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Außerdem genieren sich die Menschen ihrer Körper oder sind damit unzufrieden: Die Männer pumpen ihre Bizepse auf, die Frauen nehmen gewaltsam ab und lassen sich Silikonprothesen einsetzen. Plastische Chirurgen haben sich extra eine Krankheit dafür ausgedacht: Mikromastie – das ist, wenn die Brüste Melonengröße unterschreiten. Den Männern wiederum wird angeboten, ihren Penis zu verlängern, und damit er hinterher wieder funktioniert, bekommen sie spezielle Pillen verkauft. Ohne einen Krankheitsmarkt gäbe es keinen Arzneimittelmarkt – das ist das hippokratische Geheimnis, das nicht auszuplaudern die Ärzte schwören müssen.

Der menschliche Liebesdrang ist ein extrem instabiles Gefühl. Ein dummer Satz, ein schlechter Geruch, ein unkorrekt aufgetragenes Make-up, ein zufälliger Darmkrampf, was nicht noch – und die Liebe ist dahin. Das kann blitzartig geschehen, keiner hat es in der Hand. Überhaupt wohnt diesem Trieb wie allem Menschlichen eine bodenlose Absurdität inne, und der Geist überwindet den tragikomischen Abgrund nur deshalb mit so viel Leichtigkeit, weil er von seiner Existenz nichts weiß.

Die beste Beschreibung für diesen Abgrund, an die ich mich erinnern kann, lieferte ein roter Kommandeur im Herbst 1919; ich hatte ihn mit Lachpilzen bewirtet, buchstäblich neben den Rädern seines Panzerzuges aus dem Sand geklaubt. Er drückte sich so aus: »Irgendwie leuchtet mir nicht mehr ein, wieso ich, nur weil ich das Gesicht eines Mädchens edel und schön finde, unbedingt ihre feuchte, wollige Möse ficken muss!« Das ist auf die grobe, männliche Art gesagt, aber das Wesen ist trefflich erfasst. Übrigens hat der Mann, bevor er auf ewig im Felde entschwand, noch einen weiteren interessanten Gedanken von sich gegeben: »Wenn ich es recht bedenke, hängt die Anziehungskraft einer Frau weniger von ihrer Frisur oder von der Beleuchtung ab als vom Zustand meiner Eier.«

Die Menschen haben trotzdem Sex miteinander – wenn auch in den letzten Jahren meist nur noch mit einem Gummisäckchen dazwischen, damit ihre Einsamkeit nicht in Gefahr gerät. So wird dieser ohnehin fragwürdige Sport immer mehr zu einer Art Abfahrtslauf: mit vergleichbar hohem Risiko, nur dass der Fahrer weniger auf den Pistenverlauf achtgeben muss als darauf, dass er den Skianzug nicht verliert. Ein Mensch, der sich solcher Beschäftigung hingibt, kommt mir als Moralist lächerlich vor; darüber zu urteilen, was pervers ist und was nicht, steht ihm einfach nicht zu.

Die Leidenschaft, die Werwesen füreinander empfinden, hängt nicht so sehr von flüchtigen Äußerlichkeiten ab – obwohl auch die natürlich eine gewisse Rolle spielen. Dass das, was Alexander zugestoßen war, auf unsere intimen Beziehungen Einfluss haben würde, hatte ich vermutet. Doch das Trauma war unerwartet tief. Alexander war immer noch zärtlich zu mir, doch an einer bestimmten Grenze machte er Halt: Wo die Zärtlichkeit früher fließend in Intimität übergegangen war, schien jetzt eine Barriere aus Stacheldraht errichtet zu sein. Vielleicht glaubte er in der neuen Gestalt kein Interesse mehr bei mir finden zu können. Und ganz von der Hand zu weisen war der Gedanke nicht: Ich hätte lügen müssen, wenn ich hätte behaupten wollen, dass die schwarze Töle bei mir dieselben Gefühle weckte wie der mächtige nordische Wolf, von dessen Anblick allein der Atem stockte. Der Hund war lieb und nett, das schon. Er fand meine Sympathie – Leidenschaft ist etwas anderes.

Doch das tat überhaupt nichts. Wir hatten auf die vulgären Sexspiele der Menschen schon vorher verzichtet – nachdem wir gemerkt hatten, wohin wir durch das bloße Verflechten der Schweife abzuheben in der Lage waren. Darum hätte seine Metamorphose kein größerer Hinderungsgrund für unsere Leidenschaft sein müssen als, sagen wir, schwarze Unterwäsche anstelle von grauer. Aber das schien er nicht zu verstehen – in der Annahme, ich identifizierte ihn mit seinem physischen Behältnis. Oder der Schock von alledem und ein hinzukommendes irrationales Schuldgefühl waren so groß, dass er sich den Gedanken an Lust von vornherein verbot. Männer, ob mit oder ohne Schweif, sind psychisch sehr viel verwundbarer als wir, worüber ihr brutales Gebaren nur hinwegtäuscht.

Auch ich ergriff nicht die Initiative. Und dies nicht, weil er mir nun etwa zuwider gewesen wäre. Es ist üblich, dass der Mann den ersten Schritt tut, und ich befolgte diese Regel instinktiv. Vielleicht ist seine Stimmung nicht danach, dachte ich, er braucht noch Zeit, um zu sich zu kommen. Aber dann stellte er mir eine Frage, die seine wahren Probleme erkennen ließ.

»Du hast mir mal was von diesem Philosophen Berkeley erzählt«, sagte er beiläufig. »Der gemeint hat, dass alles nur in Form von Wahrnehmung existiert.«

»Hab ich.«

Tatsächlich hatte ich ihm die Sache zu verklickern versucht – nicht ohne Erfolg, wie es schien.

»Das hieße, Sex und Masturbation laufen auf dasselbe hinaus?«

Ich war verdutzt.

»Wie kommst du darauf?«

»Na ja. Wenn alles nur in Form von Wahrnehmung existiert, dann wäre es kein Unterschied, Sex mit einem Mädchen zu haben oder sich dieses Mädchen nur einzubilden.«

»Stimmt nicht so ganz. Berkeley sagt: Die Objekte existieren nur in der Wahrnehmung Gottes. Der Gedanke an ein schönes Mädchen ist dein eigener. Das Mädchen selbst ist Gottes Gedanke.«

»Beides sind Gedanken. Warum soll es o.k. sein, mit Gottes Gedanken zu schlafen, und mit dem eigenen Gedanken nicht?«

»Damit wären wir bei Kants kategorischem Imperativ.«

»Ich seh schon, bei dir ist alles in trockenen Tüchern«, brummte er unzufrieden und ging in den Wald.

Nach diesem Gespräch wusste ich, dass er dringend Hilfe benötigte. Und dies, ohne dass sein Selbstgefühl darunter litt.

Als er von seinem Waldspaziergang nach Hause kam und sich auf der Matte in der Ecke meines Zimmerchens ausstreckte, sagte ich: »Du, ich hab mal die DVDs durchgesehen, die ich mitgenommen habe. Da ist ein Film dabei, den du noch nicht kennst.«

»Und wie wollen wir den gucken?«

»Auf meinem Notebook. Der Bildschirm ist klein, die Qualität umso besser. Wir gehen einfach näher ran.«

Er sagte eine Weile nichts.

»Was ist das für ein Film?«, fragte er dann.

»In The Mood For Love von Wong Kar-Wai. Auf Hongkong der sechziger Jahre gemacht.«

»Und worum geht es?«

»Um uns«, sagte ich. »Zwei wohnen Tür an Tür. Und allmählich erfüllt sie Zärtlichkeit füreinander.«

»Machst du Witze?«

Ich nahm die Schachtel und las ihm den Werbetext vor:

»Su und Chow ziehen in einem Mietshaus nebeneinander ein. Ihre Ehepartner sind ständig auf Dienstreise. Chow erkennt die Handtasche, die Su von ihrem Mann geschenkt bekommen hat. Seine Frau besitzt auch so eine. Su wiederum erkennt Chows Krawatte wieder, die er von seiner Frau bekommen hat. Ihr Mann hat die gleiche. Ohne Worte wird klar, dass ihre Ehepartner sie miteinander betrügen. Was tun? Vielleicht sich einfach treiben lassen und hingeben der Süße des mood for love?«

»Ich verstehe nur Bahnhof«, sagte Alexander. »Aber von mir aus, geben wir uns hin.«

Ich stellte mein Notebook auf den Boden und schob die DVD ins Laufwerk.

Die ersten zwanzig Filmminuten sah er zu, ohne Reaktionen zu zeigen. Ich kannte den Film auswendig, deshalb schielte ich mehr zu ihm hin, als dass ich auf den Bildschirm blickte. Alexander wirkte ruhig und entspannt. Ich passte den Moment ab und rückte näher zu ihm, versenkte meine Pfote in sein Fell und zog ihn so herum, dass er auf der Seite zu liegen kam, mit dem Schweif zu mir. Ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden, knurrte er leise, sagte aber nichts.

Kein schlechter Satz über einen Werwolf: »knurrte leise, sagte aber nichts.« Aber so war es! Ich gab mir Mühe, ihn nicht zu erschrecken, ließ meine Jeans herunter, löste den Schweif …