich mit der Beobachtung unseres Planeten und dem Studium seiner sonderbaren Zustände beschäftigte, so wären wir verloren. Aber wie wird dieser Beobachter von den Sternen unser ausgelassenes Gelage von Anbeginn bis Ende auslegen? Er wird sagen, es gibt leichte Zusammenballungen, die Dunst ausstoßen, wie er öfter in der Atmosphäre der Planeten zu finden ist, und aus den Zusammenballungen kommen vage Laute, die nicht zu verstehen sind, solange wir keine Vorstellung von ihrer Zusammensetzung haben. Der Umfang der Zusammenballungen vergrößert sich gelegentlich, was darauf hindeutet, daß sie sich auf irgendeine Weise durch eigene oder fremde Kraft vermehren. Daraus läßt sich folgern, daß es nicht ausgeschlossen ist, daß eine bestimmte Art von primitivem Leben auf diesem Planeten vorhanden ist, und dies im Unterschied zu der Ansicht, die behauptet, daß kein Leben außerhalb der feurigen Atmosphäre möglich sei. Sonderbar ist, daß diese leichten Zusammenballungen verschwinden, um wieder von neuem zu erscheinen. Dieser Zustand wiederholt sich auf immer dieselbe Weise, ohne daß ein klarer Sinn erkennbar würde, was die Ansicht zu unterstützen scheint, daß dort zumindest kein Leben im eigentlichen Sinne vorhanden ist. Er zog den Saum seiner Gallabiya hoch, entblößte seine behaarten Beine und lachte laut, damit er von dem Beobachter auf dem Stern gesehen und gehört würde. Er sagte sich, wir leben zwar, aber wir sind im Begreifen so weit fortgeschritten, daß wir begriffen haben, daß es keine Bedeutung hat; wir werden immer weiter vordringen, und keiner kann prophezeien, was dann sein wird. Wir werden uns aber nicht wundern wie Julius Cäsar, als die ewig Schöne dem zusammengerollten Teppich entstieg. Der verblüffte Feldherr fragte: »Wer ist das Mädchen?«

Und sie antwortete im vollen Bewußtsein ihrer Schönheit: »Kleopatra, Königin Ägyptens.«

7

Er stützte sich mit den Ellenbogen auf das Geländer der Veranda und betrachtete die ruhige Abenddämmerung. Ein Windhauch umstrich seine Glieder durch den Ausschnitt seiner Gallabiya und trug mit dem Duft des Nils und der Büsche die Stimme Abduhs zu ihm herüber, der die Betenden unweit des Hausboots anführte. Noch spürte er auf seiner Zunge den Geschmack des ungesüßten Kaffees. Seine Phantasie vermochte sich noch nicht von Ibn Tulun[5] loszulösen, in dessen Zeit er sich für eine Weile vor dem Nachmittagsschläfchen ergangen hatte. In der kurzen Spanne, die dem Kaffeetrinken folgt und der Fahrt vorausgeht, wartete er in der Regel, daß etwas geschähe; und eine unbestimmte Trauer ohne erkennbaren Grund befällt ihn. Als eine leichte Schwingung durch das Hausboot ging, fragte er sich, wer wohl so früh käme. Er verließ die Veranda und ging in das Zimmer. Er sah Sammara Bahgat hinter dem Wandschirm hervortreten. Lächelnd kam sie auf ihn zu, er aber betrachtete sie erstaunt. Sie reichten sich die Hand. Als sie sich wegen ihres frühen Kommens entschuldigte, begrüßte er sie mit echter Freude. Begeistert ging sie zur Veranda, als begegnete sie dem Nil zum ersten Mal. Mit schwärmerischen Augen durchschweifte sie die verträumte Abenddämmerung und betrachtete lange die Akazienbäume mit ihren rötlich-violetten Blüten, dann wandte sie sich um.

Sie sahen sich an, sie neugierig, er leicht verlegen. Er lud sie zum Sitzen ein. Aber sie ging zunächst zu seiner Bibliothek links vom Eingang, überflog aufmerksam die Regale, kehrte um und setzte sich auf ein in der Mitte des Halbkreises liegendes Kissen. Er drückte seine Freude über ihren angenehm frühen Besuch aus, nachdem sie eine Woche lang ausgeblieben war. Er verglich seine weiße Gallabiya mit ihrer einfachen Kleidung, sie trug eine weiße Hemdbluse und einen grauen Rock. Der Ausschnitt ihrer Bluse ließ nichts vom Ansatz ihrer Brust sehen. Es mochte Gründe dafür geben, die mit ihrem Beruf oder mit ihrer Einstellung zusammenhingen.

»Waren Sie wirklich verheiratet und Vater?« fragte sie ihn. Ehe er antworten konnte, entschuldigte sie sich für ihre Aufdringlichkeit; soviel sie wisse, habe Ali as-Sayyid dies einmal beiläufig erwähnt. Er nickte mit dem Kopf. Als er die Neugierde in ihren honigfarbenen Augen las, erklärte er: »Ich lebte damals noch allein als Student vom Lande in Kairo. Mutter und Kind starben im selben Monat an derselben Krankheit.«

»Das war vor zwanzig Jahren«, fuhr er sachlich fort. Er erinnerte sich an die Geschichte mit der Spinne und der Fliege. Voller Unbehagen dachte er daran, daß er noch kaum die Fahrt angetreten hatte. Er fürchtete ein Wort des Mitleids, aber sie schwieg verständnisvoll. Dann blickte sie auf die Bücherregale:

»Man sagte mir, Sie seien versessen auf Geschichte und Kultur, aber soviel ich weiß, schreiben Sie selbst nicht.« Er zog seine breiten ebenmäßigen Augenbrauen hoch, und zugleich hob er sein großes, breitwangiges bleiches Gesicht, es schien abwehrend oder höhnisch, sie lachte und fragte: »Warum haben Sie das Studium abgebrochen?«

»Ich hatte keinen Erfolg, dann ging mir das Geld aus, schließlich bekam ich eine Stelle im Gesundheitsministerium durch einen meiner damaligen Medizinprofessoren.«

»Vielleicht ist es keine Arbeit für sie!«

»Ich bereue nichts.«

Er schaute auf seine Armbanduhr, dann goß er ein wenig Brennspiritus auf die Kohlen, zündete sie mit einem Streichholz an und trug das Kohlebecken auf die Schwelle der Veranda. Sie aber fragte weiter:

»Fühlen Sie sich nicht einsam? Oder könnte es nicht sein, daß…«

»Dazu habe ich keine Zeit«, unterbrach er sie lachend. »Ich bin auf jeden Fall froh«, lachte sie, »Sie diesmal nüchtern angetroffen zu haben.«

»Ich bin es nicht ganz…«

Er folgte ihren Blicken, die sich auf die aufglimmenden Kohlen richteten, lächelte und deutete auf die Kaffeetasse, in der nur noch eine Spur des bräunlichen Satzes vorhanden war. Sie nahm es hin und pries das Leben auf dem Nil. Er verriet ihr, daß seine Bekanntschaft mit diesem schönen Leben noch verhältnismäßig jung sei.

»Wir wohnten in verschiedenen Wohnungen und blieben nie von der Belästigung der Nachbarn verschont.« Plötzlich lachte er leichthin auf, anders als sonst. Fragend schaute sie ihn an. Er lachte wieder und deutete auf seinen Kopf: »Die Fahrt hat begonnen. Ihre Augen sind schön!«

»Welche Beziehung besteht zwischen beiden?«

»Es gibt keine Beziehung zwischen einem Ding und einem anderen«, betonte er.

»Auch nicht zwischen einer Kugel und dem Tod eines Menschen?«

»Nicht einmal das. Die Kugel ist eine vernünftige Erfindung, aber nicht der Tod!«

»Wissen Sie, ich bin mit Absicht so früh gekommen, um mit Ihnen allein zu sein, weil Sie der einzige sind, der kaum redet.« Er verwahrte sich dagegen durch Hochziehen der Augenbrauen, aber sie beharrte darauf:

»Auch wenn Sie die ganze Zeit mit sich selbst reden.« Ein Schweigen trat ein, und er vertiefte sich in die immer dichter werdende Nacht. Es kam ihm in den Sinn, daß ihre frühe Ankunft ihn um die Beobachtung der langsam heraufziehenden Nacht brachte, aber er bedauerte es nicht. Draußen ließ sich ein ihm vertrautes Husten hören. »Amm Abduh«, murmelte er. Voller Interesse sprach sie von ihm und stellte eine Menge Fragen, aber er antwortete nur, dieser Mann werde nicht krank, sei gegen jedes Wetter gefeit und kenne sein Alter nicht, es komme ihm vor, als werde er nie sterben.

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5

Ibn Tulun, Ahmed (835—884): Gründer der Tuluniden-Dynastie in Ägypten.