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1. Eine Werwolftransformation war etwas grundsätzlich anderes als die Bezirzung durch einen Werfuchs, auch wenn beide auf demselben Effekt beruhten.

2. Für eine Metamorphose zum Werwolf bedurfte es riesiger Mengen an Energie – weit mehr, als wir Werfüchse an einem Kunden verausgabten.

Dies war der Grund, weshalb Werwölfe nie lange im Tierkörper verbleiben konnten; die Folklore hat daraus allerlei zeitliche Einschränkungen für eine solche Transformation abgeleitet: lichtlose Tageszeit, Vollmond und dergleichen mehr. Hier hat der selige Lord Cricket vollkommen klar gesehen.

An diesem Punkt der Überlegung angelangt, kam mir jenes eigentümliche Empfinden während der letzten Jagd in den Sinn, da ich, zum ersten Mal im Leben, die Reststrahlung meines Schweifes an mir selbst wahrnahm. Was zum Teufel war es, was ich mir da selbst suggeriert hatte? Dass ich ein Werfuchs war? Das wusste ich auch ohne Suggestion … Was war los? Ich fühlte mich an der Schwelle zu etwas Bedeutendem, das mein ganzes Leben verändern und endlich aus der geistigen Sackgasse herausführen konnte, in der ich seit fünfhundert Jahren festsaß … Zu meiner Schande muss ich jedoch gestehen, dass ich erst einmal überhaupt nicht an geistige Praxis dachte.

Peinlich zuzugeben, aber mein erster Gedanke galt dem Sex. Alexanders harter grauer Schweif fiel mir ein, und auf einmal wusste ich, wie wir unser Liebesleben in andere Höhen katapultieren konnten. Es war ganz einfach. Die suggestiven Mechanismen waren bei Werfuchs und Werwolf im Wesentlichen gleich – unterschiedlich nur die Intensität der Einwirkung und das Objekt. Ich bewirtete meinen Kunden sozusagen mit Champagner, und es wurde für ihn ein heiterer Abend. Alexander hingegen leerte seine Flasche Wodka selbst, und das bekam allen Anwesenden schlecht. Doch der Wirkstoff Alkohol war in beiden Fällen derselbe.

Brächten wir es fertig, unsere Potenzen zusammenzulegen, so ließen sich aus Champagner und Wodka eine Menge unterschiedlichster Cocktails mixen. Sex ist ja doch mehr als nur die Koppelung gewisser Körperteile. Er ist ein Energieverbund, ein gemeinsamer Trip. Wenn wir es lernten, unsere Hypnose-Vektoren so zu verquicken, dass eine Illusion von Liebe daraus entstünde, in die wir gemeinsam abtauchen konnten, dann hinge der Himmel für uns voller Geigen, ein einziger großer Geigenladen … So mein Gedanke.

Eine Schwierigkeit gab es allerdings. Man musste sich als Erstes darauf einigen, was man sehen wollte. Und das nicht bloß in Worten – die waren hierfür eine unsichere Basis. Verließ man sich auf sie, konnten die Vorstellungen über das Ziel unserer Reise weit auseinandergeraten. Wir brauchten ein fertiges Bild, von dem die Visualisierung ausgehen konnte. Ein Gemälde zum Beispiel …

Ich kramte in meinem Gedächtnis nach dem passenden Bild. Wie zum Trotz fiel mir nichts Spannendes ein: erst einmal nur Picassos frühes Meisterwerk Alter Bettler mit Knaben – ich hatte die Postkarte viele Jahre als Lesezeichen in Freuds Psychopathologie des Alltagslebens liegen gehabt, die zu Ende zu lesen ich mich nie aufraffen konnte; seither waren mir die zwei traurigen dunklen Gestalten in allen Einzelheiten erinnerlich.

Nein, Gemälde eigneten sich nicht für den Zweck. Sie lieferten keine plastischen Vorstellungen. Dann schon lieber Videos. Alexander hat doch diesen großen Fernseher, dachte ich. Der muss doch zu irgendetwas gut sein?

Es gibt diese Sorte türkischen Kaugummi mit Einlegebildchen, auf denen Liebespaare in diversen komischen Situationen abgebildet sind. Unter den Bildern steht jeweils: LOVE IS … Ich sah sie früher oft in Fahrstühlen oder Kinos an der Wand kleben. Hätte ich meine Version dieses Comics zu zeichnen, dann wären darin Wolf und Fuchs mit ineinander verflochtenen Schweifen vor dem Fernseher sitzend zu sehen.

Die Technologie des Wunders gestaltete sich einfacher als gedacht. Es genügte, unsere Hypnosegeräte in Kontakt zu bringen; jede Pose, die das erlaubte, war gut genug. Berühren durften sich nur die Schweife: Das Geschehen auf dem Bildschirm musste zu verfolgen sein, jedes innigere Beieinander hätte dies nur beeinträchtigt.

Das Ritual hatten wir erstaunlich schnell heraus. Für gewöhnlich legte Alexander sich auf die Seite, die Beine in Richtung Teppich baumelnd, ich setzte mich daneben. Wir ließen den Film laufen, und ich liebkoste ihn so lange, bis die Transformation einsetzte. Dann warf ich ihm die Beine über die zottige Flanke, wir verlinkten unsere Antennen, und es begann etwas derartig Irres, dass kein schweifloses Wesen sich je ein Bild davon macht. Die Intensität des Erlebens war so gewaltig, dass ich eine spezielle Technik anwenden musste, um wieder »herunterzukommen«, abzukühlen: Ich wandte die Augen vom Bildschirm und sprach stumm ein Mantra aus dem Herz-Sutra vor mich hin, wie ein Brunnen so tief und kühclass="underline" In den sanskritischen Silben ließ sich jedes Zappeln der Seele ohne Rückstände auflösen. Der Anblick unserer verflochtenen Schweife – rot und grau – bereitete mir großes Behagen. Als hätte jemand einen morschen alten Stubben in Brand gesetzt, sodass eine fröhliche Flamme funkenschlagend hervorloderte … Diesen Vergleich behielt ich übrigens für mich.

Während die technische Seite der Angelegenheit also spielend zu bewältigen war, wurde um die Route für unsere gemeinsamen Ausflüge jedes Mal heftig gestritten. Zu sagen, dass sich unsere Geschmäcker unterschieden, wäre untertrieben: es lagen Welten dazwischen. In seinem Fall von Geschmack zu sprechen – versteht man darunter ein klares ästhetisches Wertesystem – wäre überhaupt verfehlt. Wie einem Achtklässler sagte ihm alles zu, was nur irgendwie heroisch und sentimental war, stundenlang ließ er mich irgendwelche Samurai-Dramen anschauen, Western oder – was ich am allerwenigsten ausstehen konnte – japanische Robotermangas. Und dann träumten wir uns in irgendwelche nebenherlaufenden Lovestorys hinein, die die Regisseure dieses Videoschrotts als Lückenfüller zwischen all dem Mord und Totschlag brauchten. Anfangs fand ich das noch interessant. Später nicht mehr.

Aufgrund meiner beträchtlichen Berufserfahrung konnten mich Quickies von der Stange ohnehin nicht vom Hocker reißen – ich habe der Menschheit mehr Träume zu diesem Thema beschert, als die Menschheit Pornos über sich gedreht hat. Es hätte mir gefallen, durch die Terra incognita der modernen Sexualität zu streunen, ihre Randzonen zu erforschen, die grünen Inseln in der Wüste öffentlicher Moral und Sittlichkeit. Er aber war nicht dazu bereit, und obwohl niemand sonst auf der Welt Zeuge unserer gemeinsamen Halluzinationen hätte sein können, wurde er von seinem inneren Grenzsoldaten zuverlässig zurückgehalten.

Auf mein Drängen, doch endlich einmal eine Abenteuerreise zu wagen, reagierte er mit verlegenen Ausflüchten oder machte seinerseits Vorschläge, die für mich nicht in Frage kamen. Zum Beispieclass="underline" sich in ein Pärchen Anime-Transformers zu verwandeln, die einander auf dem Dach eines Tokioter Wolkenkratzers beschnüffeln … Der blanke Horror. Und als ich einmal der deutsche Major aus Casablanca sein wollte, der ihn von hinten vögelt, während er – als der schwarze Klavierspieler – Summertime, and the living is easy singt, da geriet Alexander dermaßen außer sich, als hätte ich Vaterlandsverrat von ihm verlangt.

Auch das wäre ein interessantes Thema für Doktor Spengler gewesen: Die russischen Männer in ihrer Mehrzahl sind deswegen so homophob, weil der russische Geist stark von den Metastasen des kriminellen Ehrenkodex befallen ist. Jeder richtige Mann, gleich was er angestellt oder nicht angestellt hat, veranstaltet ein gedankliches Probeliegen auf den Lagerpritschen und sieht zu, dass sein Personalbogen keine maßgeblichen Brüche irgendwelcher Lagertabus enthält, für die er früher oder später den Arsch hinhalten müsste. Darum hat das Leben des russischen Machos etwas von einer spiritistischen Endlossitzung: Während der Körper im Luxus badet, sitzt der Geist immer irgendeine Strafe ab.