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Es sind Jahre des Krieges und des Verderbens.«

»Laßt mich mehr hören, Weiser!« sprach ich. Und er sang weiter:

»Was ist es, was in Ägypten geschah? Der Nil bringt immer noch die Überschwemmung. Wer einst nichts besaß, ist nun wohlhabend. Hätte ich doch meine Stimme beizeiten erhoben!«

»Und wovon hast du noch gesungen, Weiser Ibu-qur?« Und er sang:

»Ihr habt die Weisheit, die Umsicht und die Gerechtigkeit,

Aber ihr laßt die Fäulnis das Land zersetzen.

Seht, wie eure Befehle mißachtet werden,

Ihr braucht nur zu fragen, und es kommt einer,

der euch die Wahrheit erzählt.«

12

Eine Stimme, die seinen Namen flüsterte, weckte ihn auf. Er lag auf dem Rücken auf der Veranda, und als er die Augen aufschlug, sah er eine leuchtende Wolke am Himmel, die ihm sagte, daß der Mond scheine, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. An welchem Ort befand er sich und zu welcher Zeit! »Herr Anis!«

Er drehte sich auf die Seite und sah Sammara auf der Schwelle der Veranda. Er stützte sich auf die Arme, richtete sich auf und schaute mit schlaftrunkenen Augen zu ihr hoch. »Es tut mir leid, daß ich zu dieser unpassenden Stunde zurückgekommen bin.«

»Haben wir noch immer dieselbe Nacht?«

»Wir sind erst vor einer Stunde gegangen; ich bitte um Entschuldigung.«

Er schleppte sich bis an das Geländer der Veranda, um seinen Rücken zu stützen, und versuchte sich zu erinnern. »Ich komme vom Midan at-Tahrir zurück, Ragab hat mich bis dahin gefahren.«

»Seien Sie willkommen, mein Zimmer steht Ihnen zur Verfügung, wenn Sie mir die Ehre geben wollen.«

»Ich bin nicht zurückgekehrt«, erwiderte sie erschrocken, »um hier zu schlafen. Das wissen Sie nur allzu gut.« Dann setzte sie gelassen hinzu und senkte dabei die Augen: »Ich möchte mein Notizbuch zurückhaben.«

»Ihr Notizbuch?« wiederholte er verwundert. »Bitte!«

Die Lust an bösen Streichen regte sich in ihm. Er wehrte ab: »Sie bezichtigen mich des Diebstahls?«

»Nein, nicht des Diebstahls, aber Sie müssen es irgendwie gefunden haben.«

»Das würde bedeuten, ich hätte es gestohlen.«

»Um Gottes willen, gehen Sie es mir zurück, es ist jetzt keine Zeit zum Reden.«

»Sie irren sich.«

»Ich irre mich nicht.«

»Ich will diese Beschuldigung nicht wieder hören.«

»Ich beschuldige Sie nicht, aber geben Sie mir mein verlorenes Notizbuch zurück.«

»Ich weiß nicht, wo es ist.«

»Aber ich habe Sie mit eigenen Ohren zitieren hören, was darin steht.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Sie verstehen ganz genau, es gibt doch keinen Grund, mich zu quälen.«

»Quälen ist nicht meine Sache.«

»Die Nacht ist bald zu Ende.«

»Stellt Ihre Mami Sie wegen der Verspätung zur Rede?« fragte er spöttisch.

»Seien Sie doch wenigstens für einen Augenblick ernst!«

»Wir kennen keinen Ernst.«

»Wollen Sie etwa mein Geheimnis verraten?« fragte sie beunruhigt. »Wie könnte ich, da ich doch nichts davon weiß.«

»Seien Sie so freundlich wie immer.«

»Ich bin nicht freundlich, ich bin halb verrückt, halb tot.«

»Was in den Notizen steht, ist nicht meine Meinung über Sie, es sind nur Gedanken für das Stück.«

»Wir sind wieder bei Rätseln und Verdächtigungen.«

»Ich baue immer noch auf Ihre Großmut.«

»Was berechtigt Sie zu dieser Annahme?«

»Sie haben meine Sätze wortwörtlich zitiert.«

»Halten Sie es für ausgeschlossen, daß wir gleiche Einfälle gehabt haben könnten?«

»Ich glaubte fest, daß Sie mir mein Notizbuch zurückgeben würden.«

»Sie bilden sich also ein, Sie würden in wenigen Tagen verstehen, was ich seit Jahren vergeblich zu begreifen suche.« Sein Lachen zerriß die Stille auf dem Nil, dann sagte er in verändertem Ton:

»Ihre Gedanken sind hohl, glauben Sie mir!«

»Sie geben es endlich zu!« rief sie erleichtert aus. »Ich gebe es Ihnen zurück, aber es taugt zu nichts.«

»Es sind lediglich erste Skizzen.«

»Sie sind hinterhältig.«

»Gott verzeihe Ihnen das!«

»Sie sind nur gekommen, um zu spionieren, nicht um der Freundschaft willen.«

»Verdächtigen Sie mich nicht!« wehrte sie ab. »Ich mag euch wirklich gern und suche eure Freundschaft. Ich glaube auch fest daran, daß in jedem Menschen ein potentieller Held steckt. Mich hat weniger eure Wirklichkeit interessiert als die Möglichkeit, daraus etwas Brauchbares für das Stück zu machen.«

»Strengen Sie sich nicht an, Ausreden zu ersinnen; mich geht das Ganze nichts an.«

Er streckte ihr die Hand mit dem Notizbuch entgegen: »Was die fünfzig Piaster betrifft, so freut es mich, Ihr Schuldner zu bleiben.« Sie stutzte:

»Aber wie… ich meine…«

»Wie ich sie gestohlen habe? Sehr einfach, wir betrachten alles in diesem Hausboot als Gemeineigentum.«

»Bei Gott, geben Sie mir eine Erklärung, die mich beruhigt!«

»Es war eine unwiderstehliche Versuchung«, lachte er. »Brauchten Sie es?«

»Ich habe es einer Dirne gegeben, die Amm Abduh hierherbrachte.«

»Sie brauchten es also?«

»Nein, so arm bin ich nicht.«

»Warum haben Sie es dann genommen?«

»So wie ich das Geld verwendet habe, empfand ich es als eine gewisse Annäherung an Sie.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Ich beginne an all meinen Grundsätzen zu zweifeln.«

»Es wäre besser, Sie hätten überhaupt keine Grundsätze.« Sie lachte.

»Erstrebenswert scheint Ihnen wohl alles, was Sie zu dem ersehnten Mann führt.« Als sie erneut lachte, sagte er:

»Ich verstehe Sie, wie auch die anderen Sie verstehen.« Sie hatte sich schon abgewandt, um fortzugehen, nun aber blieb sie neugierig stehen.

»Sie gaben uns nur Ragabs wegen die Ehre.« Sie lachte gleichgültig. Er aber deutete auf das verschlossene Zimmer und sagte:

»Leise, wecken Sie nicht die Liebenden!«

»Ich bin nicht, wie ihr meint, ich bin ein Mädchen…« Er unterbrach sie:

»Sind Sie tatsächlich ein Mädchen, dann kommen Sie mit in mein Zimmer, um es zu beweisen!«

»Sie sind nett, aber ich würde Ihnen nicht gefallen.«

»Warum nicht?«

»Weil es schrecklich ist, daß ein Mädchen ernst sein kann.«

»Aber ich lade nur ernsthafte Mädchen ein.«

»Wirklich?«

»Alle Dirnen sind ernsthaft.«

»Das verzeihe Ihnen Gott!«

»Sie kennen keinen Scherz. Sie arbeiten bis in die späte Nacht, nicht um des Vergnügens oder um des Genusses willen, sondern für ein fortschrittliches Ziel, nämlich für ein besseres Leben.«

»In diesem Hausboot ist zwischen Ernst und Scherz nicht zu unterscheiden.«

»Das sind zwei Namen für ein und dieselbe Sache.« Sie seufzte und kündigte damit das Ende des Gesprächs an, aber sie zögerte einen Augenblick und fragte ihn: »Haben Sie vor, das Geheimnis des Notizbuches zu verraten?«

»Hätte ich die Absieht, dann hätte ich es bereits getan.«

»Ich beschwöre Sie bei dem, was Ihnen das Liebste ist, mir die Wahrheit zu sagen.«

»Das habe ich getan.«

»Ich würde lieber von allein gehen, als weggejagt zu werden.«

»Ich möchte weder das eine noch das andere.« Sie schüttelte ihm die Hand und verabschiedete sich in herzlichem Ton: »Danke!«

Dann entfernte sie sich eilig, begleitet von der Stimme Amm Abduhs, die zum Frühgebet rief.

13

Ein Schwanken des Hausboots kündigte einen Besucher an, obwohl die Gesellschaft schon vollzählig versammelt war. Sie fragten sich, wer es sein könnte. Unruhig gespannt wandten sie sich zur Tür, und Ahmad Nasr stand auf, um dem Ankommenden am Eingang entgegenzutreten. Aber ein vertrautes Lachen drang an ihr Ohr, und sie erkannten Sanas Stimme, als sie »Hallo!« rief.