AH: Wie wärs mit Herr der Ringe?
AS: Du bist schon wieder dabei, dir was Grusliges auszudenken.
AH: Glaub doch nicht, dass ich mich unter einen Hobbit lege … Woher immer diese Bedenken? Hast du Angst, dass sie auf Arbeit davon erfahren? Um dein moralisches Ansehen und so?
AS: Nein, wieso Angst? Ich mag einfach nicht.
AH: Sieh mal, hier gibts einen Packen Filme auf Englisch. Interessante Auswahl.
AS: Nämlich?
AH: Midnight Dancers … Sex Life in L.A. …
AS: Kein Bedarf.
AH: Versace Murder?
AS: Nein.
AH: Warum nicht?
AS: Darum nicht.
AH: Übrigens: Weißt du, wie die Homos in Miami statt vice versa sagen? Vice Versace. Wie viele Untertöne da mitschwingen!
AS: Erst stemmt der eine dem andern die Kiste auf, und dann tauschen sie. Das ist alles, was da mitschwingt.
AH: Darf ich ihn einlegen?
AS: Nein! Ich sag doch: Schlepp dir einen Schwulen von der Klappe ab oder aus dem Gastmahl des Meeres und vergnüg dich mit dem.
AH: Sei doch kein solcher Ignorant! Selbst bei den Tieren in der freien Natur gibt es Homosexualität, hab ich gelesen. Bei den Schafen, bei den Affen …
AS: Bei den Affen, soso. Kein besonders schwulenfreundliches Argument, findest du nicht?
AH: Oje. Dich haben sie wirklich prima gepanzert. Da richtet keiner mehr was aus … Was hast du jetzt für eine Kassette in der Hand?
AS: Romeo und Julia.
(Verächtliches Fauchen meinerseits.)
AH: Die kannst du in den Müll schmeißen.
AS: Könnten wir uns die nicht noch mal angucken?
AH: Wie oft denn noch?
AS: Nur noch ein allerletztes Mal. Einverstanden? In dem Shirt bist du die perfekte Julia.
AH: Was soll ich bloß mit dir machen, Romeo … Von mir aus. Aber nur unter einer Bedingung.
AS: Und die wäre?
AH: Hinterher kommt Mulholland Drive dran.
AS: R-r-rrr!
AH: Liebster, was ist denn nun los? So schnell?
AS: R-r-rrr!
AH: Ist ja gut, ist ja gut. Bin schon dabei … Diesen Film kann ich wirklich bald auswendig. Zwei Häuser, beide gleich an Rang und Stand, hier in Verona, wie ihrs gleich erlebt, entfachen alten Hass zu neuem Brand, bis Schweineblut an Schweinehaxen klebt …
AS: U-u-uuh!
AH: Nicht du bist gemeint, Isegrim, entspann dich. Das ist Shakespeare. Apropos Schweine. Hatten wir das Thema schon mal? Ein Schwein kann nicht in den Himmel gucken, das lässt sein Hals nicht zu. Ist das nicht eine tolle Metapher? Geht einfach nicht, und gut … Wahrscheinlich weiß es nicht mal, was es ist …
Mit der Liebe geht die Tragödie Hand in Hand. Homer und Euripides, Stendhal und Oscar Wilde haben darüber geschrieben. Nun bin ich an der Reihe.
Bevor ich am eignen Leib erfuhr, was Liebe ist, hielt ich sie für eine spezielle Vergnügung, die schwanzlose Affen im Umgang miteinander pflegen – zusätzlich zum Sex. Dieses Bild hatte sich bei mir durch die vielen Beschreibungen geprägt, denen ich in Versen und Romanen begegnet war. Woher hätte ich wissen sollen, dass Schriftsteller die Liebe durchaus nicht so beschreiben, wie sie in Wirklichkeit ist, sondern in künstlichen Wortschöpfungen, die auf dem Papier vorteilhafter erscheinen? Ich hielt mich für einen Profi in Sachen Liebe, da ich sie seit Jahrhunderten anderen suggerierte. Aber mit einer B-29 Hiroshima anfliegen oder den Bomber vom Stadtzentrum aus auf sich zukommen sehen, das ist eben zweierlei.
Die Liebe war ganz anders, als über sie geschrieben wird. Sie war der Lächerlichkeit näher als dem Ernst – was aber nicht hieß, dass man sie auf die leichte Schulter nehmen konnte. Sie ähnelte keinem Rausch (ein sehr gängiger Vergleich in der Literatur!), doch mit Nüchternheit hatte sie erst recht nichts zu tun. Es war nicht so, dass ich die Welt anders wahrgenommen hätte: Alexander war für mich kein Zauberprinz im schwarzen Maybach. Ich registrierte alle seine gruseligen Seiten, doch konnten diese – wie seltsam! – seinen Charme in meinen Augen nur verstärken. Selbst mit seinen ungereimten politischen Ansichten fand mein Verstand sich ab und wollte eine raue, nördliche Urwüchsigkeit darin erkennen.
Ein Sinn ging dieser Liebe völlig ab. Doch dafür gab sie allem Übrigen Sinn. Sie machte mir das Herz leicht und leer wie ein Luftballon. Ich begriff nicht, was mit mir vorging. Und das war kein besonderer Unverstand – es gab an diesem Vorgang einfach nichts zu verstehen. Man könnte einwenden, eine solche Liebe wäre seicht. Aber etwas, das Tiefe aufweist, ist keine Liebe mehr, denke ich. Es ist Berechnung oder Schizophrenie.
Selbst hätte ich nicht zu sagen gewagt, was Liebe ist – ähnlich wie Gott lässt sie sich wohl nur apophatisch definieren: durch das, was sie nicht ist. Aber auch die Apophase wäre der falsche Weg, denn sie ist alles. Und Schriftsteller, die über die Liebe schreiben, sind gerissene Gauner, allen voran Lew Tolstoi mit einem Knüppel namens Kreutzersonate in Händen. Pardon: Ich schätze Tolstoi.
Wie hätte ich ahnen können, dass unsere romantische Affäre Alexander zum Verhängnis werden sollte? Yet each man kills the thing he loves, hat Oscar Wilde gesagt. Dieser Autor lebte zu Zeiten eines primitiven Anthropozentrismus, so lässt sich das Wort »man« erklären (und Sexismus war damals ohnehin im Schwange, insbesondere bei Homosexuellen). Davon abgesehen, traf er mit seiner Bemerkung ins Schwarze. Ich habe das Tier ins Verderben gestürzt, the Thing. Die Schöne hat das Biest gekillt. Und das Mordinstrument war die Liebe.
Ich entsinne mich genau, wie jener Tag begann. Nach dem Erwachen lag ich noch lange auf dem Rücken und versuchte einen sehr schönen Traum aus den Tiefen zu heben, er wollte mir nicht wieder einfallen. Ich wusste, dass man in solchen Fällen liegenbleiben muss, reglos, die Augen geschlossen, in der Stellung, in der man aufgewacht ist, dann treibt der Traum manchmal von allein an die Oberfläche. Und so geschah es: Ungefähr eine Minute dauerte es, dann erinnerte ich mich.
Ich hatte von einem phantastischen Garten geträumt, sonnenüberflutet, mit viel Vogelgezwitscher. In der Ferne ein Streifen weißer Sand, dahinter das Meer. Vor mir eine steile Felswand, darin eine Höhle, die von einer Steinplatte verschlossen war. Ich musste diese Platte beiseiteschieben, doch sie war schwer, ich kam nicht damit zu Rande. Erst als ich meine Kräfte zusammennahm, die Füße in den Boden stemmte, alle Muskeln anspannte, bekam ich sie vom Fleck. Die Platte rutschte zur Seite, ein schwarzes Loch tat sich auf. Es schlug mir feucht und muffig entgegen. Und auf einmal sah ich aus der Finsternis dort drinnen Hühner ans Licht gelaufen kommen – erst eins, dann noch eins und noch eins … Es wurden so viele, dass ich mich verzählte. Sie kamen in rauen Mengen, nichts konnte sie mehr abhalten herauszukommen, jetzt wo sie wussten, wo der Ausgang war. Mein Huhn war übrigens darunter – braun, an den Seiten weiß – ich winkte ihm mit der Pfote (im Traum hatte ich Fuchspfoten, wie während des supraphysischen Schubs). Es würdigte mich keines Blickes, lief einfach vorbei. Aber das kränkte mich überhaupt nicht.
Was für ein sonderbarer Traum, dachte ich und schlug die Augen auf.
An der Wand flimmerte ein Lichtfleck. Es war mein virtueller Platz an der Sonne, mir kampflos zugefallen – ein kleiner Spiegel lenkte den von oben einfallenden Lichtstrahl für mich an die Wand. Ich dachte an Alexander, an unsere Liebe. Sie war genauso unbezweifelbar wie dieser zitternde gelbe Sonnenfleck an der Wand. Heute würde zwischen uns etwas Unglaubliches geschehen, etwas wirklich Wunderbares, so viel stand fest. Ohne noch zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte, griff ich nach dem Telefon.
»Hallo?«, hörte ich ihn.
»Hallo. Ich möchte dich sehen.«
»Dann komm her«, sagte er. »Aber wir haben wenig Zeit. Heute Abend muss ich wieder in den Norden fliegen. Drei Stunden haben wir.«