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4. kommen Daoisten nie dreimal hintereinander.

Doch unsere ererbte Angst vor Beschwörern böser Geister sitzt tief, sodass wir im Augenblick der Gefahr immer an sie denken. Bei Gelegenheit werde ich einmal ein paar Geschichten über diese Typen zum Besten geben, damit meine Gefühle verständlicher werden.

Schon eine Sekunde später wusste ich, das war kein Dao-Mönch. Mein Kunde war mir vom Schweif gesprungen. Ein Anblick zum Grausen. Dem Sikh klappte der Mund auf und zu wie einem Fisch auf dem Trocknen. Im Bestreben, seinen ungehorsamen Körper unter Kontrolle zu bekommen, hob er die Arme, die Finger schlossen sich krampfhaft zur Faust und öffneten sich wieder. Dann stieß er ein paar röchelnde Laute hervor – und stand im nächsten Moment auf den Füßen.

Hier endlich löste ich mich aus meiner Starre und stürzte ins Badezimmer. Der Sikh kam hinterhergesprungen, doch es gelang mir, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Im Augenblick der Gefahr arbeitet mein Denken außerordentlich schnell; ich wusste sofort, was zu tun war.

In jedem Badezimmer vom National gibt es eine rot-weiße Schnur, die aus einem Loch in der Wand kommt. Woran sie hängt, weiß ich nicht, doch zieht man an ihr, klingelt im Zimmer nach zehn Sekunden das Telefon, und noch eine Minute später wird an die Tür geklopft. Ich riss an dieser Signalleine und stürzte zurück zur Badtür.

Die nächsten Sekunden wurden ziemlich aufregend. Die Schläge gegen die Tür gingen mir durch Mark und Bein. Ich wartete auf die Wache und zählte vor mich hin, bemühte mich, nicht zu schnell zu zählen. Der Sikh hämmerte gegen die Tür wie ein Wilder, doch mir gelang es ohne weiteres gegenzuhalten – er war ja kein Hüne.

Das Telefon klingelte in Sekunde zwanzig. Natürlich ging der Sikh nicht ran. Als das Wummern ein, zwei Minuten später aussetzte, schloss ich daraus, dass Leute im Zimmer waren. Es wurde auch höchste Zeit, die Türangeln hatten sich bereits gelockert. Ich hörte Möbel umstürzen, Glas splittern und einen unverständlichen Schrei, etwas wie »Kali ma!«. Das war der Sikh. Dann trat Stille ein, von entferntem Autohupen abgesehen.

»Scheiße, das wars«, sagte eine Männerstimme. »Der war nicht zu halten.«

» Sei froh, dass wir uns selber halten konnten«, sagte eine andere.

»Stimmt auch wieder«, erwiderte der Erste.

Es war besser, mich bemerkbar zu machen, als zu warten, bis sie mich fanden.

»Hilfe!«, rief ich in kläglichem Ton.

Die Tür ging auf.

Zwei Schränke standen auf der Schwelle. Sonnenbrillen, Anzüge, hautfarbene Kabel, die aus den Ohren kamen … Agent-Smith-Kult pur! kam mir der Gedanke. Daraus ließe sich eine vorzügliche Religion für Sicherheitsdienste bauen – die Legionäre im alten Rom hatten ja auch den Mithra angebetet.

Einer der Wachmänner murmelte etwas vor sich hin, ich verstand nur »dreihundertneunzehn« und »Notruf«. Er sprach nicht mit mir.

Soviel ich weiß, ist das Mikrofon bei ihnen unter dem Revers versteckt, darum scheint es so, als führten sie Selbstgespräche. Das wirkt manchmal sehr lustig. Einmal erlebte ich so einen Schlagetot, wie er eine öffentliche Damentoilette in Augenschein nahm. Stieß eine Kabinentür nach der anderen auf und sprach in singendem Tonfalclass="underline" »Ist niemand drin … Hier auch niemand … Das Fenster ist verdeckt von einem Wandvorsprung …« Hätte ich nicht gewusst, was Sache war, ich wäre auf den Gedanken gekommen, da weinte einer einem verhinderten Rendezvous nach und kleidete seine Trauer in Jamben.

»Hast du an der Schnur gezogen?«, fragte der zweite Wachmann.

»Ja«, sagte ich. »Aber wo ist denn …«

Der Wachmann deutete mit dem Kopf auf das weit offen stehende Fenster, dessen Scheibe eingeschlagen war.

»Da draußen.«

»Was denn?« Ich machte große Augen. »Er wird doch nicht…«

»Doch«, sagte der Wachmann. »Wie ein Besessener hat er sich rausgestürzt, kaum dass er uns gesehen hat. Habt ihr Drogen genommen?«

»Was denn für Drogen? Ich arbeite schon ein Jahr hier. Alle kennen mich, es hat nie Probleme gegeben.«

»Jetzt hast du eins. Was hat er von dir gewollt?«

»Ich habs gar nicht begriffen. Er wollte, dass ich irgendwelches Fisting mache. Kann ich nicht, hab ich zu ihm gesagt, und da ist er … Na, ich hab mich mit Mühe und Not ins Bad gerettet und den Notruf gezogen. Das Übrige haben Sie gesehen.«

»Kann man wohl sagen. Hast du deinen Ausweis dabei?«

Ich schüttelte den Kopf. Wenn du so einem deinen Ausweis gibst, siehst du ihn nie wieder.

»Könnte ich jetzt vielleicht gehen? Bevor die Bullen kommen?«

»Gehen? Spinnst du? Du bist hier die Kronzeugin«, sagte der Wachmann. »Du wirst schön deine Aussagen machen, was ihr beiden hier getrieben habt.«

Das passte mir nicht in den Plan. Ich überdachte die Lage. Solange ich es nur mit zweien zu tun hatte, bestand die Chance, die Sache zu vertuschen. Sie schrumpfte mit jeder Sekunde – ich wusste, bald würde hier die Bude voll sein.

»Darf ich mal auf Toilette?«

Der Wachmann nickte, und ich kehrte ins Badezimmer zurück. Schnelles Handeln war angesagt, ich zögerte keinen Augenblick. Ließ die Hosen runter, der Schweif sprang heraus, ich beugte mich nach vorn und öffnete die Tür. All dies in heftiger Bewegung, sodass die Wachleute ihre Köpfe zu mir herumrissen.

Meiner Ansicht nach entlarvt sich der Mensch am ehesten in dem kurzen Bruchteil einer Sekunde, da er den Fuchsschweif schon sieht, aber noch nicht unter seinem Einfluss ist. Meist bleibt dem Kunden so viel Zeit, seine Haltung zu dem, was er sieht, zum Ausdruck zu bringen. Dies wiederum genügt, um zu erkennen, mit wem man es zu tun hat.

Vulgäre und beschränkte Typen verziehen das Gesicht zu einer Grimasse finsteren Unglaubens. Leuten hingegen, die das Potential haben, über sich hinauszuwachsen, kann man eine Art freudiges Staunen aus der Miene ablesen.

Der eine Wachmann furchte die Stirn. Dem anderen quollen die Augen hervor, was selbst durch die dunklen Brillengläser zu sehen war, und er stand da mit offenem Mund: wie ein kleines Kind, das das vom Fotografen verheißene Vögelchen tatsächlich gesehen hat. Es sah richtig niedlich aus.

Meinen Eindruck ganz aus ihrem Gedächtnis zu löschen war natürlich unmöglich – dazu hätte ich ihnen mit der Pistole eine Kugel in den Kopf schießen müssen. Doch wenigstens ließ sich die Erinnerung in einen anderen Kontext versetzen. So suggerierte ich ihnen, sie hätten mich auf dem Korridor getroffen, als sie auf dem Weg ins Zimmer waren. Dann hieß ich sie ins Badezimmer gehen. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, hob ich meinen Hawking vom Boden auf, stopfte ihn in die Handtasche, schloss den Hosenbund und stürzte auf den Korridor.

An der Treppe stand noch ein weiterer Wachmann. Er sah mich, gab mir ein Zeichen näher zu kommen. Kaum stand ich vor ihm, fing er an, mit der Hand über meine Gesäßbacken zu fahren, was mich zwang, den Schweif so fest wie möglich zwischen ihnen einzuklemmen. Unter anderen Umständen hätte ich ihm einen blauen Fleck zum Andenken gekniffen, das wäre das Mindeste gewesen. Jetzt aber, da ich nicht wusste, wohin das alles führte, zog ich es vor, ihm nur einen Klaps auf die Hand zu geben. Darauf drohte er mir mit dem Finger und ließ die Geste fließend in eine andere übergehen: Daumen und Zeigefinger fanden zusammen und rieben sich.

Ich verstand. Für gewöhnlich haben Mädchen wie ich ihre hundert Dollar unten am Ausgang abzulassen, hier aber wurde mir durch höhere – beziehungsweise niedere – Gewalt nahe gelegt, die Rechnung vor Ort zu begleichen. Ich zog einen Benjamin aus der Handtasche, den der Wächter mit denselben zwei Fingern an sich zupfte, die er eben noch gegeneinander gerieben hatte. Der Geste in ihrer Bündigkeit wohnte eine eigentümliche Schönheit inne: Drohen, Mahnen, Abkassieren in einem Zug. Keine Muskelanspannung zu viel. Den Meister erkennt man an der Positur, wie der japanische Schwertkünstler Minamoto Musashi zu sagen pflegte.