Das Hausboot schaukelte, draußen wurde die Stimme Ragab al-Qadis hörbar, der mit einer anderen Person redete: »Vorsicht, meine Liebe!«
In allen Augen erwachte eine Neugierde. »Vielleicht bringt er eine Schauspielerin aus dem Studio mit«, murmelte Khalid.
Hinter dem Wandschirm erschien Ragab in seiner großen, schlanken Gestalt, seiner bräunlichen Haut und seinen feinen Gesichtszügen. Vor ihm schritt ein junges Mädchen, kaum zwanzig, brünett, die zarten Züge ihres runden Gesichts strahlten Freundlichkeit aus. Ragab mußte bemerkt haben, wie seine Freunde über die Jugend des Mädchens erstaunten. Lächelnd sagte er in dem ihm eigenen schwingenden Tonfalclass="underline" »Fräulein Sana ar-Raschidi, Studentin an der Philosophischen Fakultät…«
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Alle Augen richteten sich auf die neu Hinzukommende, sie wurde aber nicht verlegen und begegnete ihnen mit einem mutigen Lächeln.
Ragab legte seinen Arm um ihre Taille, begleitete sie zu seinem Platz, ließ sie neben sich niedersitzen und sagte: »Rette mich, du Vorsteher der guten Gaben!«
»Vor dem Fräulein?« fragte Ahmad.
»Vor einer aufrichtigen Verehrerin darf man nichts verbergen«, wehrte Ragab ab.
Er nahm einen langen, tiefen, kräftigen Zug, so daß die Kohlestückchen aufglühten und eine kleine Flamme aufzüngelte. Genießerisch schloß er die Augen, öffnete sie wieder und wandte sich Sana zu:
»Laß mich dir die Freunde vorstellen, die von dieser Nacht an deine Familie sein werden.«
Erst jetzt nahm er Saniya Kamil wahr, drückte ihr herzlich die Hand und erging sich in Vermutungen über die Hintergründe ihres Besuchs. Sie stimmte seinen Vermutungen lächelnd zu. Darauf stellte er sie Sana vor:
»Eine Schülerin der Mere de Dieu, Ehefrau und Mutter; in Zeiten familiärer Verstimmung kehrt sie zu ihren alten Freunden zurück, eine erfahrene Frau, die das Frausein als Jungfrau, als Ehefrau und Mutter erlebte; sie ist der Hort der Erfahrungen für die jungen Mädchen in unserem Hausboot.« Die Stimmen lachten laut, Sana lächelte ebenfalls, Saniya aber wehrte mit ihren Blicken ab, die jedoch noch keine Verärgerung ausdrückten. Ragab wandte sich Laila Zaidan zu: »Fräulein Laila Zaidan, Graduierte der Amerikanischen Universität, Übersetzerin im Außenamt; neben Schönheit und Bildung besitzt sie einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Emanzipation der Frau in unserem Land. Übrigens sind ihre goldenen Haare echt, weder künstlich noch gefärbt.« Dann wandte er sich Anis Zaki zu, der völlig mit seinem Tun beschäftigt war:
»Anis Zaki, Beamter im Gesundheitsministerium, Vormund unseres Hausboots, Minister unserer Rauschangelegenheiten, gebildet wie du. Das ist seine Bibliothek. Er durchlief die Fakultäten der Medizin, der Naturwissenschaften und des Rechts, erwarb sich ihr Wissen ohne ihre Zeugnisse, ein Mann, der keinen Wert auf Äußerlichkeiten legt. Er stammt aus einer ehrbaren bäuerlichen Familie, lebt aber seit langem allein in Kairo wie ein Weltbürger. Du darfst sein Schweigen nicht mißdeuten! Wann immer er schweigt, schwebt er in höheren Regionen.« Der nächste kam an die Reihe:
»Ahmad Nasr, Leiter eines Rechnungsamtes im Ministerium für Soziales, ein gefährlicher Beamter, Experte in Angelegenheiten des Ein- und Verkaufs und ein Experte in verschiedenen praktischen und nützlichen Dingen. Er hat eine Tochter in deinem Alter. Ein ungewöhnlicher Ehemann, der ein Studium wert ist. Seit dreißig Jahren verheiratet; nicht einmal hat er seine Frau betrogen und ist der Gemeinsamkeit nicht überdrüssig. Im Gegenteil, seine Anhänglichkeit an das eheliche Leben wird größer und größer. Deshalb schlage ich vor, ihn beim nächsten medizinischen Kongreß zum Gegenstand der Untersuchung zu machen.«
Er deutete auf Mustafa Raschid und fuhr fort: »Herr Mustafa Raschid, der bekannte Rechtsanwalt, ein erfolgreicher Mann, dazu Philosoph, verheiratet mit einer Inspektorin im Erziehungsministerium. Er schaut wahrhaftig auf das Absolute und wird es eines Nachts erlangen. Aber sei vorsichtig, denn er behauptet, daß er sein weibliches Ideal bis heute noch nicht getroffen hat…« Er streichelte Ali as-Sayyid den Rücken:
»Herr Ali as-Sayyid, der bekannte Kunstkritiker. Selbstverständlich hast du viel von ihm gelesen. Ich vertraue dir auch an, daß er des öfteren von einer utopischen Stadt der Tugenden träumt. In Wirklichkeit ist er mit zwei Frauen verheiratet, obendrein ist er der Freund von Saniya Kamil, aber das ist noch nicht alles…«
Schließlich nickte er Khalid Azzuz zu:
»Herr Khalid Azzuz, er steht in der ersten Reihe der Kurzgeschichtenschreiber. Er besitzt ein Mietshaus, eine Villa, ein Auto und ein ansehnliches Guthaben in der Kunst der L'art pour l'art, überdies einen Jungen und ein Mädchen. Er hat auch heute noch seine Privatphilosophie, von der ich nicht weiß, wie ich sie nennen soll, aber einer ihrer hervorstechenden Züge ist der sexuelle Anarchismus…«
Er lächelte Sana zu und ließ dabei seine schönen weißen Zähne sehen:
»Von denen, die zu unserem Hausboot gehören, bleibt noch Amm Abduh vorzustellen. Auf unserem Wege durch den Garten hierher sind wir an seinem Schatten vorbeigelaufen. Du wirst ihn selbstverständlich kennenlernen. Es gibt keinen in der Nilstraße, der ihn nicht kennt.«
Anis rief Amm Abduh und trug ihm auf, das Wasser der Pfeife zu erneuern. Amm Abduh nahm die Pfeife, verschwand mit ihr durch die Nebentür, brachte sie nach einer Weile zurück und verschwand wieder. Sanas Augen weiteten sich vor Staunen über die mächtige Gestalt des Mannes. Ragab meinte: »Es ist ein Glück, daß er ein Muster an Gehorsam ist, denn wenn er wollte, könnte er uns alle versenken.«
Es besteht keine Gefahr, daß wir ertrinken, solange der Wal im Wasser ist. Die Hand des unmündigen Mädchens ist so klein wie die Hand Napoleons, aber ihre Nägel sind rot und spitz wie der Schnabel eines Rettungsboots. Mit ihr wird die Reihe der Straftaten vervollständigt, die unser Boot betreffen. Und da beginnt die Finsternis zu sprechen. »Worauf hat sich das Fräulein in der Philosophischen Fakultät spezialisiert?« wollte Mustafa Raschid wissen, und wieder hüpfte sein Adamsapfel dabei auf und nieder. »Geschichte«, gab sie brav zur Antwort. »Allah«, stöhnte Anis auf. Aber Ragab fuhr ihn an:
»Ihre Geschichte ist nicht deine blutige Geschichte, sie kümmert sich um die schönen Dinge.«
»Es gibt nichts Schönes in der Geschichte!«
»Und die Liebe zwischen Antonius und Kleopatra?«
»Das ist eine blutige Liebschaft…«
»Sie beschränkt sich nicht auf Schwert und Giftschlange.« Sana wurde unruhig.
»Fürchtet ihr nicht die Polizei?« fragte sie, während sie auf den Wandschirm blickte. Mustafa Raschid lächelte. »Die Sittenpolizei?«
Als das Lachen der anderen verstummt war, fragte sie weiter: »Und die Geheimpolizei?«
»Weil wir die Polizei, die Armee, die Engländer, die Amerikaner, das Bewußte und das Unbewußte fürchten, sind wir so weit, daß wir nichts mehr fürchten.«, meinte Ali as-Sayyid lässig.
»Aber die Tür ist offen!«
»Draußen ist Amm Abduh, er ist Manns genug, jeden Angriff abzuwehren.«
»Du brauchst keine Sorgen zu haben, mein Augenlicht«, tröstete Ragab sie lächelnd. »Der Staat ist mit dem Aufbau beschäftigt, er hat zuviel zu tun, als daß er uns störte.« Mustafa Raschid reichte ihr die Pfeife: »Probier mal diese Art von Mut!«
Aber sie entschuldigte sich sanft, und Ragab stand ihr bei: »Schritt für Schritt, der Mensch hat mit den Fingernägeln angefangen und landete bei den Raketen. Dreh eine Zigarette für sie!«