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«Wann müssen Sie wieder weg, Genosse Major?«fragte er Kubowski.

«Morgen.«

«Wieder zum >Tennisschläger<?«

«In die alte Stellung.«

«Sie werden sie halten, nicht wahr?«

«Dort wird keiner an die Wolga kommen!«

Sie zogen die Köpfe ein, obwohl sie im toten Winkel der deutschen Geschütze lagen. Über ihnen heulte und orgelte es heran und schlug in die Wolga ein und jenseits der Wolga in die Wälder nördlich von Krasnaja Sloboda. Dort stand, gut getarnt, die schwere Artillerie. Tag und Nacht feuerte sie in die Trümmer der Stadt und wühlte sie immer wieder um, so wie man einen Teig knetete, damit er nicht klumpig, sondern gleichmäßig wird. Deutsche Aufklärer hatten die Stellungen ausgemacht, und seitdem gab es ein Duell, über die Wolga hinweg. Aber es nutzte wenig. Niemand wußte, wieviel schwere Geschütze in den Wäldern standen. Es mußten Tausende sein, denn sie schossen weiter, als gäbe es keine deutsche Artillerie.

«Panzer brauchen wir, Genosse Major«, sagte Abranow, der Greis, wieder.»Und wenn die Wolga gefroren ist, kommen sie wie die Mücken! Dann wird es einfach sein, die Deutschen wegzujagen. Und wenn es uns erst gelingt, sie abzuschließen.. wenn sie keinen Nachschub mehr haben…«Abranow schwieg gedankenvoll. Es war zu schön, daran zu denken. Er liebte diese Stadt, in deren Straßen er als Junge gespielt hatte, als diese Straßen noch ungepflasterte, staubige Wege waren und die Altstadt noch Zarizyn hieß, und er konnte grausam denken, wenn es um diese, um seine Stadt ging.

Um sie herum hämmerten die Granaten auf den Rand des Steilufers. Dreckschleier zogen über ihre Körper hin, Abranow mußte husten, und Major Kubowski sprang auf und schüttelte sich wie ein nasser Hund.

«Ein Glück, daß sie noch nicht um die Ecke schießen können!«sagte er. Von den seitlich liegenden Sanitätsbunkern kam eine Gestalt durch die Bodenfalten gehüpft und winkte mit beiden Händen. Ein schmaler Körper in grüner Uniform.

«Pawel Nikolajewitsch!«rief eine helle Stimme.»Väterchen! Sie werden gesucht!«Zwei Anne winkten heftig.

Abranow erhob sich und winkte zurück.

«Das ist Vera Tscherkanowa, meiner Tochter Kind«, sagte er stolz.»Dient als Sanitäterin. Ein tapferes Mädchen. Sie sehen, Genosse Major — man braucht mich im Lazarett.«

Abranow lief über Steine und Bunkerdächer. Sein weißes, langes Haar flatterte, ab und zu sprang er über abgestützte Wände herunter, und er federte beim Aufprall in den Knien, als sei er ein junger Sportler. Major Jewgenij Alexandrowitsch Kubowski blieb noch eine Weile stehen und sah über die Wolga und hinüber zu dem dampfenden, krachenden Wald von Krasnaja Sloboda.

Stalingrad, dachte er. Auch mich wird man hier verscharren. In einem Granatloch, in einem Keller, unter Trümmern, vielleicht unter einem Dom von verbogenen Eisenträgern oder am Fundament einer geborstenen Mauer. Es kann morgen sein oder übermorgen… nur heute nicht. Heute ist man ein Fuchs, der sich in den Steilhang des Wolgaufers wühlt. Er sah auf seine Uhr. Vier Uhr nachmittags. In einer Stunde würde es dunkel werden. Um halb sechs mußte er sich bei dem Genossen General Borowin melden. Und morgen bekam er ein neues Bataillon. In Gruppen sprang man dann in die Hölle, in die heulende Wüste des >Tennisschlä-gers<. Es war, trotz Liebe zum Vaterland, nicht erhebend, daran zu denken.

Mit ernstem Gesicht drehte sich Major Kubowski eine neue Zigarette. Diesmal nahm er dazu ein Stückchen von der Kulturseite der Prawda.

In dem größten Keller lagen sie nebeneinander, Schulter an Schulter, Hüfte an Hüfte, Beine an Beine, sauber ausgerichtet und aneinandergeschichtet, als sollten sie verpackt werden… zerfetzte, blutende, röchelnde, vergehende, stöhnende, wimmernde, sich streckende und erstarrende Leiber. Eine Wolke von Blutgeruch, Eiter und Schweiß lag wie ein Gas über ihnen, klebrig und sich im Gaumen festsaugend. Im kleineren Nebenkeller wurde operiert. Nur eine wacklige Holztür trennte den Raum von dem anderen ab. Ab und zu hörte man einen Schrei, ein helles Wimmern, Stimmen, die Tür klappte auf, zwei Sanitäter trugen einen Körper heraus, schoben einen auf dem Boden liegenden Leib hinaus in den Gang und den Operierten in die Lücke hinein. Auf der Treppe hockte als zusammengeballte Masse ein Klumpen Gehfähiger. Armverletzte, Kopfverwundete, Schulterschüsse, Fleischwunden, um die man dicke Lagen Zellstoff gelegt hatte.

«Vier kannste wieder 'raustragen, Emil!«rief einer aus dem Klumpen einem Sani zu.»Draußen auf der Straße liegen noch zweiundzwanzig, die aufn Platz warten…«

Der Sanitäter überblickte die aneinandergereihten Körper. Wenn sie die Augen nicht offen hatten, sahen sie alle gleich aus. Spitze, dreckige Gesichter, eingesunkene Augen, durchblutete Verbände. Man mußte schon von Mann zu Mann gehen, um festzustellen, wer nun gestorben war.

«Muß man denn alles allein tun?«maulte der Sanitäter Emil.»Wenn ihr loofen könnt, so holt doch die Kameraden 'raus und macht Platz! Ich muß doch beim Operieren helfen! Los, bewegt euch, ihr Krücken! Seid froh, daß ihr kriechen könnt…«

Sie nahmen den auf den Gang geschobenen Körper und trugen ihn in den kleinen Kellerraum.

Hier arbeitete Stabsarzt Dr. Portner an einem gescheuerten Küchentisch. Neben ihm standen drei Blecheimer, in die er die Mullbinden warf, die herausgeschnittenen Fleischfetzen und die amputierten Gliedmaßen. Wenn die Eimer voll waren, trug sie Sanitäter Emil hinaus, vorbei an den aufgereihten Schwerverletzten, wartete auf der Kellertreppe eine ruhige Minute ab, sprang dann hinaus, kroch zu einem Granatloch undkippte die Eimer aus.

Auf der anderen Seite des Tisches stand Assistenzarzt Dr. Körner und öffnete eine große Venenklemme. Sie hatte keinen Sinn mehr. Während der Amputation hatte das Blut zu fließen aufgehört. Dr. Portner wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er schwitzte in der stickigen Luft, hielt die Hände von sich und hob den Kopf etwas in den Nacken. Das war ein Zeichen für den Sanitätsfeldwebel Horst Wallritz, die Feldflasche zu nehmen und dem Stabsarzt etwas Tee zwischen die Lippen zu gießen.

«Sie auch, Körner?«fragte Dr. Portner.

«Danke, Herr Stabsarzt.«

«Ich glaube, Sie sind jedesmal erschüttert, wenn einer hier auf dem Tisch Lebewohl sagt, was?«Der neue Verwundete wurde hinaufgeschoben, Wallritz schnitt die Uniform auf, ein zerfetzter Bauch, abgedeckt mit Mull-Lagen, kam hervor. An Unterleib und Schenkel war der herausgeflossene Darminhalt festgetrocknet. Dr. Portner tippte mit einer Sonde auf die große, zuckende Wunde.»Sie sind wohl wahnsinnig, Wallritz?«

«Herr Stabsarzt?«

«Der nächste! Ist doch dämlich von Ihnen, mir so etwas auf den Tisch zu legen! Bringen Sie mir Leute, die ich retten kann!«

«Es ist Hauptmann Bertram, Herr Stabsarzt. «Der Sanitätsfeldwebel senkte den Kopf.»Ich dachte…«

Dr. Portner bemerkte erst jetzt die silbernen Schulterstücke mit den beiden Sternen. Dann sah er wieder in das Gesicht des Sterbenden, in ein dreckverkrustetes, schmal gewordenes, fast kindliches Gesicht.

«Bertram«, sagte Portner leise und sah dabei seinen Assistenzarzt an.»Gestern noch haben wir zusammengesessen. Er wollte nach dem Krieg Häuser bauen. War Architekt. Jung verheiratet. Zwei Kinder, kurz hintereinander. Und dann kommt ein russisches Explosivgeschoß und reißt ihm den Bauch auf. Statt Häuser zu bauen, wird er jetzt in irgendeinem Granattrichter liegen und mit Trümmersteinen von Stalingrad zugedeckt sein. «Er wischte sich wieder über die Augen und wandte sich um.»Wallritz — abräumen! Der nächste. Aber Leute, die weiterleben können!«