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Um schneller zu sein, nahm ich die Metro und war nach ungefähr fünfzig Minuten vor Ort. Der Kunde wohnte zentral, doch in ruhiger Lage. Als ich den Hof des angegebenen Hauses – steile Betonkerze mit Anspruch auf architektonische Innovation – betrat, meinte ich zuerst falsch zu sein, denn hier sah es aus wie auf dem Hinterhof einer Bank.

Neben einem Stahltor in der Wand standen zwei Wächter, die mir mit finsterer Verwunderung entgegen blickten. Ich zeigte den Zettel mit der Adresse vor. Daraufhin nickte der eine in Richtung eines unscheinbaren Treppchens mit Tür und Wechselsprechanlage. Ich trat davor.

»Adèle?«, fragte die Stimme im Lautsprecher.

»Zu Diensten.«

»Komm in den ersten Stock, letzte Tür«, sprach die Anlage. »Du siehst schon, wo.«

Die Tür öffnete sich.

Das Innere hatte wenig von einem Wohnhaus. Es gab keinen Fahrstuhl; eine Treppe eigentlich auch nicht. Das heißt, es gab eine, doch die endete im ersten Stock, stieß auf eine schwarze Tür ohne Spion und Klingelknopf, daneben glänzte die klitzekleine Linse einer Fernsehkamera. Es sah aus, als hätte sich jemand sämtliche Wohnungen vom ersten Stock aufwärts unter den Nagel gerissen und eine Tür davor gesetzt. Was natürlich eine vulgäre Vorstellung ist, die daher rührt, dass es hierzulande keine legitime Kultur des Großkapitals gibt. Klingeln musste ich nicht. Die Tür öffnete sich, noch während ich auf sie zulief.

Auf der Schwelle stand ein kräftiger Mann um die fünfzig, gekleidet wie ein Bandit aus den Neunzigern: Jogginganzug Marke Adidas, Turnschuhe, Goldkettchen an Hals und Handgelenk.

»Komm rein«, sagte er, drehte sich um und ging mir voraus durch den Korridor.

Die Lokalität war eigentümlich, erinnerte eher an ein Büro. Eine der Türen, die vom Korridor abgingen, stand halb offen, durch den Türspalt sah ich eine vernickelte Metallstange, die in einem runden Loch im Fußboden verschwand; mehr zu sehen gelang mir nicht, da der Kunde die Tür vor meiner Nase zuzog.

»Nach ganz hinten«, sagte er und ließ mich vorausgehen.

Das Schlafzimmer am Ende des Korridors sah ganz zivil aus, nur der Geruch gefiel mir nicht – es roch nach Hund, und das irgendwie sehr konkret, wie in einem Hunde-Stundenhotel. Außer dem breiten Bett gab es noch einen flachen Clubtisch mit Schublade und zwei Sessel. Auf dem Tisch eine Flasche Champagner mit Gläsern, daneben ein Telefon mit sehr vielen Tasten und ein blauer Plastikordner.

»Wo kann ich duschen?«, fragte ich.

Der Mann nahm in einem Sessel Platz und deutete auf einen Raum nebenan.

»Das kannst du später immer noch. Beschnuppern wir uns erst mal ein bisschen.«

Er setzte ein väterliches Lächeln auf, und ich wusste, dass ich es mit einem Seelenf… zu tun hatte. So nannte ich Leute, die für ihre zweihundert Dollar nicht nur den Körper, sondern auch noch die Seele dazuhaben wollen. Solche sind besonders strapaziös. Um so einen abzuschütteln, muss man sehr mürrisch und kurz angebunden sein. Soll der Onkel ruhig denken, die Göre ist in der Pubertät. In der Phase der Ausformung ihrer Persönlichkeit sind Jugendliche schroff und ungesellig, jeder Pädophile kann ein Lied davon singen. Solche Verhaltensweisen machen den Perversen also nur juckiger, was Zeitersparnis bedeutet und höheres Entgelt verspricht. Für mich bedeutete es, dass ich den Moment nicht verpassen durfte, mich ins Bad zurückzuziehen.

Es gibt ein paar Werfüchse in Amerika und Europa, die gehen wissenschaftlich vor, um diesen Effekt auszubeuten. Besser gesagt, sie glauben wissenschaftlich vorzugehen, indem sie sich mit Büchern schlau machen, die »die Seele des Teenagers von heute durchleuchten«. Besonders geschätzt werden fünfzehnjährige Verfasserinnen und Verfasser, die vor den Lesern mit verschämter Gesichtsröte die Slips runterlassen vom Innenleben ihrer Generation. Das ist natürlich albern. Jugendliche sind innerlich auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen – so wenig wie Menschen in jedem anderen Alter auch. Ein jeder lebt in seinem Universum, und diese Insights in die Teenagerseele sind nur marktgängige Frischesimulationen für den Bürger, dem vom vielen Analsexvideogucken schwül geworden ist. Etwas wie Maiglöckchenduft für Toiletten. Ein Werfuchs, der das Verhalten eines modernen Jugendlichen getreu reproduzieren will, muss sich fern von solcher Literatur halten: Er wird sonst nie einem Teenager ähneln, sondern einer alten Theatertucke in der Travesty-Show.

Die richtige Technologie sieht anders aus. Wie alles, was wirklich funktioniert, ist sie extrem einfach:

1. muss man im Gespräch immer woandershin gucken, am besten auf einen Punkt auf dem Fußboden in ca. zwei Meter Entfernung.

2. sollte keine Antwort aus mehr als drei Wörtern bestehen, Präpositionen und Konjunktionen nicht inbegriffen.

3. sollte etwa jede zehnte Replik der Regel 2 zuwiderhandeln und eine leichte Provokation in sich tragen, damit der Kunde nicht das Gefühl bekommt, er hätte es mit einem Idioten zu tun.

»Wie heißt du?«, fragte er.

»Adèle«, sagte ich und schielte nach der Zimmerecke.

»Wie alt?«

»Siebzehn.«

»Ist das auch nicht geschwindelt?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Woher kommst du, Adèle?«

»Chabarowsk.«

»Und wie ist es da so, bei euch in Chabarowsk?«

Ich zuckte die Schultern. »Ganz gut.«

»Warum bist du dann hier?«

Noch mal Schulterzucken. »Nur so.«

»Bist ja nicht grad gesprächig.«

»Kann ich jetzt duschen?«

»Warte doch mal. Man muss sich doch erst einmal ein bisschen kennen lernen. Sind wir denn Tiere oder was?«

»Zweihundert Dollar die Stunde.«

»Gebongt«, sagte er. »Und ist es dir nicht zuwider, diesen Job zu machen, Adèle?«

»Essen kostet.«

Er nahm den Ordner vom Tisch, klappte ihn auf und blickte eine Zeit lang hinein, so als müsste er sich irgendwelcher Instruktionen vergewissern. Dann klappte er den Ordner wieder zu und legte ihn zurück.

»Und wo wohnst du? Zur Miete?«, fragte er.

»Klar.«

»Und zu wievielt seid ihr in eurer Wohnung, von der Mama mal abgesehen? Zu fünft? Zu zehnt?«

»Kommt drauf an.«

In diesem Stadium stünde ein Normalperverser schon knapp vorm Siedepunkt. Wie es aussah, war auch mein Arbeitgeber nicht mehr weit entfernt davon.

»Stimmt es wirklich, dass du siebzehn bist, Kind?«, fragte er.

»Klar doch, Pappi. Siebzehn Augenblicke des Frühlings.«

Das war der Titel eines Spionagefilmklassikers und darum eine gezielte Provokation. Er wieherte vor Lachen. Nun musste ich mich wieder eine Weile mit kurzen, vagen Antworten begnügen. Aber er war auch kein schlechter Provokateur, wie sich zeigte.

»Na schön«, sagte er. »Wenn wir einmal dabei sind, sollte ich mich auch gleich vorstellen.«

Vor mir auf den Tisch kam ein aufgeklapptes Ausweisbüchlein zu liegen. Ich las, was zu lesen war, glich das Foto mit dem Gesicht meines Gegenübers ab. Auf dem Foto trug er einen Uniformrock mit Schulterklappen. Er hieß Wladimir Michailowitsch und war Oberst beim FSB.

»Kannst Michalytsch zu mir sagen«, sagte er und grinste. »So nennen mich meine Freunde. Ich hoffe ja, dass wir beide auch noch Freundschaft schließen.«

»Was verschafft mir die Ehre, Michalytsch?«

»Einer unserer Fachberater hat sich über dich beschwert. Du musst ihn irgendwie beleidigt haben. Da steht also ein bisschen Sühne an. Oder sagt man Buße dazu?«

Vom Äußeren her war er ein Durchschnittstyp: energisches Kinn, stählerne Augen, flachsblondes, in die Stirn gekämmtes Fransenhaar. Doch eine gewisse Trapezförmigkeit der unedlen Proportionen rückte dieses Gesicht in die Nähe des westlichen Musterfeindbildes aus Zeiten des Kalten Krieges. Kinohelden dieser Art pflegten erst ein Glas Wodka zu kippen, sich dann das Glas einzuwerfen, und unter dem Splittern des Glases hörte man sie sagen, es handele sich um einen alten rrrussischen Brrauch.