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Olga Pannarewskaja schüttelte langsam den Kopf.»Es ist sinnlos, Jewgenij Alexandrowitsch, jetzt von solchen Dingen zu sprechen. Wissen wir, ob wir morgen noch leben? Wenn wir uns ineinander verlieben, wird es ein schwerer Krieg für uns… so aber lieben wir nur unser Vaterland und freuen uns auf die Zeit, wo wir wieder eigennützig denken können…«

Major Kubowski ließ seine Zigarette fallen.»Genossin«, sagte er beschämt.»So viel Patriotismus…«..

«Nennen Sie es Selbstbetrug. «Die Ärztin erhob sich. Schön sah sie aus. Kubowski nagte an der Unterlippe und rieb die Stiefelabsätze aneinander.»Sie müssen wieder weg, Major…«

Es klang ganz beiläufig, aber in ihrer Stimme war ein Unterton, der nicht zu den Worten gehörte. Kubowski sah zu ihr empor.

«Weg? Wieso?«

«Der Genosse Divisionskommandant hat Sie angefordert.«

«Seit wann wissen Sie das?«

«Seit zwei Tagen.«

«Und sagen es mir jetzt erst?«

Olga Pannarewskaja nickte und wandte Kubowski den Rücken zu. Ihr Blick überflog die deutschen Häusergruppen. Vier zerfetzte Panzer bildeten die Grenze. Um diese Panzertrümmer hatten schon wilde Kämpfe stattgefunden, obgleich sie sinnlos waren und es keinerlei Nutzen brachte, die Panzer erobert zu haben.

«Ich habe Sie bis morgen noch krank melden können, Major.«

«Olga.«„

Kubowski sprang auf. Er riß die Ärztin an der Schulter herum, und er tat es so heftig, daß sie gegen ihn fiel und sich an ihn klammern mußte, um nicht hinzufallen. Kubowski drückte sie an sich, und als er ihr Gesicht sah, war er glücklich und hätte jubeln können.

«Sie sind traurig, Olgaschka«, sagte er leise.

«Ja, Jewgenij Alexandrowitsch.«

«Es ist Ihnen nicht gleichgültig, ob mich die Deutschen erschießen oder ob ich den Krieg überlebe…«

«Nein, durchaus nicht«, sagte sie tief aufatmend.

Da vergaß Major Kubowski, daß er in der zuschneienden Trümmerwüste einer gestorbenen Stadt stand, daß es morgen wieder ein

Sterben gab und daß der Kampf an der Wolga mehr war als nur eine Schlacht, sondern die Entscheidung über das Leben Mütterchen Rußlands.

Er küßte Olga Pannarewskaja, und diesmal war es weder dunkel noch hämmerten die deutschen Granaten auf das Kellerdach, noch gab es überhaupt einen Anlaß außer dem, daß man verliebt war wie noch nie in seinem Leben.

Fünfzig Meter weiter kroch der Gefreite Knösel durch die verschneiten Trümmer und suchte ein paar dicke Balken, die ausreichten, den Bunker für eine Woche zu wärmen. In der Nacht sollte ein Stoßtrupp dann die Balken abtransportieren, wenn nötig unter Feuerschutz. Es ging im Augenblick darum, daß man nicht fror, und nicht, daß man wieder zwei Keller eroberte oder eine Straßenseite.

«Ja, ist denn das möglich«, sagte Knösel entgeistert, als er um eine Hausecke kroch und mitten in den Trümmern einen Russen stehen sah, der eine Russin küßte. Sie taten es so gründlich, daß ihre sich umarmenden Gestalten aussahen wie ein weißes Denkmal.

Knösel duckte sich hinter einen Mauerrest und überlegte, was zu tun sei. Nun streichelt er sie auch noch, herrjemine, dachte er. Ihr Haar, ihr Gesicht, ihre Schulter… wenn das so weitergeht, wird's ein Pariser Film mit Ringelpietz und Anfassen… Und das mitten in Stalingrad. Im Schnee. Muß ein verdammter Notstand bei ihnen sein…

Jäh wurde das Idyll gestört. Seitlich von Knösel hämmerte eine Maschinenpistole los. Die Geschosse schlugen vor den Küssenden in das Gestein, und so als seien sie getroffen, stürzten beide umschlungen in den Schnee und rollten in Deckung.

«Idioten!«schrie Knösel.»Wem geht denn die Knutscherei so auf die Nerven…«

Durch die Trümmer sprangen ein paar dunkle Gestalten. Auch Knösel robbte davon und stieß auf einen jungen Leutnant, der schwer atmend hinter einem Hauseingang saß. Auf der russischen Seite bellten ein paar Granatwerfer auf und setzten einen Riegel vor die vier zerfetzten Panzer. Die Explosionen waren dumpf, der Schnee schluckte die hellen Laute.

«So eine Saubande«, keuchte der junge Leutnant.»Tun so, als sei nichts los und küssen sich. Na, denen salzen wir ein… denen vergeht noch diese bolschewistische Frechheit. «Er bemerkte erst

jetzt, daß Knösel nicht zu seinem Spähtrupp gehörte, und wechselte das Magazin seiner Maschinenpistole.»Wer sind denn Sie?«

«Gefreiter Schmidtke auf der Suche nach Brennholz. «Knösel setzte sich neben den jungen Leutnant.»War so ein schönes Bild, Herr Leutnant.«

«Was?«Der junge Offizier ließ das Magazin einrasten.»Sie haben die Knutscherei gesehen?«

«Ja.«

«Mann. Sie sind doch bewaffnet. Warum haben Sie nicht geschossen? Wie heißen Sie?«

«Gefreiter Hans Schmidtke.«

«Einheit?«

«Transportbataillon 234, zugeteilt zu Feldlazarett III, vorgeschobener Verbandsplatz, Stabsarzt Dr. Portner.«

«Ich werde Sie melden. «Der junge Leutnant sah um die Mauer. Die Russen schossen nicht mehr, der Platz, wo Kubowski und die Pannarewskaja gestanden hatten, war leer. Ein Trümmerfeld wie tausend andere.»Sieht zwei Russen und schießt nicht. Wissen Sie, was das ist? Wie man das nennt? Das wird ein Nachspiel haben, mein Lieber.«

Der junge Leutnant winkte. Der Spähtrupp sprang weiter, durch eine Straßenschlucht in Richtung >Tennisschläger<. Es war alles so sinnlos, daß Knösel sitzen blieb und den wie Hasen Zickzack hüpfenden Männern kopfschüttelnd nachsah.

Noch einmal blickte er hinüber, wo das Liebespaar von Stalingrad gestanden hatte, zwei Menschen, die für eine Minute das Grauen vergaßen und aus der Seligkeit wieder in das Grauen gerissen wurden. Dann kroch auch Knösel weiter, suchte seine Balken und kehrte zum Lazarettkeller zurück. Dr. Portner operierte wieder.

«Herr Stabsarzt«, sagte Knösel,»da ist mir eben ein Ding passiert…«

Portner winkte ab.

«Ich weiß schon. Der Leutnant war bereits da.«

Knösel schluckte.»Wenn Sie gesehen hätten, Herr Stabsarzt…«

«Was reden Sie da, Knösel. «Dr. Portner verband den Verwundeten, während Wallritz die Tetanusinjektion vorbereitete.»Das sind die kleinen Menschlichkeiten, die plötzlich aus der Hölle einen Himmel machen.«

«Sie werden keinen Tatbericht…«Knösels Kehle war wie zugeschnürt. Dr. Portner sah ihn fast beleidigt an.

«Raus, Sie Nilpferd. Halten Sie mich für einen Idioten?«Es war ein Augenblick, m dem Knösel den Stabsarzt hätte umarmen können. Er unterließ es, weil es — militärisch gesehen

— sittenwidrig war…

Auch auf das Rückantwort-Telegramm kam keine Nachricht aus Köln. Dr. Körner sah es schon von weitem an dem Gesicht des Chefportiers, als er von der Besprechung des Planungsausschusses zurückkam. Er hatte wieder eine Stunde herumgesessen, hatte einmal von der Wichtigkeit des Transportes Schwerverwundeter gesprochen und zur Antwort bekommen, daß dies Angelegenheit einer anderen Dienststelle sei und nicht des Baugremiums.

«Ich kann es mir nicht erklären«, sagte der Chefportier des Hotels.»Wenn es Angriffe gegeben hätte… aber wenn man den Wehrmachtsbericht liest… es war ja nichts los in Köln. «Er sagte es so, als wolle er ausdrücken: Siehst du, mein Junge, wie sie uns belügen? Und man muß es sogar glauben… was bleibt uns übrig?

«Schicken wir neue Telegramme«, sagte Dr. Körner gepreßt.»An die Kreisleitung, an die Gauleitung, an den Stadtkommandanten… ich schicke hundert Telegramme, wenn es sein muß. Ich mache ganz Köln rebellisch.«

Der Chefportier hob die Schultern. Der junge Mediziner tat ihm leid. Er war ein anderer Typ als die Offiziere, Zahlmeister, Parteibonzen und Wehrwirtschaftsführer, die sonst im >Ostland< wohnten und sich wie Cäsaren benahmen. Es waren oft Stunden, in denen trotz allem Geschäftsgeist der Nationalpole bei ihm durchbrach und er sich beherrschen mußte, nicht seine Freunde zu rufen und die ungebetenen Gäste einfach entfernen zu lassen.