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«Sie wollen also wieder zur Truppe, Herr Assistenzarzt?«sagte der Kommissionsleiter, ein’ Oberst der Pioniere.»Ich kann Sie nicht halten. Und ich glaube, das, was Sie zu sagen hatten, haben Sie auch vorgetragen. Wenn Sie das alles noch einmal schriftlich fixieren können, damit es zu den Akten kann…«

Dr. Körner starrte den dicklichen Oberst an. Sie ahnen noch nichts, dachte er erschrocken. Und sie werden auch morgen und übermorgen noch nichts wissen. Sie werden weiter an der Lazarettstadt Kalatsch planen, wenn der Russe schon die Stadt besetzt hat. Und auch dann werden sie weitertagen, denn:»Eines Tages werden wir es zurückerobert haben. Und dann, meine Herren…«

Kapitel 4

Mit einer Transportmaschine flog Dr. Körner am 20. November von Warschau nach Kiew, von Kiew nach Stalino, von Stalino nach Morosowskaja und von dort endlich nach Pitomnik. Er kam am 23. November an, an einem Tag, als es klar wurde, daß sich die Zangen der sowjetischen Divisionen um die 6. Armee geschlossen hatten und Stalingrad zu einer Insel im wogenden roten Meer geworden war. Es war an einem Tag, an dem Tausende von Fahrzeugen sich rücksichtslos nach Westen wälzten, an dem die Trosse, die Werkstattkompanien, die Feldbäckereien, die Intendanturen, die Straßenbautrupps, die Eisenbahnformationen und die eben zurückgekommenen Urlauber in wilder Panik flüchteten, eine Meute gejagter Hasen, die über die verschneite Steppe hetzten, durch den heulenden Schneesturm, niedergemäht von den schnelleren sowjetischen Panzern oder einfach überrollt und unter die Räder genommen von den deutschen Zugmaschinen, Raupenschleppern und Lastwagen, die in unübersehbaren Kolonnen nach Westen rasten… weg aus der Umklammerung, weg vor den T 34, weg vor den Russen… Es war der Tag, an dem vor der Don-brücke Tschir die Flüchtenden in dreißig Reihen nebeneinander warteten, Tausende von Fahrzeugen, eine Zusammenballung kopfloser, schreiender, das nackte Leben ohne Rücksicht auf den Nebenmann rettender Menschen… fünfhundert Meter breit… ein Riesenteppich der Verzweiflung.

Als Dr. Körner in Pitomnik landete, standen auf dem Flugplatz 41 Schwestern aus dem Armeelazarett Kalatsch und warteten darauf, von Pitomnik nach Kiew ausgeflogen zu werden. Ein Oberstabsarzt stand mitten unter ihnen und stürzte auf Dr. Körner zu, als dieser von der gelandeten Ju 52 über das windige Rollfeld rannte.

«Ist das die Maschine aus Kiew?«schrie der Oberstabsarzt.»Kommen Sie meine Schwestern abholen?«

«Nein«, rief Dr. Körner zurück.»Ich muß nach Stalingrad.«

«So eine Scheiße«, schrie der Oberstabsarzt. Es liegt ein Befehl vor, daß die Schwestern ausgeflogen werden. Aber keiner weiß was, keiner ist zuständig… Soll ich meine Schwestern vielleicht den Russen ausliefern?«

Er rannte zurück in eine der Flugbaracken. Die Schwestern standen an der Bretterwand, die Kragen hochgeschlagen, frierend, ängstlich, mit Koffern und Säcken neben sich.

Dr. Körner meldete sich bei einem Oberst der Luftwaffe, der als Platzkommandant versuchte, so etwas wie Ordnung in den kopflosen Haufen zu bekommen. Auf seinem Tisch in einer der Flugplatzbaracken trafen alle Meldungen über die Einflüge ein… zusammen mit einem dicken, schwitzenden und schimpfenden Stabsintendanten verteilte er die Ausflüge, wenn die Flugzeuge nicht schon mit fest umrissenen Befehlen, was sie mitnehmen sollten, gekommen waren. Als Körner eintrat, war gerade ein großer Streit ausgebrochen. Der Oberst hieb mit der Faust auf den Tisch und brüllte:»Ich habe siebzehntausend Verwundete hier, die 'rausmüssen…«Der dicke Stabsintendant schrie sofort zurück:»Und ich habe den Befehl, als erstes alle Spezialisten auszufliegen. Die Spezialisten braucht man draußen… Die Verwundeten können die nächsten Maschinen nehmen…«Dann sahen sie auf den eintretenden Arzt, und der Stabsintendant schoß auf ihn zu.

«Was wollen Sie denn hier?«

«Ich will nach Stalingrad…«

«Wohin?«Der Stabsintendant sah Körner an, als spräche der Geist von Hamlets Vater.

«Nach Stalingrad-Stadt. Ich wollte mich erkundigen, ob ein

Flugzeug nach Gumrak abgeht, oder wie ich sonst dorthin komme.«

«Das gibt es auch noch, tatsächlich. «Der Oberst wischte sich über die Augen.»Sie wollen* also nicht ’raus?«

«Nein. Ich bin ja soeben von Warschau zurückgekommen.«

«Da wußte man wohl noch nichts von dem Scheißdreck hier?«

«Doch — aber ich wollte…«

Dr. Körner sah, wie der Oberst ihn musterte, als sinne er darüber nach, ob es zu vertreten sei, einen Irrsinnigen in die nächste Maschine abzuschieben. Der Stabsintendant setzte sich schwerfällig auf einen Holzstuhl und schnaufte.

«Außerdem stehen draußen noch einundvierzig Schwestern, die weg sollen…«, begann der Oberst wieder.

«Erst die Spezialisten«, sagte der Intendant.»Ich habe meine genau umrissenen Vorschriften. Es ist bekannt, daß die kämpfende Truppe aufgeschmissen ist, wenn nicht in der Etappe…«

Der Oberst hob beide Arme.»Sie sehen, was hier los ist, Doktor«, sagte er fast hilflos.»Der Iwan rollt die Flanken auf wie Klopapier, das er von der Rolle wickelt, die Donbrückenköpfe sind im Eimer, Kalatsch brennt, die Rumänen kommen hier durch und fragen, wie weit es bis Bukarest ist, irgendwo wimmeln unsere Panzer ’rum, aber sie haben nicht genug Sprit und Granaten, und unser Hermann kratzt an Maschinen zusammen, was er kriegen kann, aber er rechriet nicht mit dem Bürokratismus unserer Wehrmachtsbeamten…«

«Ich verhalte mich durchaus korrekt«, schrie der Stabsintendant.

«An dieser Korrektheit werden wir eingehen. «Der Oberst winkte ab, als Dr. Körner etwas sagen wollte.»Fragen Sie nichts mehr, Doktor. Sie wollen nach Stalingrad zurück… das ist im Augenblick so traumhaft, daß Sie schon selbst sehen müssen, wie Sie weiterkommen. Schließen Sie sich einer Truppe an, die nach vorn geht… Was heißt hier überhaupt >Vorn<… Vorn ist jetzt überall, ringsum ist vorn… Hauen Sie ab, Doktor, und spielen Sie Ostlandfahrer… Ich kann Ihnen nicht helfen. «Der Oberst drehte sich zu dem Stabsintendanten um und hieb wieder mit der Faust auf den Tisch.»Himmel, Arsch und Wolkenbruch… mit der nächsten Maschine gehen die einundvierzig Schwestern nach Kiew… und wenn Sie Schwierigkeiten machen, schieße ich den Weg frei, verstanden?«

Der Stabsintendant schnellte mit bleichem Gesicht vom Stuhl.»Das werde ich melden«, sagte er heiser.»Man ward Sie zur Verantwortung ziehen, Herr Oberst, wenn wertvolle Kräfte für den Bestand des Reiches — «

«Am Arsch können Sie mich lecken«, sagte der Oberst. Er wandte sich ab und drängte beim Hinausgehen auch Dr. Körner aus dem Zimmer.

Draußen schneite es immer heftiger. Zehn Maschinen standen auf dem Rollfeld. Sie wurden mit Verwundeten beladen und mit Eisenkisten, deren Inhalt nur die Intendantur kannte. Der Oberstabsarzt stand vor einer der Maschinen und gestikulierte mit beiden Armen. Um ihn scharten sich die frierenden Schwestern aus Kalatsch.

«Diese Maschine, Herr Oberst«, schrie er, als er den Platzkommandanten kommen sah.»Ich werfe mich vor die Propeller, wenn meine Schwestern nicht mitkommen…«

Der Oberst winkte ab. Sein Gesicht war fahl. Über den großen Flugplatz von Pitomnik rannten Hunderte geduckter Menschen durch das Schneetreiben. Raupenschlepper klapperten dazwischen, Lastwagen, einzelne Panzer, Pferdegespanne, Protzen, Feldküchen, verpackte Feldbäckereien, Werkstattwagen… ein Ameisenheer, das nur einen Gedanken hatte: Nach Westen. Nach Westen.

Aber der Weg nach Westen war bereits verriegelt. Die Zange der russischen Panzerdivisionen hatte sich um die 6. Armee gekrallt. Um zweiundzwanzig Divisionen, um 364 000 deutsche Soldaten aller Waffengattungen, um Materialien im Wert von mehreren Milliarden Mark.

«Sehen Sie sich das an, Doktor«, sagte der Luftwaffenoberst.»Und Sie fragen mich: Wie komme ich nach Stalingrad? Dort drüben sind die Zelte der aufgelösten Lazarette von Kalatsch, Dmitrijewka und Kotlubon. Fragen Sie mal da nach…«