Fachkundige Stellungnahme
Vorliegender Text, auch unter dem Titel A Huli bekannt, ist eine platte literarische Fälschung von unbekannter Hand, die aus dem ersten Viertel des 21. Jahrhunderts stammt. Die Mehrzahl der Experten ist sich einig, dass das Manuskript selbst weniger von Interesse ist als die Art und Weise, in der es in die Welt geworfen wurde. Eine Textdatei mit dem Namen A Huli soll sich auf der Festplatte eines Notebooks befunden haben, das unter dramatischen Umständen in einem Moskauer Park aufgefunden wurde. Das Polizeiprotokoll, das die Umstände des Fundes festhält, offenbart die Inszeniertheit dieses Vorgangs. Unserer Ansicht nach gibt es einen recht guten Einblick in die virtuosen PR-Technologien von heute.
Das Protokoll ist authentisch, die nötigen Stempel und Unterschriften bezeugen es, auch wenn der genaue Zeitpunkt der Aufnahme nicht ersichtlich wird, denn der obere Teil des Deckblatts inklusive Datierung ist der Bindung und Abheftung zwecks Archivierung (gemäß Dienstvorschrift mit Ablauf des Kalenderjahres) als Verschnitt zum Opfer gefallen. Wie aus dem Protokoll hervorgeht, wurde das Augenmerk der Polizeibeamten auf eine sonderbare Naturerscheinung im Naturpark Bitza, Verwaltungsbezirk Moskau-Süd, gelenkt. Bürger hatten über den Baumkronen ein blaues Leuchten, mehrere Kugelblitze sowie eine Vielzahl fünffarbiger Regenbögen beobachtet, einige davon in Kugelform. (Hierbei sollen nach Zeugenaussagen die Farben »eine durch die andere hervorgetreten« sein.)
Das Epizentrum der Anomalie lag auf einer großen Brachfläche am Rande des Parks, wo sich eine Sprungschanze für Fahrräder (so genannte Bikerrampe) befindet. In deren unmittelbarer Nähe wurden ein angeschmolzener Fahrradrahmen, Marke Cannondale Jekyll 1000, wie auch die Überreste der Laufräder gefunden. Das Gras im Umkreis von zehn Metern um die Rampe war versengt, die Brandfläche ergab die Form eines regelmäßigen fünfzackigen Sterns, jenseits derer das Gras keinen Schaden genommen hatte. Neben dem Fahrradrahmen lag diverse Frauenbekleidung: Jeans, ein Paar Turnschuhe, ein chinesischer Wochentags-Slip mit dem Aufdruck Sonntag und ein T-Shirt mit den eingestickten Buchstaben ckuf.
Nach den Photos zu urteilen, die dem Protokoll beiliegen, ist der dritte Buchstabe eher ein kyrillisches и als ein lateinisches u. Man darf also annehmen, dass es sich nicht um ein Anagramm zum Wort fuck handelt, wie M. Lejbman in seiner Monographie schreibt, sondern um das russische Wort für Skythe. Ein Indiz dafür liefert die Rückenaufschrift des Shirts: Ja, wir sind Asiaten!, die unzweifelhaft auf einen Vers aus Alexander Blocks Poem Die Skythen anspielt, das Lejbman anscheinend nicht kennt.
Unter den Kleidungsstücken fand sich auch besagter Rucksack mit dem Notebook. Sämtliche Gegenstände waren unversehrt und gänzlich ohne Brandspuren, was daraufschließen lässt, dass sie an dem Ort abgelegt wurden, als die sternförmige Grasfläche bereits versengt war.
Im Zusammenhang mit dem Vorfall wurde kein polizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Was mit dem (angeblich) auf der Festplatte des Notebooks vorgefundenen Text weiter geschah, ist bekannt. Zunächst kursierte er in Kreisen obskurer Okkultisten, später wurde er als Buch veröffentlicht. Der ursprüngliche Titel mag auch den hartgesottenen Exponenten des modernen Buchmarkts zu obszön vorgekommen sein, weshalb er in Das heilige Buch der Werwölfe geändert wurde.
Der Text ist selbstredend keiner ernsthaften Analyse durch Kritik und Wissenschaft wert. Immerhin sei angemerkt, dass in ihm Entlehnungen, Imitationen, Rekurse und Anspielungen zu einem so dichten Netz gewoben sind (ganz zu schweigen von der unschönen Sprache des Autors und seiner ausgestellten Infantilität), dass Authentizität und Originalität des Machwerks für jeden seriösen Spezialisten schlicht in Frage stehen; allenfalls als Symptom des rapiden geistigen Niedergangs, wie unsere Gesellschaft ihn derzeit vollzieht, mag dieser Text von Interesse sein. Und auch die pseudoorientalische Pop-Metaphysik, mit deren oberflächlicher Kenntnis sich der Autor vor seinesgleichen trauriger Loser-Gemeinde so gern brüstet, mag bei ernsthaften, im Leben stehenden Menschen höchstens ein mitleidiges Lächeln hervorlocken. Im Übrigen dürfen wir den Moskauern ebenso wie den Gästen unserer Hauptstadt an dieser Stelle versichern, dass Sauberkeit und Ordnung im Naturpark Bitza auch künftig auf dem gebührenden Niveau gehalten werden; die Moskauer Polizei sorgt rund um die Uhr für die Ruhe und Sicherheit der Passanten. Und was die Hauptsache ist, liebe Freunde: Möge auch in Eurem Leben allzeit Gelegenheit sein für ein fröhliches kleines Lied!
Tengis Kokojew, Major, Leiter des Polizeireviers Bitza-Center
Dr. phil. Maja Maratscharskaja, Dr. phil. Igor Koschkodawlenko Peldis Sharm, Fernsehmoderator (Karaoke auf dem Weg zu dir selbst)
Im hohen und luftlosen Sternenchor
versah Gott, der Herr, sich mit lichtem Dekor …
Quelle unbekannt
Und wer ist dein Held jetzt, Dolores Haze?
Noch der Star mit den starken Armen?
Ach, die Kalmen der Bays und die Palmen an Kais
Und die Bars, mein Schwarm, meine Carmen!
Humbert Humbert
Mit dem Kunden, auf den Barkeeper Serge mich angesetzt hatte, war ich in der Alexander-Bar des Hotels National, verabredet, um halb acht. Es war zehn nach halb, das Taxi schlich, geriet von einem Stau in den nächsten. Mir war schon fast so, als hätte ich eine Seele – so einen Seelenkater spürte ich.
»I want to be forever young«, leierte Alphaville im Autoradio zum wer weiß wievielten Mal.
Deine Probleme möchte ich haben, dachte ich und war schnell mit den Gedanken bei meinen.
Eigentlich denke ich nur selten an sie. Ich weiß, dass sie irgendwo im leeren schwarzen Raum liegen und dass ich jederzeit auf sie zurückkommen kann. Um mich ein neues Mal zu vergewissern, dass es für sie keine Lösung gibt. Das ist eigenartig, wenn man es recht bedenkt.
Nehmen wir an, ich hätte eine Lösung. Was geschähe dann? Meine Probleme kämen mir abhanden – entschwebten für immer in jene Untiefen, wo sie ja doch schon die meiste Zeit gelegen haben. Die einzige praktische Folge wäre, dass mein Geist aufhörte, sie aus dem großen schwarzen Nichts ans Tageslicht zu zerren. Bestehen demnach meine unlösbaren Probleme nicht einzig und allein darin, dass ich an sie denke? Erschaffe ich sie nicht erst in dem Moment neu, wo sie mir wieder einfallen?
Das kurioseste meiner Probleme ist mein Name. Eines, das ich nur in Russland habe. Da ich aber nun einmal hier lebe, muss ich zugeben, dass es sich um ein sehr handfestes Problem handelt.
Ich heiße A Huli. Was im Russischen äußerst unanständig klingt.
Vor 1918, als wir noch die alte Orthographie hatten, konnte ich zu mindest in schriftlicher Form der Anzüglichkeit entgehen, indem ich mich mit altem »i« schrieb: А Хули. In einem Petschaft, das ich im Jahr 1913 von einem Petersburger Mäzen geschenkt bekam, der mein Geheimnis kannte, war der Name zu zwei Zeichen verschmolzen:
Das war übrigens eine lustige Geschichte. Der erste Siegelring, den er für mich machen ließ, trug das Monogramm auf einem Rubin, und alle fünf Buchstaben waren in einem Symbol vereint:
Er überreichte mir das Schmuckstück, während wir auf einer Jacht durch den Finnischen Meerbusen segelten; ich betrachtete den Ring und hatte ihn im nächsten Augenblick ins Wasser geworfen. Der Mäzen erbleichte und fragte, warum ich ihn hasse. Nicht dass er wirklich annahm, ich hasste ihn – zu jener Zeit waren theatralische Gemütsregungen einfach in Mode, was, nebenbei gesagt, auch der Grund war, weshalb der Erste Weltkrieg ausbrach und die russische Revolution.