Hast du den Hit der Biennale Venedig gesehen? Den Heuschober, in dem sich der erste weißrussische Postmodernist Mykolai Climaxovich vier Jahre lang vor der Polizei versteckt hielt? Alexander hat diese Arbeit als Plagiat geschmäht und von einem analogen Schober des Autors Wladimir Uljanow (Lenin) erzählt, der sich in einer Dauerausstellung im russischen Dorf Rasliw befinden soll. Brian merkte an, eine Nachbildung sei nicht zwangsläufig als Plagiat zu bewerten, sei vielmehr das Wesen der Postmoderne und, umfassender betrachtet, des kulturellen Zeitgeists, der sich im Klonen von Schafen ebenso äußere wie im Remake alter Filme. Womit sollte man sich nach dem Ende der Geschichte auch sonst befassen? Gerade der Verweischarakter mache aus dem Plagiator den Postmodernisten Climaxovich. Dagegen wandte Alexander ein, kein Verweischarakter könne Climaxovich vor dem russischen Revierbullen retten, und wenn in Weißrussland das Ende der Geschichte eintrete, heiße das noch lange nicht, dass in Russland mit irgendwelchen Unregelmäßigkeiten zu rechnen sei.
Dann zeigte Brian Alexander eine Arbeit von Asuro Keshami, die ihm besonders am Herzen liegt, schon wegen der beträchtlichen Investitionen, die mit ihrer Herstellung und Montage verbunden waren. Keshamis Arbeit, inspiriert vom Werk der Dir wohlbekannten Camille Paglia, besteht aus einem riesigen Rohr aus roter Weichplastik mit weißen Haifischzähnen an der Innenseite. Sie soll ihren Platz unter freiem Himmel in einem der Londoner Sportparks finden.
Zu den heikelsten Aufgaben in der Welt der modernen Kunst gehört es, sich eine frische und originelle Verbalinterpretation der eigenen Arbeit auszudenken. Es braucht nur ein paar Kernsätze, die sich anschließend in Katalogtexten und Überblicksartikeln verwursten lassen. Von dieser vermeintlichen Bagatelle hängt oft das Wohl und Wehe eines Werkes ab. Es kommt auf die Fähigkeit an, das Objekt aus einem überraschenden, ja, schockierenden Blickwinkel zu sehen, was Deinem Gefährten mit seiner barbarisch unverstellten Sicht auf die Welt sehr gut gelingt. Darum bittet Brian um die Genehmigung, einige der gestern von Alexander geäußerten Gedanken für die konzeptuelle Ummantelung seiner Installation verwenden zu dürfen. Nachfolgender Begleittext stellt gewissermaßen eine Kompilation aus Brians und Alexanders Gedankengut dar:
In Asuro Keshamis Arbeit »VD-42CC« kommen unterschiedliche Sprachen zueinander: Ingenieur, Techniker und Gelehrter finden den gemeinsamen Ton. Auf einer grundlegenden Ebene geht es um die Überwindung des Raumes: des physischen ebenso wie jenes aus Tabus und unterschwelligen Ängsten, die wir mit uns herumtragen. Die Sprache des Ingenieurs oder die des Technikers befasst sich mit dem Material, aus dem das Objekt gebaut ist, während der Künstler mit dem Betrachter in der Sprache der Emotionen spricht. Kapiert der Betrachter, dass diese kleine schwule Ratte von irgendwelchen Leuten fünfzehn Millionen Pfund in den Arsch geschoben kriegt, nur um eine Fotze aus billigem Kunstleder auf einen verwahrlosten Bolzplatz zu zerren, dann fällt ihm doch gleich ein, womit er selbst den lieben langen Tag beschäftigt ist und was er dafür einnimmt; dann guckt er sich das Foto an von dieser kleinen schwulen Ratte mit Hornbrille und Spaßjackett, und er fühlt sich verraten und verkauft, Gefühle, die hinüberwechseln in etwas, das der deutsche Philosoph Martin Heidegger als Geworfenheit bezeichnet hat. Der Betrachter ist eingeladen, sich auf diese Empfindungen einzulassen – denn sie sind es, die jenen ästhetischen Mehrwert hervorrufen, den vorliegende Installation anstrebt.
Für die Mitarbeit am Text bietet Brian Alexander ein Honorar von eintausend Pfund an. Keine Riesensumme, doch muss man wissen, dass dies noch nicht die endgültige Fassung des Begleittextes ist, es steht noch nicht einmal fest, ob er überhaupt zur Verwendung kommt. Sprich mit Alexander darüber, o.k.? Ihr könnt Brian über diese Adresse eine direkte Antwort zukommen lassen. Ich bin gerade ein bisschen wütend auf ihn. Er hat schlechte Laune, weil sie ihn letzte Nacht in einen Club namens Night Flight nicht reingelassen haben. Erst scheiterte er an der Face control (denen gefielen seine Mokassins nicht), dann kam noch ein holländischer Zuhälter aus den Tiefen der Lasterhöhle rauf und befahl Brian, er möge sich more stylish kleiden. Stylish! regt Brian sich schon den ganzen Tag auf, was ist denn stylish? Der vor mir reingekommen ist in blauem Hemd und grünem Jackett war der stylish? Und wenn Brian schlechte Laune hat, bin ich die Leidtragende. Na, das kennen wir schon. :-=)))
Hauptsache, Ihr denkt an den Passierschein für die Christus-Erlöser-Kathedrale!
Ich liebe Dich und denk an Dich,
Deine I
Alexander las den Brief gründlich. Dann faltete er das Blatt erst einmal, dann noch einmal fein säuberlich zusammen und zerriss es.
»Tausend Pfund«, sagte er. »Ha! Der scheint nicht recht zu wissen, mit wem er es zu tun hat. Schreib du ihm am besten. Du kannst besser Englisch als ich.«
»Danke«, erwiderte ich bescheiden. »Was soll ich ihm denn schreiben? Dass er noch was drauflegen soll?« Er sah mich abschätzig an.
»Du sollst ihn mit Wortgülle zubratzen bis zur Halskrause. In alleraristokratischster Form.«
»Das geht nicht«, sagte ich. »Beim besten Willen nicht.« »Wieso nicht?«
»Entweder zubratzen oder aristokratisch. Beides zusammen geht nicht.«
»Dann nimm das, was geht«, sagte er. »Aber so, dass die Schwarte kracht. Schalte gefälligst deinen Sarkasmus ein, mit dem du mir die ganze Zeit Löcher in die Seele brennst. Soll er doch mal zu was nütze sein.«
Etwas an seinem Tonfall bewirkte, dass ich mir die Frage, wozu nütze, verkniff. Diese kindische Art, eingeschnappt zu sein, rührte mich, ein Teil von ihr griff auf mich über. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Musste man einen Werfuchs zweimal bitten, einen englischen Aristokraten mit Dreck zu bewerfen?
Ich setzte mich an den Computer und dachte nach. Meine internationalistisch-feministische Ader forderte von mir, die Antwort nach dem Vorbild avancierter Amerikanerinnen um die Phrase Suck my dick herum zu bauen. Doch die Stimme der Vernunft in mir suggerierte, dieses könnte in einem Brief, der Alexanders Unterschrift trug, leicht eine Nummer zu klein geraten. Also schrieb ich das Folgende:
Dear Lord Cricket,
Being extremely busy, I'm not sure that you can currently suck my dick. However, please feel encouraged to fantasise about such a development while sucking on a cucumber, a carrot, an eggplant or any other elongated roundish object you might find appropriate for that matter.
With kind regards, Alexandre Fenris-Gray
Dass ich Alexandre und nicht Alexander schrieb, war Absicht, es sollte französisch klingen. Der Nachname Fenris-Gray war eine Eingebung im letzten Moment. Er klang so aristokratisch wie gewünscht. Gut, Earl Gray fiel einem dazu ein, weshalb die Unterschrift ein bisschen nach Bergamotteöl roch. Doch er war ja nur zum einmaligen Gebrauch.
»Und?«, fragte er.
Ich übersetzte ihm vom Blatt.
»Lieber Lord Cricket, ich bin im Moment sehr beschäftigt und darum nicht sicher, ob ich mir von Ihnen, äh, na ja, halt eben den Dingsda dingsen lassen kann. Aber tun Sie Ihrer Phantasie keinen Zwang an, wenn Sie sich ersatzweise an einer Gurke, Möhre, Aubergine oder ähnlich geeigneten Objekten länglich-rundlicher Art versuchen. Mit Hochachtung, Sascha Sery.«