»Fragt sich, wer hier den Kuddelmuddel im Kopf hat«, sagte ich. »Am Anfang, da …«
»Fragen sind nicht zugelassen«, unterbrach mich Michalytsch schon wieder. »Wie Nagual Rinpoche zu sagen pflegt: Triffst du Buddha, lass ihn am Leben, aber ja nicht zu Wort kommen …«
»Na gut, dann eben nicht. Wars das?«
»Nein. Ich hätte noch eine Bitte. Privat.«
»Ja?«
»Heirate mich.«
Das kam überraschend. Er meinte es ernst, das war mir sofort klar. Ich musterte ihn aufmerksam.
Vor mir saß ein Mann, der auf die sechzig zuging. Immer noch kräftig und auf dem Sprung, vielleicht dem letzten großen in seinem Leben – ohne einstweilen zu wissen, wohin (was nur gut für ihn war). Solche wie ihn habe ich schon viele hinter mir. Immer sehen sie in mir ihre letzte Chance. Erwachsene Männer, und begreifen nicht, dass die letzte Chance nur bei ihnen selbst liegen kann. Aber sie wissen ja nicht einmal, worin diese Chance besteht … Alex hatte immerhin etwas kapiert. Der hier ganz bestimmt nicht.
Michalytsch sah mich an, in seinen Augen flackerte die Hoffnung eines Wahnsinnigen. Auch diesen Blick kannte ich. Wie lange ich schon auf dieser Welt bin, mein Gott!, dachte ich wehmütig.
»Du hättest ein Leben wie auf einer Insel«, palaverte Michalytsch mit rauer Stimme. »Und wenn du magst, kannst du sie haben, die Insel – ganz real. Dein eigenes Kokos-Bounty. Für dich tue ich alles.«
»Und wie heißt sie?«, fragte ich.
»Wer?«
»Na, die Insel. Sie muss doch einen Namen haben. Ultima Thule zum Beispiel oder Atlantis, was weiß ich.«
»Ganz wie du möchtest«, grinste er. »So ein Name ist doch kein Problem, oder?«
Es war Zeit, das Thema zu wechseln.
»Gut, Michalytsch«, sagte ich. »Das will ernsthaft überlegt sein. Ich denk drüber nach, o.k.? Gib mir ein, zwei Wochen Zeit dafür.«
»Denk drüber nach«, sagte er. »Aber bedenke eins. Erstens bin ich, was das Öl angeht, jetzt real die Nummer eins im Apparat. Sämtliche Oligarchien hängen bei mir am Nippel. Ich meine, am Ölhahn. Na, woanders auch, wenns drauf ankommt, da brauche ich bloß mit dem kleinen Finger zu winken. Und zweitens solltest du wissen … Du stehst doch auf Wölfe, nicht wahr? Ist mir zu Ohren gekommen. Ich bin einer, und zwar ein realer. Der Genosse Generaloberst, ich meine … Er hat bei uns den wichtigsten Posten, Superverantwortung und so. Die ganze Firma betet ihn an. Aber unter uns gesagt … Meiner ist größer.«
»Auf Details kommts mir jetzt erst mal nicht so an.«
»Gut, dann eben ohne Details. Aber überleg dir das. Vielleicht machts ja mit einem größeren Detail noch mehr Spaß? Was den Genossen Generaloberst angeht, da weißt du ja selber am besten …«
»Jaja.«
»Und bedenke außerdem, er hat ein Gelöbnis abgelegt. Er hat gesagt, er verwandelt sich nicht eher in einen Menschen zurück, bis alle inneren und äußeren Feinde des Vaterlands ausgemerzt sind. So wie damals Genosse Bellow … Die ganze Firma hat geweint. Aber, ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass es was mit den Feinden zu tun hat. Menschsein langweilt ihn einfach im Moment.«
»Ich versteh schon, Michalytsch. Musst du mir nicht sagen.«
»Du bist ein kluges Kind, ich weiß«, sagte er.
»Gut«, sagte ich. »Dann verzieh dich jetzt mal. Ich wäre ganz gern allein.«
»Wenn du mir das beibringen könntest«, sagte er träumerisch, »das mit dem Schweif und so …«
»Hat er davon auch erzählt?«
»Ach wo, er erzählt überhaupt nichts. An dich zu denken fehlt uns momentan sowieso die Zeit. Die Arbeit steht uns bis zum Hals, musst du wissen.«
»Was liegt denn so Dringliches an?«
»Das Land braucht eine Reinigung. Solange wir diese ganzen Off-Shore-Kater nicht im Sack haben, kommen wir nicht zum Verschnaufen.«
»Off-Shore und im Sack, wie soll das gehen?«
»Nagual Rinpoche hat den Riecher, musst du wissen. Er wittert sie durch die Wand. Aber du, das mit dem Schweif, das hat er wirklich nicht erzählt. Ich hab's über das Gerät mitbekommen, wie ihr diskutiert habt: Wie verknoten wir die jetzt am besten, und so …«
»Ach so, über das Gerät, na klar … Geh jetzt lieber mal, du böser Wolf!«
»Ich warte auf deinen Anruf. Sieh zu, dass du mit uns in Kontakt bleibst. Denk immer daran, wo du lebst.«
»Als ob man das vergessen könnte.«
»Na, dann machs gut. Ruf an.«
Er stand auf und lief los in Richtung Park.
»He, Moment noch, Michalytsch«, rief ich ihn zurück, als er schon einige Meter weg war.
Er drehte sich um. »Was ist?«
»Zieh dieses T-Shirt lieber nicht an. Andy Warhol ist 1987 gestorben. So sieht man gleich, dass du nicht mehr der Jüngste bist.«
»Ach weißt du … Scheint ja eher dein Problem zu sein, wie man hört«, reagierte er kaltblütig. »Aber du gefällst mir, so wie du bist. Was geht mich dein Alter an? Ich muss ja nicht deinen Pass ficken, was? Zumal der sowieso gefälscht ist.«
Ich lächelte. Diese Brachialität hatte trotz allem ihren Reiz. Wertier bleibt Wertier.
»Nein, Michalytsch, musst du nicht. Fick du lieber den toten Andy Warhol.«
Er lachte.
»Dagegen hab ich ja im Grunde nichts«, legte ich noch eins drauf. »Aber dass du mit der Idee zu mir kommst, das macht mich doch ein bisschen schwach, weißt du. Trotz aller Sympathien. Für dich als Menschen, meine ich.«
Ich warf ihm die furchtbarste Beleidigung an den Kopf, die sich in unseren Kreisen denken ließ – und er wieherte wie ein Hengst.
Wahrscheinlich hatte es ihn gar nicht erreicht. Ich musste noch deutlicher werden.
»Jedenfalls, Michalytsch, lass dieses Shirt lieber im Schrank. Virtuell-gay-nekrophil, das ist keine gute Positionierung.«
»Ginge das vielleicht auch in unserer schönen Muttersprache?«
»Aber bitte. Schwuchtel und Kadaverficker.«
Er räusperte sich kurz. Dann streckte er die Zunge heraus, züngelte mit ihr obszön in der Luft herum.
»Vergiss nicht anzurufen«, wiederholte er. »Bis dahin hat die Firma sich eine feine Antwort für dich ausgedacht.«
Damit drehte er um und lief auf den Park zu. Ich sah dem schwarzen Quadrat seines Rückens hinterher, bis es sich im Grün verlor. Malevich sold here … Aber wem halfen sie jetzt noch, diese Konvergenzen.
Mir bleibt nur noch wenig zu sagen. Ich habe lange genug in diesem Land gelebt, um zu wissen, was solche Treffen, solche Gespräche zu bedeuten haben. Der Ratschlag, mit den »Organen« in Kontakt zu bleiben … Die letzten Tage habe ich damit zugebracht, alte Manuskripte zu sichten und zu verbrennen. Das Sichten beschränkte sich darauf, dass ich die Seiten diagonal überflog, bevor ich sie ins Feuer warf. Besonders Gedichte haben sich bei mir in letzter Zeit angesammelt:
Sei nicht die flügellose Fliege, lost in Thule,
Fürcht' nicht die alles unter sich begrabende Nacht.
In ihr sind zwei (ich selbst, die Werfüchsin A Huli,
Und Hund Pisdez, mein dunkler Freund) und haben acht …
Die Gedichte zu verbrennen deprimiert mich besonders: Hat nicht sein sollen, dass ich sie jemandem vorlese. Mein dunkler Freund ist zu beschäftigt. Nun bleibt nur noch eine Sache zu tun, und deren Vollendung steht kurz bevor. (Sie merken, die Erzählzeit wechselt von der Vergangenheit in die Gegenwart.) Es geht um das, was der Gelbe Herr mir vor zwölf Jahrhunderten angeraten hat. Ich soll den Werfüchsen allen erklären, wie man die Freiheit erlangt. Eigentlich ist dies schon beinahe erledigt – nur will ich das Gesagte noch einmal bündeln zu einer griffigen und klaren Instruktion.
Ich sprach bereits davon, dass die Werfüchse sich mit Hilfe ihres Schweifes eine Illusion von der Welt verschaffen. Ein Symbol hierfür ist der Uroboros, an dem sich meine Phantasie über die Jahrhunderte immer wieder entzündet hat, da ich das große in ihm verborgene Mysterium spürte. Eine Schlange beißt sich selbst in den Schwanz …