Sie bedachten, welche zähen Hindernisse ihnen entgegenstünden und daß Gefahren wie Entlassung, Verhaftung und Tod drohten. Eine Stimme beklagte sich über das Verrinnen der Zeit.
Der Mond war verschwunden, und von dem glitzernden Teppich war nur ein dünner Streifen übriggeblieben. Die Pfeife kreiste weiter, und Sammara hörte nicht auf zu lachen. In seinem Kopf schwirrten allerlei Einfälle durcheinander, die islamischen Eroberungszüge und die Kreuzzüge, die Inquisition, das tödliche Schicksal der Liebenden und der Philosophen, die blutigen Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten, die Märtyrerzeit und die Auswanderung nach Amerika, der Tod Adilas und Haniyas, seiner Frau und seiner Tochter, und das Feilschen mit den Mädchen der Nilallee, der Wal, der Jonas rettete, Amm Abduhs Arbeit zwischen Imamat und Zuhälterei, die nicht zu beschreibende Stille der späten Nachtstunden, die phosphoreszierenden Einfälle, die für einen Augenblick aufleuchteten und für immer vergingen. Die Stimme Sammaras weckte ihn; sie fragte: »Wie waren Sie in Ihrer frühen Jugend?«
Ein Gelächter erscholl. Warum lachen sie? Hatte ihr Leben keine frühe Jugend gehabt? Ferne Erinnerungen, die' nun der Steinzeit angehören. Das Dorf, der einzige Wohnraum und das Unveränderliche. Das Verharren im Dorf und in dem einzigen Raum. Der Mond ging damals auf und unter und erinnerte nicht an ein Ende. Khalid sagte:
»In meinen jungen Jahren blieb keine Frage ohne Antwort, die Erde drehte sich nicht, die Hoffnung bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von hundert Millionen Lichtjahren in die Zukunft.«
»Ich fragte mich eines Tages, warum die Angst vor dem Tod einem ewigen Glück im Wege steht«, erklärte Ali as-Sayyid. Und Mustafa Raschid sagte:
»Bei einer Protestdemonstration wären Anis und ich damals beinahe umgekommen.«
Das Mädchen aber wunderte sich über nichts. Sie sprach davon, daß der einstige Enthusiasmus in neuen Formen wiedergewonnen werden könnte. Aber sie wiesen auf den Verrat der Frauen hin, der ihnen das Vertrauen in sie genommen habe. Zu Mustafa, der ihre Ideen am lautesten bestritt, sagte sie: »Sie fliehen vor der Verantwortung in das Absolute.« Lakonisch antwortete er:
»Für viele ist die Verantwortung der Weg, vor dem Absoluten zu fliehen.«
Das Ei und die Henne. Was mich betrifft, so schabe ich Haschisch, stopfe, lege auf, zünde das Feuer an und lasse die Wasserpfeife kreisen, dann mache ich mich zum Lagerplatz für den Schrott ihres Gezänks. Die Frauen lachen und träumen von der Liebe. Und die Zeit verfliegt mit verwirrender Geschwindigkeit. Immer wieder, wenn die Professorin gehen wollte, beharrte der Zauberer darauf, daß sie bliebe. Bald würde die Sitzung aufgehoben sein. Al-Khayyam, der einst eine große Schule gegründet hatte, bürgt heute für den Ruhm eines Luxushotels. Bei unserem letzten Zusammentreffen eröffnete mir Khayyam, daß er in einen Sportklub einträte, lebte er in unseren Tagen. »Es ist Zeit.«
Alle Gefährten gingen, nur Ragab und Sammara blieben zurück. Kein Zweifel, sie ahnen nicht, daß der Nil uns zu unserem jetzigen Zustand verurteilt hat. Von allen unseren alten Kulturen ist nur der Ibiskult übriggeblieben. Die eigentliche Krankheit ist die Angst vor dem Leben und nicht die Angst vor dem Tod. Und nun hören wir, wie gewohnt, den üblichen Dialog: »Wäre es nicht besser, meine Liebe, die Liebe zu genießen?«
»Eine gute Idee.«
»Also dann…«
»Ich habe Ihnen gesagt, ich bin ein ernsthafter Mensch.«
»Bürgerliche Moral!«
»Ernst ist Ernst.«
»Bei Gott, unter welchen Voraussetzungen würden Sie sich denn hingeben?«
Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: »Etwa nach einer Heirat?«
»Sagen Sie, aus Liebe…«
»Dann kommen Sie?«
»Ist es Ihr Ernst?«
»Ich scherze nie.«
»Und Sana?«
»Sie wissen anseheinend nichts von der Psyche verrückter Teenager.«
»Ich weiß genug darüber.«
»Würden Sie sich hingeben, wenn ich Ihnen verspreche, an die Ernsthaftigkeit zu glauben?«
»Sie sind wirklich witzig.«
Da näherte er sein Gesicht dem ihrigen. Die alte Szene wiederholte sich. Er küßte ihre Lippen. Sie wehrte sich nicht, aber sie erwiderte den Kuß nicht, sondern blickte ihn kalt und ironisch an. Der Ritter ist geschlagen und zieht sich zurück.
Auf diese Weise ging der persische Ritterstaat zugrunde. Er sagte lächelnd:
»Gehen wir im kleinen Garten spazieren!«
»Es ist aber schon sehr spät.«
»Im Hausboot gibt es keine Zeit.«
Der Raum blieb leer zurück. Nein, er war noch nicht leer, da waren noch die Überreste der Sitzung, die Bibliothek, der Wandschirm, der Kühlschrank, das Telefon, das Neonlicht, die blaue Lampe, zwei Sessel, ein hellblauer Teppich mit Rosenmuster und das Skelett eines Menschen aus dem Atomzeitalter. Sie aber gingen im Garten spazieren, das feuchte Gras würde ihre Hitze kühlen. Ihr Geflüster würde auf die Veilchen- und Jasminblätter niedergehen. Und es war nicht ausgeschlossen, daß sie nach den Tönen der Nachtgrillen tanzten.
Amm Abduh kam, um seine letzte Arbeit zu verrichten. Er beobachtete ihn lange, dann sagte er: »Falls du ein Mädchen findest…«
»Uoh!«
»Vor der Gebetswaschung oder danach, sonst wehe dir…«
»Ein rechtschaffener Mann, der regelmäßig zum Frühgebet kam, ist gestorben.«
»Dir wünsche ich ein langes Leben; mir scheint, daß du uns alle überleben wirst.«
Der Alte lachte unschuldig, während er das Tablett wegtrug. Anis' Auge fiel auf eine weiße Tasche auf dem Sitekissen, auf dem Sammara gesessen hatte. Es schien ihm, daß die Tasche ihre Eigenart habe und daß sie ihn irgendwie listig anziehe. Ein starkes Verlangen, etwas Ungewöhnliches zu tun, überkam ihn. Er streckte die Hand aus und öffnete die Tasche. Er sah die üblichen Gegenstände, aber sie schienen ihm höchst eigenartig, Wohlgeruch strömte ihm entgegen. Ein Taschentuch, ein dunkelblaues Fläschchen, ein Kamm mit silbernem Griff, eine Börse und ein kleines Notizbuch. Er öffnete die Börse und fand einige Geldscheine. Es kam ihm der Einfall, ein halbes Pfund zu nehmen, um es dem Mädchen zu geben, das Amm Abduh ihm bringen würde. Er freute sich sehr darüber. Er glaubte fest, daß er damit auf eine einzigartige Idee gekommen sei, die ihm ein großes Vergnügen bereiten würde. Er nahm das Notizbuch und steckte es in seine Tasche. Er schloß die Handtasche und lachte aus vollem Halse. Der gescheiterte Sezierversuch von einst wird wiederaufgenommen und ein geschlossenes Herz aufgeschlitzt. Er wird sich verjüngen und die Tage des unbeschwerten Vergnügens wieder auffrischen. Das Mädchen wird sich alles Mögliche und Unmögliche denken. Sie wird sich fragen, ob das Protoplasma von vornherein dazu bestimmt gewesen sei, alle diese Wunder zu enthalten. Sie wird mich fragen, wann ich ein Vulkan gewesen bin, bevor ich zu einem leblosen Sediment wurde. Darauf weiß ich keine Antwort, aber vielleicht weißt du eine, du, dessen die Geschichte rühmend gedenkt. Er saß vor mir wie ein Standbild.
»Du bist Thutmosis III.?«
»Ja«, antwortete er mit einer Stimme, die mich an Mustafa Raschid erinnerte. »Was tust du?«
»Ich teile den Thron mit meiner Schwester Hatschepsut.«
»Viele fragen, warum du so träge bist im Schatten ihrer Macht?«
»Sie ist die Königin.«
»Aber du bist der König.«
»Sie ist stark und herrschsüchtig.«