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»Es bedrückt mich, daß unsere Lippen sich noch nicht begegnet sind.«

Sie drehte ihren Kopf zu den Feldern hin, als wollte sie den Grillen und Fröschen lauschen. Sie murmelte, wie schön die Sterne über den Feldern seien. Welche neuen Gedanken mochte sie in ihr Notizbuch eingetragen haben? Werden wir das Glück haben, uns eines Abends auf der Bühne zu sehen und mit den Zuschauern lauthals zu lachen? »Ich weiß, was Sie sagen möchten.«

»Wie?«

»Sie sind nicht wie die anderen?«

»Das sagen Sie.«

»Aber die Liebe…«

»Aber die Liebe!«

»Sie glauben mir nicht!«

Wo bleibt die Aufrichtigkeit im Dunkeln? Was bedeuten unsere Stimmen den Insekten? Du bist in den Vierzigern, und du mußt in den nächsten Filmen andere Rollen übernehmen. Weißt du nicht, daß der mächtige Casanova sich in die Bibliothek des Herzogs zurückzog?

»Sagen Sie bitte nicht, das seien bourgeoise Überbleibsel.«

»Wie soll ich Ihre Angst verstehen?«

»Ich habe keine Angst.«

»Dann ist es ein Problem des Selbstvertrauens.«

»Diese Worte hörte ich Sie einmal im Film sprechen.«

»Vielleicht glaube ich nicht an die Ernsthaftigkeit, aber ich glaube an Sie.«

»Das ist das Problem Don Juans.«

Gespenster auf den Feldern und im Kopf. Das Dorf in vergangenen Tagen: Heirat, Vaterschaft, Ehrgeiz und Tod. Die Sterne haben Billionen Jahre hinter sich, aber von den Sternen der Erde haben sie noch nichts gehört. Keine Gespenster, es sind nur verwilderte, vernachlässigte Bäume mitten auf dem Felde. »Ich kann warten, bis wir heiraten.«

»Heiraten?«

»Aber in mir ist ein Dämon, der sich gegen alles Geregelte auflehnt.«

»Das Geregelte?«

»Sie verstehen alles, aber ich verstehe Sie nicht.« Wo war die Veranda und das Plätschern der Wellen, die Wasserpfeife, der Geruch des Wassers und Amm Abduh? Und die Einfälle, die wie Blitze durch den Kopf schossen, gegen die Schatten der Laubbäume prallten und erloschen, wo? »Warum haben Sie die Heirat mit diesem angesehenen Mann abgelehnt?«

»Er konnte mich nicht überzeugen.«

»Sie haben ihn also nicht geliebt?«

»Wenn Sie so wollen…«

»Er ist wie ich in den Vierzigern?«

»Nein, das nicht.«

»Die Überzeugung ist wichtig bei einer arrangierten Ehe, nicht in der Liebe.«

»Das weiß ich nicht.«

»Und das Geschlechtliche?«

»Eine Frage, die unbeachtet bleiben kann.« Anis schrie mit einer Stimme, die die Stille der Nacht zerriß:

»Welche Problematisierung des Alters, der Liebe und des Geschlechts, ihr Kinder der Sprachwissenschaft…« Sie drehten sich erschreckt um, dann lachten sie: »Ich dachte, du schläfst«, sagte Ragab. »Wie lange bleiben wir noch in diesem Gefängnis?«

»Wir sind hier erst ein Stündchen.«

»Warum haben wir nicht Selbstmord begangen?«

»Wir versuchten es mit der Liebe.«

Aus der Dunkelheit drangen die Stimmen der Zurückkehrenden, vereinzelt wurden Schatten sichtbar. Sie kamen zum Wagen und versammelten sich davor. Ja, mein Lieber, man hätte uns in dieser Verlassenheit leicht umbringen können. Wie schade, vorbei sind die Tage der Raubritter und Strolche. Ohne die Scham der falschen Pionierin, sagte Khalid, hätte er beinahe die Ursünde begangen.

»In der Dunkelheit entschlossen wir uns, unsere Fortschrittlichkeit auf die Probe zu stellen«, sagte Mustafa Raschid. »Wir wetteiferten im Bekenntnis unserer Verfehlungen.« Ragab fand die Idee originell, worauf Mustafa fortfuhr: »Jeder beichtete seine Sünden.«

»Sünden?«

»Ich meine das, was die Allgemeinheit dafür hält.«

»Und wie war das Ergebnis?«

»Wunderbar.«

»Wie viele davon sind Verbrechen?«

»Dutzende.«

»Und wie viele Vergehen?«

»Hunderte.«

»Hat keiner von euch eine gute Tat begangen?«

»Nur Ahmad Nasr.«

»Ihr meint seine Treue zu seiner Ehefrau?«

»Und zu der Finanzordnung und zu den Vorschriften für Lagerung und Einkäufe.«

»Wie habt ihr euch selbst eingestuft?«

»Wir kamen überein, daß wir Naturmenschen sind, denen nichts angekreidet werden kann. Die Moral, nach der wir schuldig sind, ist überholt, sie gehört einer vergangenen Epoche an. Wir sind Pioniere einer neuen, aufrichtigen Moral, die die Gesetzgebung noch nicht erfaßt hat.«

»Bravo, bravo.«

Er vertiefte sich in den Anblick der Bäume, die den Weg in unvergleichlich ästhetischer Vollkommenheit zu beiden Seiten einfaßten. Änderten sie ihre Plätze, so wären Wissenschaft und Erkenntnis dahin. Da war eine Schlange, die um einen Ast kroch und etwas sagen wollte. Ja, sagen Sie etwas, das hörenswert ist. Aber verflucht sei das Getöse. »Laßt mich hören!« Sie lachten über sein Geschrei. »Was möchtest du hören?« fragte Mustafa. Sie drängten sich ins Auto, und er quetschte sich wieder gegen die Tür, und die Schlange verschwand. »Jetzt fährt euch ein moderner Fahrer«, sagte Ragab. Der Wagen setzte sich in Bewegung, der Motor heulte auf wie ein Sturmwind. Beständig erhöhte er seine Geschwindigkeit. Hysterisches Gelächter brach aus. Abgerissene Wortfetzen waren zu hören. Protestierende Rufe und Hilfeschreie erhoben sich. Fliehende Bäume jagten an ihnen vorüber. Ein wildes Gefühl überfiel die Körper, als stürzten sie in einen Abgrund, und die erschreckende Erwartung erfüllte sie, in der Tiefe aufzuprallen.

»Wahnsinn. Das ist Wahnsinn!«

»Wir werden unbarmherzig in den Tod gefahren.«

»Halt! Wir müssen wieder zu Atem kommen.«

»Nein… nein… auch der Wahnsinn hat eine Grenze.« Aber Ragab hob den Kopf in einem wilden Rausch, gab Vollgas und schrie dabei wie ein Indianer. Sammara berührte seinen Arm und flüsterte: »Bitte…«

»Laila weint«, sagte Khalid nervös, »nimm Vernunft an!« Ah, da verfliegen die Phantasien, und im Kopf bleibt nur ein hoher Blutdruck zurück. Der Herzschlag setzt aus wie in den schlimmsten Krisen der Sucht. Schließ die Augen, damit du nicht den Tod siehst.

Plötzlich ein entsetzlicher Schrei. Erschauernd öffnete er die Augen und sah einen schwarzen Schatten durch die Luft fliegen. Der Wagen wurde gewaltig hin- und hergerissen und drohte umzustürzen. Das plötzliche Bremsen warf sie durcheinander, sie flogen gegen Sitze und Türen. Ein erbarmungswürdiges Stöhnen durchfuhr sie. »Ein Mensch wurde zerschmettert.«

»Zehnfach getötet!«

»So mußte es enden!«

»O Unglücksnacht!«

»Nehmt euch zusammen!« schrie Ragab mit rauher Stimme. Er erhob sich leicht, um nach hinten zu sehen, setzte sich aber wieder und fuhr weiter.

Ahmad Nasr beugte sich nach vorn, wie um etwas zu fragen, doch der andere sagte entschlossen: »Wir müssen fliehen.«

Ein tödliches Schweigen befiel sie; er aber sagte weiter: »Das ist die einzige Lösung.« Keiner erhob Einspruch, bis Sammara flüsterte: »Vielleicht braucht er Hilfe?«

»Es ist zu Ende mit ihm.« Etwas zu laut sagte sie: »Das kann man nicht mit Sicherheit sagen.«

»Wir jedenfalls sind keine Ärzte.« Sie richtete ihre Frage an alle: »Was sagt ihr dazu?«

Als niemand einen Laut von sich gab, murmelte sie: »Ich glaube…«

Verärgert bremste er und brachte den Wagen mitten auf der Straße zum Stehen und wandte sich an die anderen: »Es soll morgen nicht gesagt werden, ich allein hätte mich zum Fliehen entschlossen. Ich stehe zur Verfügung; was denkt ihr?«

»Antwortet! Ich verspreche, mich eurem Beschluß zu unterwerfen«, schrie er aus Protest gegen ihr Schweigen. »Wir müssen fliehen, das ist die einzige Lösung«, erwiderte Khalid.

Und Ahmad Nasr sagte:

»Bring uns weg von hier, damit wir an einem sicheren Ort darüber nachdenken können, was wir tun sollen.«

»Wir haben keine Zeit, darum herumzureden. Ich möchte es jetzt klipp und klar wissen…« Darauf sagte Ali as-Sayyid entschieden: