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«Ich habe niemanden mehr als Sie und… und…«Körner machte eine weite Handbewegung, die den Lazarettkeller, die deutschen Bunkerstellüngen und die Granattrichter mit den Leichen einschloß,»und sie alle«, fügte er leise hinzu. Er senkte den Kopf und wandte sich ab. Portner sah, wie sein Rücken zuckte. Er biß sich auf die Unterlippe und schwieg so lange, bis das Zucken aufhörte und Körner den Kopf etwas hob.

«Ihre Frau?«sagte Portner leise.

Körner nickte stumm.

«Wann?«

«Am Vorabend unserer Hochzeit…«

Portner antwortete nicht. Was soll man da sagen, dachte er. Große Worte sind Blödsinn. Hinweise, daß es Tausenden so ergeht, sind ebenso dumm. Fluchen ist sinnlos… es bleibt nur das Ertragen in der Stille. Er holte aus der Tasche sein silbernes Zigarettenetui, nahm zwei Zigaretten heraus, brannte sie an und schob eine davon Körner zwischen die Lippen. Dann klopfte er ihm auf die Schulter und wandte sich zum Eingang des Kellers.

«Komm, mein Junge… an die Arbeit«, sagte er hart.»Sie kommen gerade im richtigen Augenblick zurück. Alles ist schon eingepackt und transportbereit. Wir müssen noch ein paar schwere Fälle auf trimmen. In der Nacht geht es dann los… zurück in die Steppe, nach Gumrak… die reden da was von einem Durchbruch. Was ist eigentlich los außerhalb der Stadt?«

«Wir sind eingeschlossen«, sagte Dr. Körner. Er zog an der

Zigarette und stand mit geschlossenen Augen an der vereisten Mauer.

«Wer?«

«Die ganze 6. Armee…«

«Du meine Güte. Darum dieses Durcheinander in der Luft. In der Funkbude stehen sie kopf. Über zweitausend Funksprüche schwirren durch die Luft… wenn man die alle zusammenstellt, muß es ja toll aussehen an Don und Tschir…«Dr. Portner blieb stehen, als käme es ihm erst jetzt voll zum Bewußtsein, daß sie eine winzige Insel im russischen Meer waren.»Rundum zu?«fragte er.

«Ja. Wie in einer Mausefalle. Und das, was früher Etappe war, spielt vollkommen verrückt. Und in Warschau sitzen sie noch immer über den Plänen einer >Lazarettstadt Kalatsch<…«

«Und Sie lassen sich in diese Mausefalle fliegen…«

Dr. Körner blieb auf den Stufen zum Keller stehen und sah zu Dr. Portner zurück.»Glauben Sie nicht, daß ich ein Held bin«, sagte er leise. Seine Stimme schwankte.»Ich bin ein ganz erbärmlicher Feigling… Ich bin so feig, daß ich Angst hatte, allein weiterzuleben.«

«Mein Gott. Wenn Sie diesen Mist hier überleben, werden Sie sich später über so viel Dummheit an den Kopf fassen und es nicht begreifen.«

«Sicherlich. «Körner nickte. Unten im Kellerraum hörte er die laute Stimme des Gefreiten Knösel. Er erzählte zum vierundzwanzigsten Male die Geschichte von den küssenden Russen im Trümmerfeld, und wie immer erntete er Gelächter und den Beinamen >Du altes Lügenloch<.»Sicher wird man später anders denken… Man begreift dann nicht mehr, warum man einmal dieses oder jenes getan hat, weil man die Situation, in der es geschah, nicht mehr nachempfinden kann. Aber im Augenblick bin ich am Ende, Dr. Portner… und ich brauche Sie und die da unten, um wieder Mensch zu sein… auch wenn man mich später einen Idioten nennen wird.«

Sanitätsfeldwebel Wallritz und Knösel kamen aus dem Keller empor. Sie trugen eine Zeltplane zwischen sich; ein schlaffer Arm hing heraus und schleifte über die Kellerstufen.

«Der Lungenschuß, Herr Stabsarzt«, sagte Wallritz. Dann sah er Dr. Körner, und sein Gesicht wurde ebenso lang wie das Port-ners vor einer halben Stunde.»Guten Tag, Herr Assistenzarzt.«

Dr. Körner nickte. Die Zeltplane schwankte an ihnen vorbei. Er sah ein gelbes Gesicht und nach oben gedrehte, starre Augen. Aus den Mundwinkeln war Blut gelaufen und um den Hals verkrustet.

Marianne, dachte Dr. Körner. Ob man sie auch so hinausgetragen hat aus dem Keller… in einer Zeltplane…

Er wandte sich ab und rannte die Treppe hinunter in den Keller.

Wallritz und Knösel mußten eine halbe Stunde warten, ehe sie ihre Zeltplane in einen der Trichter auskippen konnten. Drei sowjetische Panzer waren vom >Tennisschläger< herübergekommen und belegten die deutschen Häuser mit Feuer. Ein Stoßtrupp war bereits unterwegs, um sie mit geballten Ladungen und Haftminen zu knacken. Erst als der vordere Panzer in einer schwarzen Rauchwolke explodierte, gelang es Wallritz und Knösel, ihre Zeltplane in einen Trichter auszuleeren.

Pawel Nikolajewitsch Abranow, der Greis und Großvater Veras, hatte ein neues Erlebnis. Das Schlimme daran war, daß niemand ihm glaubte. Ja, man lachte ihn aus, klopfte ihm auf die Schulter und meinte mit einem Augenzwinkern:»Es geht nicht mehr so wie früher, was, Väterchen? Zwei Wodka, und schon beginnt das Märchen. «Und so sehr Abranow die Hände hob und beteuerte, er sei weder betrunken gewesen noch sei er so alt, daß er schon kindisch würde — man glaubte es ihm nicht und erzählte das Erlebnis des Alten wie eine fröhliche Geschichte.

Pawel Nikolajewitsch, das fröhliche Großväterchen, hatte einen Elefanten gesehen.

Man wird begreifen, daß ihm das niemand glaubte. Ein Elefant in Stalingrad. Mitten in der Stadt. In den Trümmern. Mit pendelndem Rüssel, wackelnden Ohren, blinkenden Stoßzähnen und um sich schlagendem Schwänzchen.

«Und ich sage euch«, schrie Abranow und hob beide Arme zum Himmel wie ein Feuerbeschwörer,»er stand da. Riesengroß, grau und ein wenig ratlos. Er hob den Rüssel und kratzte sich damit den Kopf…«

Die Männer um ihn, brave Sowjetsoldaten, verwundet und verbunden, lächelten breit und nachsichtig. Vera Kaijonina war es, die sich ihres Großvaters schämte. Aber auch sie war machtlos gegen den Alten, und als es sich herumgesprochen hatte, was Väterchen

Abranow gesehen haben wollte — und es ging bald von Erdhöhle zu Erdhöhle am Steilufer der Wolga —, kamen immer neue Rotarmisten und hörten zu, wie der Elefant sich ohne besondere Eile wieder in Bewegung gesetzt hatte und hinter den Ruinen eines Wohnblocks verschwunden war.

Die Angelegenheit reizte zum Nachdenken, als Iwan Iwanowitsch Kaljonin für einen Tag Urlaub bekam, zu seiner jungen Frau Vera eilte und — statt sich in ihre sehnsüchtigen Arme zu werfen — zunächst fragte:»Ist der Elefant bei euch gewesen? Wo ist er hin? Der Genosse Oberst will es wissen, er ist ein sehr großer Tierfreund…«

«Seht ihr«, brüllte Abranow,»seht ihr. Auch er hat ihn gesehen. Und ihr lachtet mich aus, ihr Hundesöhne. Ein Elefant, sage ich. Ein indischer Elefant. Er geht mitten durch die Stadt…«

In dem Befehlsbunker am Wolgasteilhang vergaß man einen Augenblick, daß Krieg war, daß an Wolga, Don und Tschir die Armeen nach zwei Seiten kämpften und sich ein Sieg abzeichnete, wie er in diesem Krieg noch nicht errungen worden war. Man vergaß sogar für wenige Minuten, daß im Nordteil der Stadt das Armeekorps des deutschen Generals von Seydlitz die guten Stellungen geräumt hatte und sich nun — wer soll das verstehen? — weiter westlich eingrub, Maulwürfen gleich. Von der Telefonzentrale des städtischen Verteidigungskomitees und dem Gebäude des Verteidigungskomitees der Partei ging die Frage an alle Kommandeure der sowjetischen Truppen: Wer hat den Elefanten gesehen?

Es stellte sich heraus, daß viele ihn gesehen hatten. Und auch die Herkunft war klar. Stalingrad hatte einen schönen Zoologischen Garten gehabt, nicht groß, aber gepflegt. Er konnte nur zu einem Teil geräumt werden, als die deutschen Armeen zur Wolga stießen. Ein paar Tiere blieben zurück, um deren Schicksal sich niemand mehr kümmern konnte, weil es galt, die großen Werke und den Zugang zur Wolga zu verteidigen. Unter diesen zurückgelassenen Tieren war auch der Elefant. Nachdem sein Gehege zerstört worden war, hatte er sich abgesetzt und war durch die Trümmerwüste gewandert. Irgendwo schlief er in den Ruinen und stampfte zwischen den Fronten umher.