»Ja, gut, und was lässt sich noch darüber sagen?«
»Äußerlich gleicht es den anderen Werwesen, innerlich geht es eigene Wege. Aber das sehen die anderen ihm nicht im Geringsten an.«
»Und wie wird man es?«
»Man muss in den Regenbogenstrom eingehen.«
»Ja, aber ich weiß immer noch nicht, was das ist.«
Der Gelbe Herr schaute verwundert.
»Ich sagte es doch eben. Es ist der letzte Hafen des Überwerwesens.«
»Kann man den Regenbogenstrom nicht noch irgendwie näher beschreiben? Um sich das Ziel vor Augen zu führen?«
»Nein. Der Regenbogenstrom ist so beschaffen, dass jedwede Beschreibung nur hinderlich ist, da sie falsche Vorstellungen von ihm weckt. Es lässt sich nichts Verlässliches darüber sagen, außer dass man in ihn eingehen kann.«
»Und was muss ein Überwerwesen tun, um in den Regenbogenstrom einzugehen?«
»Es muss eingehen. Das ist alles.«
»Und wie?«
»Auf jede beliebige Weise, die ihn dazu befähigt.«
»Aber ein Überwerwesen muss doch irgendwelche Instruktionen erhalten haben?«
»Keine weiteren.«
»Das soll alles sein?«
Der Gelbe Herr nickte.
»Das Überwerwesen ist also das, was in den Regenbogenstrom eingeht. Der Regenbogenstrom ist das, wohin das Überwerwesen eingeht – richtig?«
»Jawohl.«
»A definiert sich durch B, und B definiert sich durch A. Was soll das für einen Sinn haben?«
»Einen tieferen kann es nicht geben. Der Regenbogenstrom ebenso wie der Pfad des Überwerwesens zu ihm hin liegen außerhalb dieser Welt und sind einem normalbemittelten Verstand nicht zugänglich. Nicht einmal ein Werfuchs hat Einblick. Doch dafür beziehen sich Regenbogenstrom und Überwerwesen unmittelbar aufeinander. Zu Ersterem lassen sich Aussagen nur in Bezug auf Letzteres treffen. Zu Letzterem nur in Bezug auf Ersteren.«
»Und dem ist nichts hinzufügen?«
»Etwas schon.«
»Ja?«
»Der Regenbogenstrom ist in Wirklichkeit gar kein Strom, so wie das Überwerwesen gar kein Werwesen ist. Man muss die Wörter nicht so genau nehmen. Sie dienen nur als ein vorübergehender Anhaltspunkt. Wer versucht, sie einzustecken und mitzunehmen, den locken sie in den Abgrund. Das Beste ist, man wirft sie gleich wieder weg.«
Ich brauchte einige Zeit, das Gehörte zu überdenken.
»Das ist schon putzig. Die letzte Weisheit für Werfüchse besteht nur aus zwei Wörtern, die sich ausschließlich aufeinander beziehen und keine Erklärung zulassen. Und selbst die soll man gleich nach dem Aussprechen wegschmeißen. Der Werfuchs, der Buddha da beköstigt hat, scheint kein sonderlich gutes Karma gehabt zu haben. Hat er es denn selber bis in den Regenbogenstrom geschafft?«
Der Gelbe Herr nickte.
»Allerdings erst vor kurzem. Und ohne irgendwelche Wegweisungen für andere Werwesen hinterlassen zu haben. Deswegen muss ich dir die Lehre weitergeben.«
»Eine solche Lehre scheint mir nicht besonders glaubhaft.«
»Darum wird sie ja auch die höchste Lehre genannt: weil sie anders ist als das, woran du gewöhnt bist. Was dir in deinem Bezugssystem glaubhaft vorkommt, darf schon deshalb als Lüge angesehen werden.«
»Wieso?«
»Andernfalls hättest du keine Lehren mehr nötig. Du wüßtest die Wahrheit.«
Das hatte eine gewisse Logik. Nichtsdestoweniger erinnerten mich seine Ausführungen an jene Syllogismen in der Philosophie, die den Geist auf den Holzweg führen wollen.
»Ich begreifs trotzdem nicht«, ließ ich nicht locker. »Wie kann eine Lehre nur aus zwei Wörtern bestehen?«
»Je höher die Lehre, desto weniger Wörter, auf die sie baut. Wörter sind wie Anker. Man meint, mit ihnen könnte man sich fest in der Wahrheit niederlassen, doch in Wirklichkeit halten sie den Geist nur gefangen. Die vollkommensten Lehren kommen darum ganz ohne Wörter und Zeichen aus.«
»Das mag sein«, erwiderte ich. »Doch schon um die Vorzüge einer wortlosen Lehre zu erläutern, habt Ihr eine Menge Wörter gebraucht. Wie könnten ganze zwei ausreichen, um einen durchs Leben zu geleiten?«
»Die höchsten Lehren sind solchen Wesen vorbehalten, die über höchste Fähigkeiten verfügen. Für die, die ihrer entbehren, existiert der gesammelte Schwachsinn in x Bänden, den zu wälzen man getrost sein ganzes Leben verbringen kann.«
»Und ich? Habe ich denn diese höchsten Fähigkeiten?«, fragte ich leise.
»Sonst säßest du nicht hier.«
Die Situation erschien mit einem Mal in neuem Licht.
»Gibt es auf der Welt viele Überwerwesen?«
»Immer nur eines. Das bist jetzt du. Wenn du willst, kannst du in den Regenbogenstrom eingehen. Aber es wird dich einige Anstrengungen kosten.«
Wer wäre nicht geschmeichelt, wenn man ihm höchste Fähigkeiten attestiert? Und die Aussicht, zu einer weltweit exklusiven Instanz aufzusteigen, war überhaupt atemberaubend. Ich dachte nach.
»Dieser Werfuchs, der schon in den Regenbogenstrom eingegangen ist – was weiß man über ihn?«
»Recht wenig. Deine Vorgängerin hat in einem winzigen Bergdorf gewohnt, strengste Askese gehalten und jeden Kontakt zu Menschen abgelehnt.«
»Wie hat sie sich zum Beispiel ernährt?«
»Sie benutzte ihren Schweif, um dem Kürbisbeet zu suggerieren, dass Frühling war. Und anschließend saugte sie den Lebenssaft der Kürbisse in sich auf …«
»Igitt …«, flüsterte ich. »Und was geschah weiter mit ihr?«
»Eines Tages war sie weg, das ist alles.«
»Hat sie keine Aufzeichnungen hinterlassen?«
»Nein.«
»Das finde ich ziemlich egoistisch von ihr.«
»Vielleicht könntest du etwas aufschreiben.«
»Muss ich unbedingt von Männern auf Gemüse umsteigen?«
»Buddha hat diesbezüglich keine Wegweisungen erteilt. Hör einfach auf das, was dein Herz dir sagt. Und komm nicht vom Pfad ab.«
Ich verneigte mich zweimal.
»Hiermit gelobe ich, fleißig auf mein Ziel hinzuwirken, so Ihr mir die Übertragung, von der Ihr spracht, angedeihen lassen wollt.«
»Schon passiert.«
»Wann?«
»Gerade eben.«
»Wie? Das soll es gewesen sein?«
Ich muss sehr verdutzt ausgesehen haben.
»Es genügt vollkommen. Alles Übrige würde unter deinem Rotschopf nur Verwirrung stiften.«
»Und was muss ich nun tun?«
Der Gelbe Herr seufzte.
»Wärest du ein Mensch, ich würde dir eins mit dem Stecken überziehen«, sagte er, auf seinen Knotenstock deutend, »und dich zur Gartenarbeit verdonnern. Das ist überhaupt die höchste Lehre, die sich erteilen lässt, das wirst du eines Tages auch noch verstehen. Doch für Werwesen gibt es einen Sonderweg.
Und da du mich so inständig fragst, sage ich dir, was zu tun ist. Du musst den Schlüssel finden.«
»Den Schlüssel wozu?«
»Zum Regenbogenstrom.«
»Wie sieht dieser Schlüssel aus?«
»Keine Ahnung. Ich bin doch kein Überwerwesen. Ich bin nur ein einfacher Mönch. Geh jetzt – deine Sänfte wartet auf dich.«
»Seitdem bin ich unterwegs«, endete ich und verstummte.
Mein Bericht schien auf Alexander Eindruck gemacht zu haben.
»Und?«, fragte er. »Hast du den Schlüssel gefunden?«
»Natürlich.«
»Was war es?«
»Die Erkenntnis der eigenen wahren Natur. All das, was ich dir seit einiger Zeit zu erklären versuche.«
»Heißt das, du bist schon in den Regenbogenstrom eingegangen?«
»Gewissermaßen.« »Und, wie ist es?«
»Mal langsam. Zuerst musst du begriffen haben, was ein Überwerwesen ist.«
»Dann sag noch maclass="underline" Was ist es?«
»Du bist es.«
»Na, sag ich doch!«, rief er in vorwurfsvollem Ton. »Und du willst es mir die ganze Zeit ausreden. Behauptest, du wärest es. Immer nur du!«