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»Du kapierst schon wieder was nicht. Du glaubst, nur weil du mit Blicken Glühbirnen durchknallst und Fliegen abschießt, müsstest du ein Überwerwesen sein …«

»Nicht bloß Fliegen«, sagte er. »Und nicht bloß mit Blicken. Wenn du wüsstest, was ich alles kann.«

»Ach ja? Was denn?«

»Ich muss nicht mal hingucken, verstehst du? Ein Gedanke reicht schon. Gestern Abend zum Beispiel hab ich mir den Polittechnologen Tatarski vorgenommen. Schon mal gehört von dem?«

»Ja. Was ist mit ihm? Ist er …?«

»Wie kommst du darauf. Er hat im Schlaf was gemurmelt und sich auf die andere Seite gedreht. Nein, ich hab ihn auf die kalte Art abserviert.«

»Was soll das heißen?«

»Der kriegt von jetzt an keine Aufträge mehr, fertig. Sitzt in seiner Stiftung und wird allmählich zum Tapetenmuster. Vorausgesetzt, wir lassen ihm das Büro.«

»Mann, du bist ja echt ein cooler Typ«, sagte ich. »Wie machst du das nur?«

Er musste überlegen.

»Es ist wie Sex, nur umgekehrt. Schwer zu erklären. Augen zu und durch, wie man sagt. Obwohl, man kann die Augen getrost offen lassen, sehen tut man sowieso nix. Hinter die Details bin ich bis jetzt noch nicht gestiegen … du gibst es jedenfalls zu, dass ich das Überwerwesen bin?«

»Du begreifst nichts, aber auch gar nichts. Die Fähigkeit, Fliegen und Polittechnologen zu Fall zu bringen, macht dich noch lange nicht zum Überwerwesen. Nicht einmal die Einbildung steht dir vorläufig zu!«

»Aber dir, was?«

»Ja«, sagte ich nüchtern, aber bestimmt.

»Dass du in letzter Zeit immer so dicktun musst, Füchslein! Mir bleibt kaum noch Platz auf dieser Welt.«

»Die ganze Welt gehört dir, Chéri. Du solltest nur wissen, wer du in Wirklichkeit bist.«

»Ich bin das Überwerwesen.«

»Gut. Und was ist ein Überwerwesen?«

»Das bin ich.«

»Da haben wirs. Und ich dachte, du wärest ein scharfäugiger Löwe, dabei bist du nur ein blinder Hund.«

Er zuckte zusammen wie von einem Peitschenhieb.

»Wie bitte?«

»Das ist die Lehre vom Löwenblick«, erklärte ich hastig, da ich spürte, dass ich zu weit gegangen war. »Wenn man einem Hund einen Knüppel vorwirft, dann schaut der Hund auf den Knüppel. Wirft man ihn einem Löwen hin, so hält er unverwandt den Blick auf den Werfenden gerichtet. Das ist als Redensart überliefert, vom alten China her: Man gebrauchte sie in Disputen, wenn einer der Beteiligten am einzelnen Wort klebenblieb und das Wesentliche aus den Augen verlor.«

»Gut«, sagte er, »das haken wir mal ab. Aber vielleicht kannst ja du mir sagen, was ein Überwerwesen ist?«

»Das Überwerwesen ist das, was du siehst, wenn du lange genug in dich hineinschaust.«

»Sagtest du nicht, da wäre nichts?«

»Stimmt. Da ist nichts. Und genau das macht das Überwerwesen aus.«

»Wieso denn nur?«

»Weil dieses Nichts zu allem und jedem werden kann.«

»Wie soll das gehen?«

»Schau maclass="underline" Wir beide sind Werwesen. Du, weil du zum Wolf werden kannst. Ich, weil ich als Fuchs in Menschengestalt auftrete. Ein Überwerwesen aber könnte der Reihe nach zu dir, zu mir, der Tüte Äpfel da, der Tasse, der Kiste, zu überhaupt allem werden, was dir gerade ins Auge fällt. Das ist schon mal ein Grund, es Überwerwesen zu nennen. Dazu kommt, dass man jedes Werwesen, bildlich gesprochen, am Schwanz packen kann.«

»Bildlich gesprochen.«

»Ein Überwerwesen kann man nicht am Schwanz packen. Weil es körperlos ist. Dies wäre der zweite Grund, weshalb es den Namen verdient. Leuchtet das ein?«

»Nicht ganz.«

»Weißt du noch, du hast mal erzählt, du hättest als Kind von einem Raumanzug geträumt, in dem man sich auf die Sonne abseilen könnte, bis zum Meeresgrund tauchen, in ein schwarzes Loch springen und dann wieder nach Hause gehen?«

»Und ob ich das noch weiß.«

»Also dann nimm mal an, das Überwerwesen trägt so einen Anzug. Es ist die Leere, die sich beliebig füllen lässt. Dieser Leere haftet nichts an. Nichts kann ihr was anhaben; entfernt man das, womit man sie gefüllt hat, ist sie wieder genau wie zuvor. Der Revierbulle wüsste nicht, wo er seinen Meldestempel hinsetzen sollte, und dein Michalytsch fände nichts, um seine Wanze dranzukleben.«

»Ah ja … Ich glaube, jetzt hab ichs gerafft«, sagte er. Das Blut war ihm aus dem Gesicht gewichen. »Das ist ja verschärft. So einen Werwolf kriegt kein Geheimdienst zu fassen!«

»Freut mich, dass dir das gefällt.«

»Und wie wird man so einer?«

»Gar nicht«, sagte ich.

»Wieso das nun wieder?«

»Überleg doch mal.«

»Etwa weil es nur ein Superwerwesen geben kann, und das bist du? Liege ich richtig, Füchslein?«

»Nein, Grauer. Man wird es nicht, man ist es. Schon immer gewesen! Das Überwerwesen ist dein eigener Geist – der, mit dem du von früh bis spät Schwachsinn ausheckst.«

»Also bin ich es doch?«

»Du nicht.«

»Na gut, mein Geist. Wo ist das Problem?«

»Darin, dass dein Geist in Wirklichkeit nicht dir gehört.«

»Aha. Wem dann?«

»Man kann nicht sagen, dass irgendwem. Zu sagen, er gehöre dem und dem, befinde sich da und da, geht nicht. Diese Begriffe entstehen ja in ihm, das heißt, er geht alledem voraus. Verstehst du? Was immer du dir vorstellst – er hat es für dich schon getan.«

»Du sprichst vom Gehirn?«

»Nein. Das Gehirn ist ein Begriff, der aus dem Geist herrührt.«

»Aber Geist entsteht doch nur, wenn ein Gehirn da ist, oder sehe ich das falsch?«, fragte er unsicher.

»Das haben dir diese Halunken schön eingebläut«, seufzte ich. »Die Menschen wissen überhaupt nicht, was Geist ist, stattdessen gucken sie mal ins Gehirn, mal in die Psyche, mal in Freuds Briefe an Einstein. Diese Wissenschaftler glauben im Ernst, der Geist käme daher, dass im Hirn irgendwelche chemischen und elektrischen Prozesse ablaufen. Knalltüten, die! Genauso gut könnte man glauben, der Fernseher wäre der Grund für die Filme, die in ihm laufen. Oder für die Existenz des Menschen gleich gar.«

»Manche Ökonomen denken so.«

»Stimmt. Sollen sie! Sollen sie ruhig weiter ihre Hirnströme generieren, Kredittranchen separieren, offiziell protestieren, Amplituden und Geschwindigkeiten quantifizieren, extrapolieren, fellationieren … Und hinterher ihr Rating definieren. Die Welt kann von Glück reden, dass es in ihr außer Clowns auch noch Werfüchse gibt. Wir kennen das Geheimnis. Du kennst es nun auch. Jedenfalls so gut wie.«

»Von wegen«, sagte er. »Wer außer euch Werfüchsen weiß eigentlich noch davon?«

»Nur Auserwählte dürfen es wissen.«

»Und du hast keine Bedenken, es mir zu verraten?«

»Nein.«

»Warum nicht, wenn man fragen darf? Hältst du mich für auserwählt?«

»Nur der Geist kann das Geheimnis wirklich kennen. Und er muss es ohnehin vor niemandem verbergen. Er ist ja allein.«

»Wie allein?«

»Ganz allein. Einer in allen, und alle aus einem.«

»Und wer sind dann diese Auserwählten?«

»Auserwählt sind jene, die wissen, dass jeder Wurm, jeder Schmetterling und jeder Grashalm am Straßenrand ebenso auserwählt ist, nur gerade nichts davon weiß, und dass man sich sehr vorsehen muss, um keinen von ihnen versehentlich zu kränken.«

»Ich glaube, ich hab immer noch nicht begriffen, was Geist eigentlich ist«, sagte er.

»Das geht allen so. Obwohl andererseits alle im Bilde sind. Weil der Geist ja jetzt zum Beispiel vernimmt, was ich sage.«

»Ah ja«, sagte Alexander. »Verstehe … Das heißt: nicht so ganz. Aber ein Rest bleibt sowieso immer, wenn ich es richtig verstehe …«

»Bei Gott, jetzt hat ers!«, sagte ich. »Warum nicht gleich so.«

»Gut. Nehmen wir an, das Überwerwesen hätten wir. Was ist nun dieser Regenbogenstrom?«