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Kubowski tat gehorsam, wie ihm geheißen. Er reichte sogar aus einer Ambulanztasche die gewünschten Instrumente an, aber er vergriff sich manchmal und reichte eine Schere, wenn die Frau eine Pinzette verlangte.

«Sie sind verwirrt, Genosse Major«, sagte sie.»Oder kennen Sie keine Pinzette?«Dabei sah sie ihn aus ihren kühlen schwarzen Augen an, und Jewgenij Alexandrowitsch gestand sich ein, daß ein deutscher Flammenwerfer ihn nicht so heiß ausglühte wie dieser Blick.

«Ich bin sprachlos, Genossin!«sagte er und kratzte sich die Nase.»Eben noch war ich in der Hölle, und jetzt spricht ein Engel mit mir!«

«Sie haben noch reichlich unmoderne Ansichten, Major. Es wäre besser, wenn Sie den Körper unseres verwundeten Bruders ruhiger hielten, damit ich das Projektil fassen kann. Sowie Sie den Körper schütteln, rutscht mir die Pinzette immer ab.«

Es stellte sich nach dem Verbinden heraus, daß es sich um den Oberleutnant und Arzt Olga Pannarewskaja handelte, Feldarzt im Bezirk >Tennisschläger<. Sie war mit den Panzern nach vorn gekommen, um die Verwundeten im Wasserturm an Ort und Stelle zu versorgen. Die Geschichte Olga Pannarewskajas ist eine lange Geschichte. Sie beginnt in Stalino, wo sie geboren wurde, geht über Moskau und Tiflis, wo sie studierte, und endet in Stalingrad, wo sie den Werkarzt Pannarewski heiratete, einen beliebten Mann, der gleich am vierten Tag des großen vaterländischen Krieges fiel. Olga Pannarewskaja hatte als Ärztin weiterhin die Arbeiter von >Rote Barrikade< betreut, und sie war, wie viele Frauen in Stalingrad, geblieben, als die Deutschen die Wolga erreichten und die Stadt von allen Seiten aufrollten. Sie hatte nur die Kleidung gewechselt, den weißen Kittel ausgezogen und die Uniform übergeworfen. Dann hatte es Krach gegeben, der Oberarzt hatte angeordnet, daß Genossin Olga nur in den Unterständen am Steilufer arbeiten dürfe. Aber als siebenundzwanzig Ärzte in den Trümmern verbluteten und die sowjetischen Soldaten nach Feldscheren riefen, war sie hineingerannt in die Stadt und arbeitete seitdem im >Tennisschläger< in dem Keller eines ehemaligen Magazins. Es war ein sicherer Keller, mit drei Betondecken übereinander. Hier operierte auch Majorarzt Andreij Was-süijewitsch Sukow, ein bekannter Chirurg aus dem Krankenhaus von Rostow. Das Funkgerät summte. Kubowski stülpte den Kopfhörer über. Der Kommandeur war am anderen Ende und fragte an, ob die Pannarewskaja angekommen sei.

«Sie ist es, Genosse Oberst!«gab Kubowski Antwort.

«Zurückschicken! Sofort!«kam der Befehl.

Kubowski legte den Kopfhörer zurück.»Es ist schrecklich mit den höhergestellten Genossen«, seufzte er.»Sie gönnen einem nicht einmal mehr den harmlosen Anblick von Schönheit. Ich werde Ihnen einen starken Mann mitgeben, Genossin Leutnant. Da er jung verheiratet ist, scheint er mir ungefährlich…«Er ließ nach Kaljonin rufen und trat von einem Bein auf das andere.»Werden wir uns wiedersehen, Genossin?«

«Wenn man Sie verwundet, bestimmt.«

«Es wäre ein Grund, sich anschießen zu lassen. Aber ein gesunder Mann ist ein besserer Plauderer.«

Olga Pannarewskaja sah Major Kubowski mit einem warmen Lächeln an. Oh, dachte Kubowski. Das ist ein Blick. Das Herzchen beginnt zu brennen, und was da in den Adern summt, ist kein Blut mehr. Ein Feuerstrom ist’s, bei allen abgeschafften Heiligen!

«Wie kann ein Held bloß so ein Dummkopf sein?«sagte das schwarze Teufelchen, und Kubowski erlebte das Gefühl, als Fiebernder in einen Kübel eiskalten Wassers gesteckt zu werden.»Sie haben die Stellung verteidigt, daß selbst Genosse Tschuikow sich Ihren Namen aufgeschrieben hat… und dabei haben Sie einen so schrecklich hohlen Kopf…«

«Sie haben mein Hirn weggebrannt, Genossin!«rief Kubowski geistesgegenwärtig.»Ich muß Sie wiedersehen.«

«Morgen! An der großen Uhr auf dem Roten Platz. Um 16 Uhr. Ich werde ein Persianerkostüm tragen…«

Iwan Iwanowitsch Kaljonin kam, um die Genossin Oberleutnant zu begleiten. Kubowski verzichtete daher auf eine Antwort. Er sah ihnen aber lange nach, wie sie über die Trümmer kletterten, an den deutschen Leichen vorbeigingen und sich gleichzeitig hinwarfen, als eine Granate heranheulte und unweit von ihnen in die Ruinen schlug.

Auch die Panzer kamen zurück. Aber es waren nur noch zwei. Die anderen lagen vor einem deutschen Riegel und brannten aus.

Es war unmöglich für Major Kubowski, den Anblick Olga Pan-narewskajas zu vergessen. Ihre Augen, ihre Nase, ihre Rippen, die Rundungen unter der Feldbluse, der zarte knabenhafte und doch frauliche Schwung der Hüften. Mit halbem Ohr nahm er die Meldungen eines Leutnants entgegen, daß die alten Stellungen wieder besetzt seien und die Panzer neben Munition auch drei Granatwerfer und Verpflegung gebracht hätten. Er nickte nur und legte sich auf sein Feldbett.

Es muß daran liegen, daß ich aus Tiflis komme, dachte er. Wir haben heißes Blut, und wehe, wenn es kocht!

Ein Schreien vor dem Wasserturm jagte ihn auf. Durch die Tür stürzte ein Soldat.»Sie kommen wieder… mit Flammenwerfern…«

Major Kubowski setzte seinen Stahlhelm auf. Leb wohl, Ol-gaschka, dachte er. Ein verbrannter Mensch ist kein schöner Anblick…

Der Abflug der Planungskommission verzögerte sich um einige Tage. Es waren noch Dinge zu regeln, die im Augenblick vordringlicher waren. Der Befehl Hitlers, daß er Meldung haben wollte, wann die kämpfende Truppe im Besitz der Winterausrüstung sei, verursachte bei den Intendanturen ein großes Kesseltreiben mit der Zeit. Die Daten waren genau angegeben worden: Bis zum 10. Oktober mußte das letzte Stück in der Hand der Truppe sein, bis zum 15. Oktober hatten die Divisionskommandeure darüber eine Vollzugsmeldung zu unterschreiben. Dreitausend Intendanten, Zahlmeister, Verwaltungsinspektoren und Beamte kamen in Schwung. Es hieß den Transportraum sicherzustellen, die Züge auf den eingleisigen Strecken richtig zu dirigieren, die Lastwagenkolonnen bereitzuhalten, und es hieß, für alle Vorgänge Aktenstücke anzulegen, Wasser und Kohle für die Züge zu besorgen, Sprit und Ersatzteile für die Lastwagen bereitzustellen, Magazine zu bauen, Wachmannschaften abzustellen, Schreibstuben aufzufüllen, denn eine Riesenmenge Material zieht notgedrungen einen Berg von Papier und Listen nach sich.

750 Tonnen Nachschub pro Tag, das war die Quote der 6. Armee. Munition, Verpflegung, Waffen, Ersatzteile. Und nun kamen noch die Wintersachen hinzu, ein Gebirge von Klamotten, die man sichten, stapeln, sortieren, notieren und schließlich gerecht verteilen mußte. Hunderte von Waggons rollten in Richtung Wolga, hielten in Tschir, wurden dort auf Lastwagen umgeladen, weil die Russen die Brücke über den Don gesprengt hatten, rollten nach Kalatsch, wurden wieder umgeladen in Waggons und schaukelten auf den Bahnstrecken nach Karpowka und Woroponowo, wo sie eigentlich — im Bereich der Armee — an die Truppen verteilt werden sollten. Doch dazu kam es nicht. Es stellten sich unüberwindbare Hindernisse in den Weg. Zunächst, was die Intendantur maßlos störte, war da der ständige Bedarfswechsel durch Ausfälle. Nie stimmten die Zahlen der Bedarfsmeldungen, die von den Kompanien im Dreckloch in Stalingrad über das Bataillon, das Regiment und die Division zum Korps liefen und von dort gesammelt an die Armee gingen. Bis die Meldungen beim Generalintendanten waren, kamen Nachmeldungen, die wiederum Rückfragen notwendig machten. Es wurden wieder neue Akten angelegt, denn jeder Vorgang muß nach preußischer Ordnung aktenkundig und in mehreren Durchschlägen stets griffbereit sein. Man war also gezwungen, trotz der erfolgten Meldung an das Führerhauptquartier, daß die Winterbekleidung an Ort und Stelle sei, was ja der Wahrheit entsprach, die Ausgabe immer wieder zu verschieben, bis ein klarer Überblick geschaffen war. Die dreitausend Intendanten, Stabszahlmeister und Oberzahlmeister begriffen es einfach nicht, wieso sich immer wieder, und zwar grundlegend, die Bestandsmeldungen in Stalingrad änderten, wo die Stadt doch fest und sicher in deutscher Hand war und nur an wenigen, winzigen Punkten >Stoßtrupp-Tätigkeit<, wie es der Wehrmachtsbericht nannte, herrschte. Hinter dieses Geheimnis zu kommen verursachte Geduld und Zeit.