Выбрать главу

»Nun peinigst du mich wieder.«

Er schwieg lange. »Du liebst ihn, nicht wahr?« Sie flüchtete sich ins Schweigen.

»Hast du ihn anders gefunden als den trefflichen Bewerber, den du abgelehnt hast?«

»Der Kampfgeist hat dich immer noch nicht verlassen«, beklagte sie sich.

»Du brauchst dich deshalb nicht zu schämen. Ragab ist auch ein ausgezeichneter Mann.«

»Aber ohne Moral.«

»Moral gibt es längst nicht mehr, selbst bei Ahmad Nasr nicht.«

»Ich würde sagen, du übertreibst, aber ich habe kein Recht dazu.«

»Die Amoralität wird alle davor bewahren, eine moralische Dummheit zu begehen, und Ragabs Liebe wird dir zuteil werden.«

»Peinige mich, wie es dir gefällt. Ich weiß, ich habe es verdient.« Er lachte, so daß er den Schmerz in seinem Kiefer spürte: »Und nun gestehe ich dir, daß auch Eifersucht eines der Motive meines ungewöhnlichen Benehmens war.« Erstaunt blickte sie ihn an. Er lächelte.

»Ich darf dich doch nicht täuschen. Du könntest dir vielleicht einbilden, daß eine der Personen deines Stücks sich unter dem Einfluß deines Geredes in ihr Gegenteil verwandelt habe, oder durch die Tiefe der gemachten Erfahrungen. Das Ende könnte somit verfälscht werden.« Sie schaute ihn weiter an.

»Es gäbe auch ein anderes Ende, das nicht weniger lächerlich wäre, etwa, daß du meine Liebe erwidertest.« Sie senkte die Augen. »Wie siehst du denn das Ende?«

»Das ist das Problem, nicht nur das des Stücks.«

»Aber du sprachst von dem, was sein sollte.«

»Das ist richtig, es war nicht nur Zorn und Eifersucht, es kam mir auch in den Sinn, das zu sagen, was gesagt werden mußte, einen ernsthaften Standpunkt zu beziehen, um zu prüfen, welche Wirkung es haben würde. Da kam es zu einem Erdbeben, dessen Folgen wir nicht übersehen, und du selbst gibst dich geschlagen.«

»Du schändest noch meine Leiche.«

»Nein, ich liebe dich.« Tiefe Trauer verdunkelte ihre Augen.

»Ich gestehe dir, daß ich entschlossen hin, ernsthaft zu sein, ernsthafter, als ich es in Wirklichkeit bin.«

»Sag schnell, was du zu sagen hast, denn der Kaffee wirkt bald.«

»In meiner freien Zeit überkommt mich der Wunsch, mich treiben zu lassen, es überfällt mich wie Zahnweh.«

»Das sind die Symptome.«

»Aber ich kämpfe dagegen an mit dem Willen und dem Verstand.«

»Es ist nicht ausgeschlossen«, bemerkte er ironisch, »daß du die notwendige Entwicklung für den Verlauf des Theaterstücks in der Rückentwicklung der Heldin findest.«

»Nein, nein, ich bin fest entschlossen«, ereiferte sie sich. Er schwieg aus Mitleid mit ihr.

»Und dennoch bin ich überzeugt, daß es nicht nur eine Sache des Verstands und des Willens ist«, fügte sie hinzu. »Wessen Sache ist es dann?«

»Kennst du das Riesenrad im Lunapark?«

»Nein.«

»Es dreht sich mit den Fahrgästen von unten nach oben und von oben nach unten…«

»Und?«

»Wenn du hinauffährst, dann hast du auch das Gefühl, daß es aufwärts geht, und wenn du hinabfährst, hast du auch das Gefühl, daß es hinabgeht, und in beiden Fällen ohne daß Wille und Verstand beteiligt sind.«

»Erkläre mir das näher und vergiß nicht den Kaffee!«

»Wir gehören zu den Abwärtsfahrenden.«

»Und was ist zu tun?«

»Wir haben nichts außer Verstand und Willen.«

»Und die Niederlage?«

»Nein«, fuhr sie ihn scharf an. »Betrachtest du dich als ein Beispiel für den Sieg?«

»Unter den Hinabfahrenden gibt es welche, die über sich selbst hinausgewachsen sind, und auch solche, die sich selbst vernichtet haben.«

Sie sprach weiter über die Hoffnung, er aber blickte in die Dunkelheit. Die Nacht schlug mit den Flügeln, und die Geheimnisse funkelten wie Sterne. Ihre Worte wurden zu einem Flüstern, das aus den Niederungen eines Traumes auftauchte. Etwas sagte ihm, daß gleich das dunkle Wasser sich auftun und der Kopf des Wales auftauchen würde. Sie sprach zu ihm: »Du bist nicht mehr bei mir?« Und er sprach zu sich selbst:

»Der Ursprung der Schwierigkeiten ist die Klugheit des Affen.«

»Du hättest den Kaffee nicht trinken sollen.«

»Er lernte auf zwei Füßen gehen, und so bekam er die Hände frei.«

»Das heißt, daß ich gehen muß?«

»Er stieg vom Paradies der Affen in den Baumwipfeln hinab auf den Waldboden.«

»Eine letzte Frage, bevor ich gehe: Hast du einen Plan für die Zukunft, sollten sich die Dinge zum Schlimmsten wenden?«

»Sie sprachen zu ihm, kehre zurück auf die Bäume, sonst zerreißen dich die wilden Tiere.«

»Steht dir eine ausreichende Pension zu, solltest du, was Gott verhüte, entlassen werden?«

»Er ergriff mit der Hand einen Ast, einen Stein mit der anderen und schritt vorsichtig vorwärts, indem er seine Augen nach vorn auf einen Weg ohne Ende richtete.«

Nachwort

Nagib Machfus ist derjenige arabische Autor des zwanzigsten Jahrhunderts, der sich im Lauf seines langen Lebens am nachhaltigsten in die Weltliteratur eingeschrieben hat. Von den dreißiger Jahren bis weit in die neunziger war er als Autor tätig, rund fünfzig, teils ausgesprochen umfangreiche Werke hat er publiziert, überwiegend Romane und Erzählungen. Die arabische Literatur kennt keinen größeren Zeitzeugen und zugleich Chronisten des Wandels in dieser Epoche, die für die arabische Welt die turbulenteste seit dem Mittelalter war, angefüllt mit Revolutionen, Kriegen, Umstürzen, Terrorismus und einer alles verschlingenden Modernisierung, die, um nur das eklatanteste Beispiel zu nennen, dazu geführt hat, daß Kairo, die Geburts- und Heimatstadt von Machfus, die zur Zeit seiner Geburt im Jahr 1911 gerade einmal 750 000 Einwohner zählte, heute, immer noch zu Lebzeiten des Autors, auf fünfzehn Millionen oder mehr angewachsen ist und zu den größten Städten der Welt zählt. Dieser atemberaubende Wandel ist in allen Werken von Machfus mehr oder weniger realistisch verarbeitet. Seine Romane sind Mitschriften, Bestandsaufnahmen; in medizinischer Terminologie ließen sie sich als Diagnose, als Aufzeichnung eines Krankheitsverlaufs beschreiben, wobei das Instrumentarium dieses Romanciers, der, hätte sich sein Studienwunsch erfüllt, Arzt geworden wäre, den neuen, neumodischen Krankheiten seiner Gesellschaft entsprechend in fast jedem Jahrzehnt seines über sechzigjährigen Wirkens neu eingerichtet und geeicht worden ist. Aber was ihm als Arzt nicht angestanden hätte, macht des Romanciers Qualitäten aus: Er reibt seinen Lesern keine Rezepte für die Heilung unter die Nase, er beobachtet nur von sehr nahem, wobei ihm eine andere, nicht minder erstaunliche Eigenschaft zugute kommt: sich nicht anstecken zu lassen, ja geradezu immun zu sein. Während alles um ihn herum im Mahlstrom der politischen Wirren und neuen und neusten intellektuellen Debatten versinkt und er selber alles genau wahrnimmt und niederschreibt, bleibt er sich treu und ändert vielleicht ein wenig seinen Stil und sein Thema, nie aber seine Grundsätze. Die Schiffbrüche der ägyptischen Gesellschaft und ihr Zuschauer: Das ist Nagib Machfus mit seinen Romanen.

Wer sein Gesamtwerk oder auch »nur« die zwanzig Bände gelesen hat, die von ihm mittlerweile auf deutsch vorliegen, hat ein Panorama der ägyptischen Gesellschaft gezeigt bekommen und darf behaupten, den ägyptischen Mittelstand besser zu kennen als seine eigenen Nachbarn — beginnend bei denen, die allmählich in die Armut abdriften, bis hin zu jenen, die sich anschicken, darüber hinauszuwachsen (oder zumindest so tun). Obwohl dieses Bürgertum zweifellos den Mittelpunkt von Machfus' Œuvre darstellt — wo nicht im Thema, da in Mentalität oder Perspektive —, weist sein Werk dennoch eine verblüffende Vielfalt an Formen und Themen auf. Realistische Gesellschaftsromane reihen sich an märchenhafte Fortschreibungen von »Tausendundeiner Nacht« oder an legendäre Reiseberichte, historische Romane stehen neben Theaterstücken, Drehbüchern und autobiographischen Skizzen. Ohne Übertreibung kann man behaupten, daß sich bei diesem Autor Literatur für jeden Geschmack, jede Bildungsstufe und jedes Alter findet.