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Mich dünkt es ist überhaupt der einzige vernünftige Gedanke, der das abendländische Denken in seiner traurigen Geschichte heimgesucht hat; all die Humes, Kants und Baudrillards sticken in die Leinwand dieser großen Weisheit nur noch ihre kleinkarierten Muster.

Wo aber bleibt ein Gegenstand, wenn wir uns von ihm abwenden und ihn also nicht mehr sehen? Er wird doch deswegen nicht verschwinden, wie Kinder und die Indianer am Amazonas glauben? Berkeley sagt, er existiere während dieser Zeit in der Wahrnehmung Gottes. Katharer und Gnostiker wiederum sind der Meinung, er existiere in der Wahrnehmung eines satanischen Demiurgen – und ihre Argumente sind durchaus nicht schwächer als die von Berkeley. Ihrer Ansicht nach ist die Materie das Böse, das den Geist hemmt. (Beim Lesen der Gruselbücher von Stephen Hawking kam mir manchmal der Gedanke, dass die Albigenser, wären sie im Besitz von Radioteleskopen gewesen, den Big Bang für einen Big Snap vom Aufstand des Satans gehalten hätten.) Es gibt in diesem geistigen Marasmus übrigens auch einen Mittelweg: zu glauben, ein Teil der Welt könnte in der Wahrnehmung Gottes existieren und ein anderer in der Wahrnehmung des Teufels.

Was lässt sich hierzu sagen? Wir Werfüchse sind der Ansicht, dass es nie einen Urknall gegeben hat, genauso wenig wie den von Breughel gemalten Turm zu Babel – dass eine Reproduktion dieses Bildes in dem Zimmer an der Wand hängt, von dem Sie gerade träumen, ändert an der Tatsache nichts. Gott und Teufel wiederum sind Begriffe, die in den Köpfen derer existieren, die an sie glauben. Ein Vöglein, wenn es singt, preist mitnichten den Herrn. (Das hätte jeder kleine Pope gern, dass er mit diesem Lied gemeint ist!) Berkeley behauptet, die Wahrnehmung bräuchte unbedingt ein Subjekt. Darum haben die unter den Schrank gerollte Münze und der hinter das Bett gerutschte Strumpf ein Begräbnis erster Klasse im Schädel des eigens zu diesem Zweck erschaffenen Schöpfers bekommen. Was aber nun, wenn der Berkeleysche Gott, in dessen Wahrnehmung wir existieren, selbst vorrangig nur im abstrakten Denken einiger Vertreter der europäiden Rasse mit einem Jahreseinkommen von fünfzigtausend Euro existiert? Während er im Bewusstsein des chinesischen Reisbauern überhaupt nicht vorkommt, und auch das Vöglein weiß nichts, weiß nicht einmal, dass es Gottes Vöglein ist? Was wird aus ihm, wenn existieren wirklich nur wahrgenommen werden bedeutet?

Vergiss es!, sagen die Werfüchse. Auf die fundamentale Frage der Philosophie haben wir eine fundamentale Antwort. Sie besteht darin, diese fundamentale Frage in den Wind zu schreiben. Sowieso gibt es keine philosophischen Probleme, es gibt nur endlos viele aneinandergereihte linguistische Sackgassen, die dadurch entstehen, dass Sprache grundsätzlich ungeeignet ist, die Wahrheit widerzuspiegeln.

Aber immer noch besser, gleich im ersten Absatz auf solch eine Sackgasse zu stoßen als nach vierzig Jahren Forschung und fünftausend beschriebenen Seiten. Als Berkeley gegen Ende begriff, was Sache war, schrieb er nur noch über die wundersamen Wirkungen des Teerwassers, mit dem er in Nordamerika Bekanntschaft gemacht hatte. Deswegen amüsieren sich manche Philister noch heute über ihn – nicht wissend, dass man den Teer in Amerika damals aus einer Pflanze gewann, die sich Jimson Weed beziehungsweise Datura nannte, wir sagen Stechapfel dazu – ein Rauschmittel erster Güte.

Und weil wir gerade bei diesem Thema sind: Religiöse Eiferer bezichtigen uns Werwölfe, wir vernebelten den Menschen die Hirne und verzerrten das Bild Gottes. Die so reden, haben wohl keine sonderlich klare Vorstellung vom Bild Gottes, weil sie es aus ihren eigenen Schnepfenvisagen zusammenbosseln. Vernebeln und verzerren sind jedenfalls tendenziöse Begriffe, die die Frage auf eine emotionale Ebene verschieben und ungeeignet sind, zum Kern der Sache vorzudringen. Und dieser Kern ist folgender (nachfolgendem Absatz bitte ich mit Aufmerksamkeit zu begegnen – ich komme endlich zum Punkt):

Insofern die Existenz der Dinge an ihrer Wahrnehmbarkeit hängt, kann jedwede Transformation auf zwei Wegen erfolgen: entweder als Wahrnehmung der Transformation oder als Transformation der Wahrnehmung.

Dem großen Iren zu Ehren würde ich diese Regel am liebsten das Berkeley-Gesetz nennen. Wahrheitssucher, Inquisitoren, Marketingexperten und Pädophile, die es vorziehen, in Freiheit zu leben, sollten sie kennen und beherzigen.

Werfüchse und Werwölfe nutzen nun also in ihrer Praxis jeweils eine der beiden Optionen des Berkeley-Gesetzes für sich aus.

Werfüchse wenden die Transformation der Wahrnehmung an. Wir beeinflussen diese bei unseren Kunden, lassen sie das sehen, was uns beliebt. Die ihnen vorgespiegelten Phantome werden von ihnen als Wirklichkeit erlebt – dafür sind die Schrammen auf dem Rücken des unvergessenen Pawel Iwanowitsch der schlagende Beweis. Währenddessen sehen die Werfüchse die zugrunde liegende Realität weiterhin so, wie – Berkeley zufolge – Gott sie sieht. Wohl aus diesem Grund wirft man uns vor, das Gottesbild zu verzerren.

Das ist natürlich eine philiströse Anschuldigung, die auf Scheinheiligkeit beruht. Nicht nur der Werfuchsmagie liegt eine Transformation der Wahrnehmung zugrunde, sie ist ein Grundbestandteil vieler Markttechnologien. Die Firma Ford beispielsweise schraubt an ihren Billigkleintransporter F-150 einen schicken Kühlergrill, biegt die Karosse ein wenig um und nennt das so entstandene Produkt Lincoln Navigator. Da sagt keiner, die Firma Ford verzerre das Gottesbild. Von der Politik ganz zu schweigen, da ist sowieso alles klar. Nur wir Werfüchse ecken seltsamerweise damit an.

Werwölfe gehen den anderen Weg: Sie nutzen die Wahrnehmung der Transformation. Dabei erzeugen sie die Illusion nicht für andere, sondern für sich selbst. Und glauben so lange und so fest daran, bis die Illusion aufhört, Illusion zu sein. Mir scheint, in der Bibel findet sich der dazu passende Spruch: So ihr Glauben habt als ein Senfkorn … Die Wölfe haben ihn. Ihre Verwandlung ist eine Art alchimistische Kettenreaktion.

Zunächst bildet der Werwolf sich ein, ihm wüchse ein Schweif. Wenn es dann tatsächlich passiert, so wirkt dieses Gerät (das den Wölfen ja genau wie uns der Suggestion dient) hypnotisch auf das Bewusstsein des Werwolfs zurück, macht ihn glauben, dass die Transformation geschieht, und so geht das weiter, bis die Verwandlung zum Tier abgeschlossen ist. Positive Rückkopplung ist der technische Begriff dafür.

Alexanders Verwandlung begann jedes Mal gleich: Sein Körper ging ins Hohlkreuz, als würde ein unsichtbares Seil zwischen Schweif und Schädel gespannt. Nun begriff ich, was da eigentlich ablief. Die Energie, die wir Werfüchse auf die Menschen richteten, schlossen die Werwölfe in sich kurz; sie induzierten die Transformation zunächst in der eigenen Wahrnehmung und erst hierdurch, in der Folge bei anderen.

Darf man solch eine Art der Verwandlung real nennen? Ich wusste noch nie recht, was dieses Beiwort eigentlich besagen soll, zumal jede Epoche eine andere Bedeutung hineinlegt. Im modernen Russischen zum Beispiel gibt es für die Vokabel »real« (realny) vier grundsätzliche Anwendungsmöglichkeiten:

1. Interjektion für den Kampfgebrauch, verwendet von Banditen und FSB-Mitarbeitern bei Revierstreitigkeiten;

2. Jargonausdruck, den Upper rat und Von-Unten-Nehmer im Gespräch über Auslandskonten gebrauchen;

3. Terminus technicus im Immobilienzusammenhang;

4. allgemeingebräuchliches Attribut in der Bedeutung »mit Dollargegenwert«.

Letztere Unterbedeutung rückt den Terminus »real« in synonymische Beziehung zum Wort »metaphysisch« – ist doch der Dollar in unserer Zeit eine dunkle, mystische Größe, die zur Gänze auf dem Glauben basiert, dass es morgen so ähnlich ist wie heute. Mystik aber sollten Werwesen tunlichst denen überlassen, die von Berufs wegen damit zu tun haben: Polittechnologen und Ökonomen, meine ich. Schon deswegen zögere ich, die Verwandlung eines Werwolfs als real zu bezeichnen – es könnte leicht der Eindruck entstehen, dass billiger menschlicher Satanismus im Spiel wäre. Zweierlei stand in diesem Zusammenhang jedoch außer Frage: