Er schlürfte den letzten Schluck seines schwarzen, mit dem Zaubermittel vermischten Kaffees und leckte mit der Zunge den letzten Tropfen aus.
Die Freunde kamen, einer nach dem anderen, auch Ragab und Sana. Eine ganze Woche hielten sie es miteinander, schließlich gewöhnte sich Sana an die Wasserpfeife, so daß Ahmad Nasr Ragab ins Ohr flüsterte: »Das kleine Mädchen!« Aber der andere gab ebenfalls flüsternd zurück, während er sich auf Anis' Knie stützte: »Der erste Künstler in ihrem Leben bin ich nicht.« Laila Zaidan wiederholte mehrmals:
»Weh dem, der die Liebe wertschätzt in einer Zeit, die die Liebe nicht achtet.«
Ahmad Nasr fand keinen Zuhörer für seine konservativen Gedanken, nur den friedfertigen Anis, und so neigte er sich seinem Ohr zu und sagte:
»Schön, daß die Gefallene von gestern heute die Philosophin genannt wird.«
»Ja, das ist das Schicksal der Philosophie im allgemeinen«, antwortete Anis.
Ali as-Sayyid schnippte mit den Fingern, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken:
»Übrigens möchte ich euch eine Bitte überbringen, bevor ihr in Trance versinkt«, sagte er ernsthaft, und als einige sich ihm zuwendeten, fügte er mit klarer Stimme hinzu: »Sammara Bahgat möchte dem Hausboot einen Besuch abstatten.«
Alle Blicke richteten sich jetzt interessiert auf ihn, selbst Anis', wenn er auch in seinem Tun nicht innehielt. »Die Journalistin?«
»Meine schöne, intelligente Kollegin!«
Eine Pause, wie um zu begreifen und zu verdauen, trat ein. Mißtrauen wurde in den Augen sichtbar, und Ahmad Nasr fragte: »Aber warum will sie uns besuchen?«
»Ich bekenne mich schuldig, durch beiläufige Bemerkungen über das Hausboot ihr Interesse wachgerufen zu haben.« Ragab al-Qadi ergriff das Wort:
»Du hast eine unvorsichtige Zunge. Aber mag deine Bekannte überhaupt Hausboote?«
»Das nicht, aber sie kennt mehr als einen hier, mich z. B. als Freund und Kollegen, Khalid Azzuz durch seine Kurzgeschichten und dich aus deinen Filmen.«
»Hat sie eine Vorstellung von dem, was sich hier abspielt?«
»Ungefähr, die Stimmung hier ist ihr nicht fremd, was sich aus ihrer Arbeit und ihrer Lebenserfahrung erklärt.«
»Beurteilen wir sie danach, wie sie schreibt, dürfte sie erschreckend ernsthaft sein.«
»In der Tat, sie ist es, aber in jedem Menschen steckt etwas, das nach einfachen menschlichen Beziehungen strebt.«
»Hat sie ähnliche Eskapaden hinter sich?« fragte Ahmad Nasr beklommen.
»Ich nehme es an, sie ist recht umgänglich und liebt die Menschen…«
»Aber sie wird uns unsere Freiheit rauben…«
»Nein, nein! Du brauchst derartiges nicht zu befürchten!«
»Will sie sich uns anschließen?«
»In gewisser Weise, ich meine, in unschuldigen Dingen…«
»Unschuldig! Das heißt, daß wir Gegenstand einer journalistischen Recherche werden.« Er aber beteuerte:
»Sie will nur kommen, um uns kennenzulernen.« Du solltest dich mit dieser Sache nicht länger befassen, sonst ist das Rauchen umsonst. Denk daran, wie die Perser die erste Nachricht von der arabischen Invasion aufgenommen haben. Er lächelte. Auf dem Tablett sah er ein Heer toter Mücken, da fiel ihm ein zu fragen:
»Zu welcher Gattung gehören die Mücken?« Seine Frage störte die anderen in ihren Überlegungen. Dennoch antwortete Mustafa Raschid ironisch: »Zu den Säugetieren!« Ali as-Sayyid setzte das Gespräch fort: »Ich bin nur der Bote. Wollt ihr sie nicht einladen…« Ragab aber fiel ihm ins Wort:
»Wir haben die Meinung des anderen Geschlechts noch nicht gehört.«
Laila Zaidan hatte keine Einwände, auch Saniya Kamil nicht, aber Sana:
»Wir sollten die Entscheidung Anis, Ahmad und Mustafa überlassen, denn sie brauchen Freundinnen.«
»Nein, nein«, protestierte Ali as-Sayyid, »es geht nicht an, so etwas zu denken. Beim Leben meiner Mutter, bringt mich nicht in Verlegenheit!«
»Warum möchte sie denn kommen?« fragte Sana, während sie sich eine Haarsträhne aus dem Auge strich. »Ich habe genug gesagt.«
»Wenn die Mücken zu den Säugetieren gehören«, fragte Anis, »weshalb beharrst du dann darauf, daß deine Bekannte nicht von dieser Art ist?«
Ohne sich durch Anis' Frage ablenken zu lassen, richtete Ali as-Sayyid sich an alle:
»Eure Freiheit ist in jeder Beziehung garantiert, in Wort und Tat, beim Rauchen und beim Reden, keine Befragung und keine Untersuchung, keine derartigen journalistischen Machenschaften! Ihr könnt fest darauf vertrauen. Aber es geht nicht an, daß ihr sie als leichtfertige Frau behandelt.«
»Als leichtfertige Frau?« empörte sich Saniya.
»Ich meine, daß sie ein ehrbares Fräulein ist, wie jede von euch, die nicht zuläßt, daß man sie als sittenlose Frau behandelt.«
»Ich verstehe gar nichts«, warf Ahmad Nasr ein. »Etwas anderes erwartet man auch nicht von dir, du neunzehntes Jahrhundert, aber alle anderen verstehen es ohne Schwierigkeiten…«
Khalid Azzuz schaltete sich ein:
»Vielleicht ist sie trotz ihrer wöchentlichen Artikel durch und durch bourgeoise.«
»Sie hat nichts Bourgeoises an sich, wie du das vermutest.«
»Beschreib sie uns in einer verständlichen Form!« schlug Mustafa Raschid vor.
»Gut, sie ist fünfundzwanzig, mit noch nicht zwanzig graduiert, sie hat Englisch studiert, ist eine ausgezeichnete Journalistin, sehr erfahren für ihr Alter. Sie hat literarische Ambitionen, die sie eines Tages zu verwirklichen hofft. Sie gehört zu denen, die das Leben ernst nehmen, doch ist sie angenehm im Umgang. Man sagt, daß sie trotz ihres kleinen Gehalts eine gutbürgerliche Heirat ausschlug.«
»Warum?«
»Der Mann ist noch nicht vierzig, Direktor eines Betriebs und dazu Besitzer eines Mietshauses wie Khalid Azzuz. Darüber hinaus ist er väterlicherseits mit ihr verwandt. Aber ich glaube, sie liebt ihn nicht.«
»Nach ihren Artikeln zu urteilen«, sagte Khalid, »ist sie radikal.«
»Sag lieber, sie ist fortschrittlich, und sie ist auch aufrichtig.«
»War sie schon einmal in Haft?«
»Nein! Sie ist meine Kollegin, seit ich bei der Zeitschrift >Allerlei< arbeite.«
»In ihrer Studentenzeit vielleicht?«
»Das glaube ich nicht, sonst hätte ich das in unseren langen Gesprächen erfahren. Jedenfalls weiß ich nichts darüber mit Bestimmtheit.«
»Was bringt euch dazu, eine gefährliche Frau als Gast zu empfangen, die uns keine Unterhaltung verspricht?« wollte Sana wissen.
»Sie muß kommen, wir brauchen Zufuhr frischen Bluts«, erwiderte Laila.
Und Ali as-Sayyid fuhr fort:
»Entscheidet euch, sie ist jetzt im Club. Wenn ihr wollt, kann ich sie telefonisch einladen.« Anis fragte:
»Hast du ihr anvertraut, daß das, was uns hier verbindet, der Tod ist?«
Er antwortete ihm nicht, sondern schlug vor abzustimmen. Anis lachte über alte, tief in der Ferne zurückliegende Erinnerungen und schlug vor, Amm Abduh zu rufen, damit er mit abstimme. Ragab legte seinen Arm um Sana, und Ali as-Sayyid stand auf, um zu telefonieren.
6
Eine halbe Stunde nach seinem Telefonanruf verließ Ali as-Sayyid seinen Platz, um die Besucherin an der Tür zu empfangen. Wieder ging durch das Hausboot das gewohnte Beben unter den Tritten auf dem Steg. Ahmad Nasr wünschte, daß sie die Wasserpfeife und die dazugehörigen Gerätschaften versteckt hätten, bis sie sich der Besucherin sicher gewesen waren, aber Ragab al-Qadi winkte Anis unbekümmert zu: »Schab ab, stopf und leg auf!«
Hinter dem Wandschirm erschien sie mit lächelndem Gesicht, sie kam herein, gefolgt von Ali as-Sayyid. Sie nahm die auf sie gerichteten Blicke freundlich und ohne Verlegenheit auf. Die Männer erhoben sich, sogar Anis in seiner weißen Gallabiya, deren Saum sich über beide Beine hochgeschoben hatte. Ali as-Sayyid vollzog die übliche Vorstellung. Ahmad Nasr wollte ihr einen Stuhl bringen, aber sie zog ein Kissen vor, worauf Ragab spontan näher an Sana heranrückte und ihr einen Platz neben sich freimachte. Anis setzte seine Arbeit fort, sah aber verstohlen zu ihr hinüber. Nach allem, was er gehört hatte, erwartete er, etwas Ungewöhnliches zu sehen. Ja, sie war in der Tat eine Persönlichkeit, und auch als Frau war sie anziehend. Trotz seiner schweren Augenlider sah er ihre glatte Bräune ohne jedes Make-up. Ihre Züge waren klar wie ihre einfache Eleganz, aber in ihrem Blick lag eine Klugheit, die ein Ergründen ihrer Tiefe verwehrte. Es kam ihm vor, als habe er sie schon gesehen, aber in welcher vergangenen Epoche? War sie eine Königin, oder stammte sie aus dem Volk? Als er nochmals einen heimlichen Blick auf sie warf, erschien ihm ein anderes Bild. Er versuchte es zu erfassen, aber die Konzentration strengte ihn an, und so wandte er die Augen der Nacht zu.