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«Nein, Herr Stabsarzt. Aber es gibt ja Häuser genug.«

«Welch ein naiver Junge. «Portner ging zurück in den Lazarettkeller.»Machen wir weiter. In einer Woche haben wir hier ein Lager für Eisbeine. Haben Sie schon Erfrierungen gesehen, Wallritz?«

«Nein, Herr Stabsarzt. «Feldwebel Wallritz hob die Hände, fing die Schneeflocken auf und zerrieb sie im Gesicht. Es erfrischte köstlich.

«Ich war doch bis vor einem halben Jahr in Frankreich.«

«Na, Sie werden sich wundern. «Portner ging durch den Lazarettkeller. Er war etwas leerer geworden, ein großer Teil der Schwerverwundeten war nach rückwärts geschafft worden, nach Pitomnik und Kalatsch. Von dort gingen die Lazarettzüge in die Ukraine, nach Polen oder Deutschland. Es war ein beschwerlicher Weg, denn mehrmals in der Woche wurden die Strecken von Partisanen zerstört oder beschossen. Wer in Polen ankam, konnte aufatmen.

Stabsarzt Dr. Portner hatte heute einen stillen Tag. Die Front war fast still geworden. Bis auf ein paar Stoßtrupp-Unternehmen lagen die Trümmer von Stalingrad verlassen unter dem Bleihimmel. Es war wie ein unbewußtes Atemanhalten von beiden Seiten, wie ein Verschnaufen, ein erschöpftes Augenschließen.

«Überlegen wir mal, was wir alles brauchen, Wallritz«, sagte

Dr. Portner.»Wenn wir hier schon den ganzen Winter über hok-ken sollen, muß man uns wie ein gutes Murmeltier versorgen.«

Feldwebel Wallritz nähm Papier und Bleistift. Er sah seinen Chef nachdenklich an.»Glauben Sie, daß wir hier monatelang… Ich denke, in ein paar Tagen ist der letzte russische Widerstand zerstört.«

«Wallritz. «Dr. Portner zählte in seinem >Giftschrank< die Packungen und Gläser mit den Anästhesiemitteln.»Sie sind ein guter Sanitätsfeldwebel, aber politisch und militärisch ein Rindvieh. Wir sitzen hier wie die Ratten in den Kellern, und uns gegenüber haben die Iwans die gleichen Nester wie wir. Und jetzt schneit es… morgen oder übermorgen geht die Temperatur weiter 'runter… Sie wissen nicht, was ein richtiger eisiger Steppenwind ist. Und was dann kommt, ist Scheiße, mit Blumen garniert. Wir werden hier unten hocken wie die Wichtelmänner und froh sein, wenn wir einen warmen Hintern haben. Das Heldentum wird zu Gefrierfleisch, mein Lieber. «Er kraulte sich den Kopf und schloß den >Giftschrank< wieder.»Fangen wir also an. Denen soll im Depot die Hose flattern. Schreiben Sie: Bestandsmeldung. Oder nein… besser: Materialanforderung. Zur Aufrechterhaltung des vorgeschobenen Verbandsplatzes benötige ich dringend…«

Stabsarzt Dr. Portner diktierte eine lange Liste. Wallritz schrieb; ab und zu sah er auf und wunderte sich, woher Dr. Portner den Mut nahm, in seine Zahlen Bemerkungen einzuflechten, die jeden Stabsapotheker an die Decke springen ließen. Als Dr. Portner geendet hatte, legte Feldwebel Wallritz den Bleistift weg.

«Und wieviel werden wir bekommen? Fünfzig Prozent vielleicht?«

«Sie Pflaume! Dann lebten wir ja im Paradies. Nichts werden wir bekommen. Vielleicht ein paar Rollen Zellstoff…«

«Aber… Herr Stabsarzt. «Feldwebel Wallritz starrte auf die lange Liste.»Alles, was hier steht, brauchen wir doch wirklich dringend…«

«Allerdings.«

«Und wenn nichts kommt… das gibt ja eine Katastrophe, Herr Stabsarzt.«

«Sie merken aber auch alles, Sie kleiner Schlaukopf. «Dr. Portner sah in einen Topf, der auf einem Spirituskocher brodelte.

In einer gelblichen Brühe schwammen einige Nudeln und ein paar Stückchen Fleisch.»Wieder ein Pferd krepiert?«fragte er.

«Nein, Herr Stabsarzt. Büchsenfleisch. Zehn Kartons sind gekommen.«

«Himmel noch mal — dann war das ein Irrtum. Oder der Intendant war besoffen. Los, ’ran an die Suppe, Wallritz… ehe sie es merken und wieder kassieren. Haben die anderen auch was?«

«Natürlich, Herr Stabsarzt.«

«Genug?«

«Jeder ein Kochgeschirr voll.«

Wallritz holte zwei Teller und schöpfte sie voll. Mit beiden Händen trug er sie zum Tisch, damit sie nicht überschwabbten.

Die Materialanforderung bekam einen großen Fettfleck.

«Lassen Sie den drauf, Wallritz«, lachte Dr. Portner.»Der wird einmal historisch. Wenn später einmal ein Aktendeckel gefunden wird, in den man die Materialanforderungen abheftete, wird man sagen: Sieh an, am sechzehnten November 1942 hatten die in Stalingrad noch so viel zu fressen, daß sie mit Fett um sich warfen… So wird auch die Geschichte im Grunde relativ…«

Mit dem ersten Schnee begann Pawel Nikolajewitsch Abranow, der Greis, fröhlich zu werden wie ein Füllen auf der Weide.

«Seht, seht«, rief er allen zu, denen er begegnete,»es schneit, Brüderchen. Es schneit.«

«Wir sehen es, Alterchen«, antworteten die so Angesprochenen.»Wir sind nicht blind.«

«Aber ihr versteht es nicht, ihr jungen Dummköpfe. «Abranow war in einer gehobenen Stimmung und fühlte sein heißes patriotisches Herz schlagen.»Jetzt werden die Deutschen das Laufen lernen, glaubt es mir. Die Schlacht um Stalingrad haben wir gewonnen. Ihr sollt es sehen… Weihnachten ist alles vorbei. Wenn erst die Panzerchen kommen…«

Man ließ den Alten reden und jubeln und kümmerte sich wenig um seinen Optimismus. Die Verluste waren schwer, die 62. Sowjetarmee bestand nur aus 12 Divisionen, und wenn nicht nach einem Gewaltmarsch durch die Steppe General Rodimzew mit seiner 13. Gardeschützen-Division zu Hilfe gekommen wäre, wer weiß, was aus Stalingrad geworden wäre und aus den tapferen Männern im >Tennisschläger< und in Beketowka. Aber im Feuer der deutschen Artillerie setzte General Rodimzew in Fährbooten über die schäumende Wolga und warf seine Männer in die Trümmer der Stadt zum erbarmungslosen Kampf Mann gegen Mann. Es dauerte nicht lange, da war auch diese Division nur noch regimentsstark, und trotz aller Hilferufe an General Tschuikow gab es immer nur die eine Antwort: Aushalten. Aushalten. Ein schreckliches Wort, wenn es an allem fehlt und man weiß, daß es genug Freunde gibt, die helfen könnten. Aber der Generalstab

— verflucht sei er — hält die Reserven zurück. Wozu bloß? Soll man in den Kellern und Hausruinen verbluten? Wer kann das verstehen?

Und so saß man mürrisch in den Höhlen am Wolgasteilufer, warf sich in den Stoßtruppkampf und sah mit gemischten Gefühlen auf den ersten Schnee, der alles mit einer weißen Decke überzog und die bizarren Trümmer wie in Watte hüllte.

Major Kubowski hatte eine Aussprache mit Olga Pannarewskaja, der Ärztin. Seine Verletzung war nicht so schwer, daß er aus der Stadt wegkam. Er wollte es auch gar nicht, und als der Divisionschirurg, der stille Andreij Wassilijewitsch Sukow, eine Bemerkung in dieser Richtung machte, wehrte sich Kubowski mit aller kaukasischen Beredsamkeit.

«Genosse Major«, hatte die Pannarewskaja gesagt,»Sie haben mich geküßt. Ich nehme an, daß Sie Angst hatten, als das Licht ausging. Wenn es etwas anderes war, müßte ich mich nachträglich noch meiner Ehre wehren.«

Und Kubowski hatte geseufzt, hatte sie wie ein nasser Hund angesehen und geantwortet:»Es war wirklich Angst, Genossin. Lassen Sie mir diese Angst, sie beflügelt mich…«

Nun schneite es, sie saßen draußen zwischen den Trümmern und sahen hinüber zu den Hausruinen, in denen die Deutschen hockten.

«Jetzt wird es schlimm werden«, sagte Kubowski.»Treibeis auf der Wolga, kein Nachschub mehr, keine Munition, kein Essen… wer weiß, wann die Wolga zufriert? Die Deutschen haben es besser, sie können heranschaffen. «Er rauchte langsam eine Zigarette und sah dem weißen Rauch nach, der von den Schneeflocken zerschlagen wurde.»Ich liebe Sie, Olga…«

Die Pannarewskaja schwieg. Ihr schmales Gesicht unter der Fellmütze war ernst und bleich. Major Kubowski kaute auf seiner Zigarette. Wenn eine Frau auf eine solche Rede schweigt, ist es ein schlechtes Zeichen, dachte er.

«Sie mögen mich nicht, nicht wahr?«sprach er weiter.»Ich nehme es Ihnen nicht übel, Genossin. Nur sagen Sie es mir frei heraus, damit ich wieder schlafen kann.«