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»Den Glauben kann man sich nicht aussuchen«, erwiderte er verdrossen. »Genauso wenig wie das Vaterland.«

»Aber Religion ist doch dazu da, um Hoffnung auf Erlösung zu machen. Oder worauf hoffst du?«

»Dass Gott mir meine dunklen Punkte vergibt.«

»Welche sollen das sein?«

»Es gibt sie zur Genüge. Ich hab mein Bild von Gott verloren. Na, und zum Beispiel das mit dir jetzt …«

»Wie?« Vor Empörung verschluckte ich mich beinahe. »Ich bin also gar nicht der große Lichtblick für dich, die Insel der Reinheit und Unschuld in deinem Wolfsleben, sondern im Gegenteil ein dunkler Punkt, für den du büßen musst? Für mich? Du böser Wolf?«

Er zuckte nur die Achseln.

»Ich liebe dich, das weißt du doch. Das hat nichts mit dir persönlich zu tun. Es ist eben nur, dass wir zwei …«

»Ja?«

Er stieß eine Rauchwolke aus.

»… in Sünde leben.«

Meinem Zorn entwich sofort die Luft. Stattdessen ergriff mich Heiterkeit. So zum Lachen war mir schon lange nicht mehr gewesen.

»Ach, ist ja interessant«, sagte ich und musste ein in der Kehle aufsteigendes Glucksen unterdrücken. »Ich bin also dein Sündenfall, ja?«

»Nicht du«, sagte er leise, »sondern …«

»Ja?«

»Die Schweifbefleckung«, sagte er noch leiser und schlug die Augen nieder.

Ich biss mir auf die Lippe. Ich wusste, ich durfte jetzt auf gar keinen Fall zu lachen anfangen – er vertraute mir gerade etwas sehr Intimes an. Und ich blieb tapfer. Doch die Anstrengung war so gewaltig, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn davon ein neues Silberhaar in meinem Schweif aufgetaucht wäre. Er hatte also auch schon einen Namen dafür!

»Sei bitte nicht beleidigt«, sagte er. »Ich sage es dir ehrlich, so wie ich es empfinde. Ich kann dich auch belügen, wenn dir das lieber ist. Doch dann hätte es keinen Sinn mehr, miteinander zu reden.«

»Ja, natürlich«, sagte ich. »Kam eben alles so überraschend, nicht wahr.«

Ein paar Minuten lang schwiegen wir, schauten zu, wie die hochaufgeschossenen Dolden über uns im Wind schaukelten.

»Und glaubst du … daran schon lange?«, fragte ich.

»Fünf Jahre ungefähr.«

»Ich hatte, ehrlich gesagt, vermutet, dass du mehr so dem nordischen Pantheon anhängst: Fafnir, Naglfar, Fenris, Loki und wie die alle heißen. Balders Träume …«

»Das kommt noch dazu«, sagte er und lächelte verlegen. » Aber mehr so als Hülle. Wie ein schöner Rahmen, wegen der Ästhetik. So wie die Sphinxe am Newaufer, weißt du.«

»Und wie ist das alles in dein Leben getreten?«

»Ich hab in meiner Jugend für Castaneda geschwärmt. Und einmal las ich in einem seiner Bücher: Bewusstheit ist die Speise des Adlers. Der Adler als eine Art finsteres Gegenbild zu Gott, so verstand ich das. Ich bin an sich kein Feigling, aber als ich das las, ging mir die Muffe … So bin ich zum Christentum gewechselt. Trotz meiner etwas zwiespältigen Situation. Ich war ja schon Wolf, drei Jahre zuvor ins Rudel aufgenommen worden. So was hatten wir damals! Als Oberst Lebedenko noch lebte …«

Er winkte ab.

»Bewusstheit ist die Speise des Adlers?«, wiederholte ich.

»Ja. Daran glaubten die Magier im alten Yucatan.«

Nein wirklich, was für ein Junge er doch ist!, dachte ich voller Zärtlichkeit.

»Du Dummer. Nicht Bewusstheit ist die Speise des Adlers. Der Adler ist die Speise für die Bewusstheit, so herum stimmt es.«

»Wie? Welcher Adler?«

»Jeder. Genauso die Magier im alten Yucatan und ihr ganzes Business: Seminare, Workshops, Videokassetten, selbst die tapferen alten Nagual-Führer. Alles Futter für die Bewusstheit. Auch ich und du.«

»Was soll das heißen?«, fragte er.

Ich nahm ihm seine Zigarre ab, paffte einmal in die Luft.

»Siehst du das?«

Er schaute der Rauchwolke in ihrer Evolution hinterher.

»Ich sehe es.«

»Bewusst?«

»Bewusst.«

»Ein Werwesen gleicht einer solchen Wolke. Es lebt, wandelt sich in Form, Farbe und Größe. Dann verschwindet es wieder.

Aber davon, dass der Rauch sich zerstreut, ändert sich das Bewusstsein nicht. Es birgt dann wieder etwas anderes.«

»Und wohin geht das Bewusstsein nach dem Tod?«

»Das hat es nicht nötig, irgendwohin zu gehen«, sagte ich. »Gehst du denn irgendwohin? Du sitzt da und rauchst. So hält es das Bewusstsein auch.«

»Wie ist es dann mit Himmel und Hölle?«

»Das sind Ringe aus Rauch. Das Bewusstsein geht nirgends hin. Im Gegenteiclass="underline" Alles, was irgendwohin will, wird ihm zum Futter. So wie dieser Rauch. Oder deine Gedanken.«

»Und wem gehört dann dieses Bewusstsein?«

»Auch eine Frage, die vom Bewusstsein gefressen wird.«

»Nein, ich meine es anders. Wessen ist es?«

»Gefressen!«, wiederholte ich geduldig.

» Aber einer muss doch …«

»Auch dies«, fiel ich ihm ins Wort.

»Dann frage ich dich, wer …«

Da endlich hatte er es kapiert – griff sich ans Kinn und verstummte.

Derlei Dinge in abstrakten Begriffen erklären zu wollen ist immer schwierig. Man verstrickt sich in Wörtern: »Die Wahrnehmung hat weder Subjekt noch Objekt, in ihr ist das reine Erleben der transzendenten Natur, es umfasst alles, physische Objekte ebenso wie mentale Konstrukte, auch die Ideen von einem wahrzunehmenden Objekt und einem wahrnehmenden Subjekt …« Puh! Schon nach dem dritten Wort weiß keiner mehr, was gesagt wird. Ein Beispiel ist da viel hilfreicher: Bisschen Rauch in die Luft gepafft, und schon hat ers. Oder jedenfalls beinahe.

»Und hier das alles um uns her, was ist das deiner Meinung nach?«, fragte er, während er mir die Zigarre wieder abnahm. »Alles nur so Matrix-mäßig?«

»Nicht ganz.«

»Wo ist der feine Unterschied?«

»Bei Matrix gibt es eine objektive Realität – das ist dieser Speicher vor der Stadt mit den Körpern der Menschen, die das alles träumen. Sonst hätten die Portfolio-Manager ihr Geld für den Film bestimmt nicht locker gemacht, da nehmen sie es genau. Sonst ist alles wie in Matrix, nur eben ohne diesen Speicher.«

»Wie soll das gehen?«

»Es gibt den Traum, aber keinen, der ihn träumt. Die Träumer sind Teil des Traums. Manche sagen, der Traum träume sich selbst. Aber strenggenommen ist dieses ›selbst‹ auch schon wieder zu viel.«

»Verstehe ich nicht.«

»In Matrix waren alle mit etwas Realem verkabelt. Während in der Wirklichkeit alle irgendwie am GPRS hängen. Aber diese Technik ist genauso Butter in der Sonne wie sie selber. Hält nur so lange, wie sie dranhängen. Ist es vorbei, gibt es keine Hardware, die die Gerichtsvollzieher in ihre Listen aufnehmen könnten. Und keine Leiche, um sie zu beerdigen.«

»Das siehst du falsch. Man stolpert ständig drüber«, sprach er überzeugt.

»Wenn du meinst«, sagte ich. »Sollen die Virtuellen ihre Virtuellen begraben. Leichnam und Trauergäste verhalten sich nur zueinander real.«

»Wie kann das sein?«

Ich hob die Schultern.

»Sieh dich doch um.«

Er schwieg eine Zeitlang und dachte nach. Dann nickte er traurig.

»Schade, dass du damals nicht in der Nähe warst, um es mir zu erklären. Was soll ich jetzt noch damit … Das Leben ist gelaufen.«

»Armer schwarzer Kater!«, seufzte ich. »Und jetzt bitte den Montagepunkt auf die Position »Erlangung des Heiligen Geistes« bewegen.«

»Machst du dich lustig?«, fragte er. »Ja, mach dich ruhig lustig über mich, Füchslein. Es ist dumm, das gebe ich zu. Glaubst du selber denn an Gott?«

Die Frage brachte mich in Verlegenheit.

»Sag, bist du gläubig?«, bedrängte er mich.

»Werfüchse pflegen den Adonai-Kult«, gab ich diplomatisch zur Antwort.

»Pflegen – das meine ich nicht. Kannst du nicht sagen, ob du gläubig bist oder nicht?«